Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Zur preußischen vormundschafisordnung. für die Mündel eine milde Praxis gelten läßt. Die städtischen und Kreis¬ Es sei zum Schlüsse gestattet, kurz noch zweier andern Institute zu ge¬ Der Waisenrat hat die Aufsicht über das persönliche Wohl des Mündels Zur preußischen vormundschafisordnung. für die Mündel eine milde Praxis gelten läßt. Die städtischen und Kreis¬ Es sei zum Schlüsse gestattet, kurz noch zweier andern Institute zu ge¬ Der Waisenrat hat die Aufsicht über das persönliche Wohl des Mündels <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156647"/> <fw type="header" place="top"> Zur preußischen vormundschafisordnung.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1590" prev="#ID_1589"> für die Mündel eine milde Praxis gelten läßt. Die städtischen und Kreis¬<lb/> sparkassen, welche vor Erlaß der Vormundschaftsorduung meist nur kümmerlich<lb/> vegetirten, haben seitdem ihre Umsätze durchschnittlich verfünffacht; ihre Fonds<lb/> bestehen jetzt vorzugsweise aus Mündelkapitalien; die Städte und Kreise be¬<lb/> ziehen von denselben jährlich namhafte Überschüsse und beneiden sich gegenseitig<lb/> um die Priorität ihrer Errichtung, alles das auf Kosten der Mündel, denen<lb/> diese Dotation der Kommunen teuer genug zu stehe» kommt. Oberschlesien<lb/> besaß Eude 1873 fünfundzwanzig Sparkassen mit einem Spareinlagekapital von<lb/> fünf Millionen, Ende 1883 dreißig Sparkassen mit einen: Spareinlagckapital<lb/> von zweiundzwanzig Millionen Mark. Diese Steigerung der Spareinlagen von<lb/> fünf bis zu zweiundzwanzig Millionen in einem Zeiträume von zehn Jahren ist<lb/> in erster Reihe auf deu Umstand zurückzuführen, daß die Mündelkapitalien durch<lb/> die Vormundschaftsorduung vom 6. Juli 1875 auf dem obcnbeschriebenen Wege<lb/> mit Notwendigkeit zu den Sparkassen gedrängt worden sind. Den Gewinn<lb/> aber, welchen die Sparkassen dadurch erzielen, daß sie das von ihnen mit<lb/> 3i/z oder 3^/z Prozent verzinste Geld selbst zu oder 5 Prozent ausleihen,<lb/> könnte der Staat leicht durch Wiedererrichtung des Generaldepositoriums den<lb/> Mündeln zuwenden, und er sollte dies thun. Die Wiederbelebung dieses In¬<lb/> stituts wäre ein Segen für das Volk, insbesondre für die Jugend, welche ja<lb/> die Zukunft des Volkes ist. Dieselbe würde sich als Eckstein in den Bau<lb/> der sozialpolitischen Gesetze einfügen und ihrerseits zur Hebung der<lb/> wirtschaftlichen Lage der untern Volksklassen nicht unwesentlich beitragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1591"> Es sei zum Schlüsse gestattet, kurz noch zweier andern Institute zu ge¬<lb/> denken, welche gleichfalls von der Vormundschaftsordnnng den landrechtlichen<lb/> Bestimmungen gegenüber neu eingeführt sind, des Waisenrats und des Fa¬<lb/> milienrats.</p><lb/> <p xml:id="ID_1592" next="#ID_1593"> Der Waisenrat hat die Aufsicht über das persönliche Wohl des Mündels<lb/> und dessen Erziehung zu führen, insbesondre Mängel oder Pflichtwidrigkeiten,<lb/> welche er bei der körperlichen oder sittlichen Erziehung des Mündels wahr¬<lb/> nimmt, anzuzeigen. Er hat ferner diejenigen Personen vorzuschlagen, welche<lb/> im einzelnen Falle zur Berufung als Vormund oder Gegenvormund geeignet<lb/> erscheinen. Die Thätigkeit der Waisenräte beschränkt sich jedoch in der Praxis<lb/> fast ausschließlich auf die Erfüllung des zweiten Teiles ihrer Aufgabe, auf die<lb/> Benennung der Vormünder. Daß sie noch weitere Amtspflichten haben, ist<lb/> vielen von ihnen garnicht bekannt. Es ist auch schwer zu sagen, wie sie den<lb/> ersten Teil ihrer Aufgabe erfüllen sollten. Die Erziehung ist ein Jnternum<lb/> der Familie; dritten, insbesondre Behörden, ziemt hier Zurückhaltung. Kein<lb/> Gebiet ist ja auch bestrittener als das der Erziehung. Bei bloßer Meinungs¬<lb/> verschiedenheit über die Zweckmäßigkeit einer Erziehungsart wird der Waisenrat<lb/> nicht eingreifen dürfen. Grobe Pflichtwidrigkeiten der Vormünder, z. B. Mi߬<lb/> handlung der Mündel, Verleitung derselben zum Betteln, Stehlen oder andern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0376]
Zur preußischen vormundschafisordnung.
für die Mündel eine milde Praxis gelten läßt. Die städtischen und Kreis¬
sparkassen, welche vor Erlaß der Vormundschaftsorduung meist nur kümmerlich
vegetirten, haben seitdem ihre Umsätze durchschnittlich verfünffacht; ihre Fonds
bestehen jetzt vorzugsweise aus Mündelkapitalien; die Städte und Kreise be¬
ziehen von denselben jährlich namhafte Überschüsse und beneiden sich gegenseitig
um die Priorität ihrer Errichtung, alles das auf Kosten der Mündel, denen
diese Dotation der Kommunen teuer genug zu stehe» kommt. Oberschlesien
besaß Eude 1873 fünfundzwanzig Sparkassen mit einem Spareinlagekapital von
fünf Millionen, Ende 1883 dreißig Sparkassen mit einen: Spareinlagckapital
von zweiundzwanzig Millionen Mark. Diese Steigerung der Spareinlagen von
fünf bis zu zweiundzwanzig Millionen in einem Zeiträume von zehn Jahren ist
in erster Reihe auf deu Umstand zurückzuführen, daß die Mündelkapitalien durch
die Vormundschaftsorduung vom 6. Juli 1875 auf dem obcnbeschriebenen Wege
mit Notwendigkeit zu den Sparkassen gedrängt worden sind. Den Gewinn
aber, welchen die Sparkassen dadurch erzielen, daß sie das von ihnen mit
3i/z oder 3^/z Prozent verzinste Geld selbst zu oder 5 Prozent ausleihen,
könnte der Staat leicht durch Wiedererrichtung des Generaldepositoriums den
Mündeln zuwenden, und er sollte dies thun. Die Wiederbelebung dieses In¬
stituts wäre ein Segen für das Volk, insbesondre für die Jugend, welche ja
die Zukunft des Volkes ist. Dieselbe würde sich als Eckstein in den Bau
der sozialpolitischen Gesetze einfügen und ihrerseits zur Hebung der
wirtschaftlichen Lage der untern Volksklassen nicht unwesentlich beitragen.
Es sei zum Schlüsse gestattet, kurz noch zweier andern Institute zu ge¬
denken, welche gleichfalls von der Vormundschaftsordnnng den landrechtlichen
Bestimmungen gegenüber neu eingeführt sind, des Waisenrats und des Fa¬
milienrats.
Der Waisenrat hat die Aufsicht über das persönliche Wohl des Mündels
und dessen Erziehung zu führen, insbesondre Mängel oder Pflichtwidrigkeiten,
welche er bei der körperlichen oder sittlichen Erziehung des Mündels wahr¬
nimmt, anzuzeigen. Er hat ferner diejenigen Personen vorzuschlagen, welche
im einzelnen Falle zur Berufung als Vormund oder Gegenvormund geeignet
erscheinen. Die Thätigkeit der Waisenräte beschränkt sich jedoch in der Praxis
fast ausschließlich auf die Erfüllung des zweiten Teiles ihrer Aufgabe, auf die
Benennung der Vormünder. Daß sie noch weitere Amtspflichten haben, ist
vielen von ihnen garnicht bekannt. Es ist auch schwer zu sagen, wie sie den
ersten Teil ihrer Aufgabe erfüllen sollten. Die Erziehung ist ein Jnternum
der Familie; dritten, insbesondre Behörden, ziemt hier Zurückhaltung. Kein
Gebiet ist ja auch bestrittener als das der Erziehung. Bei bloßer Meinungs¬
verschiedenheit über die Zweckmäßigkeit einer Erziehungsart wird der Waisenrat
nicht eingreifen dürfen. Grobe Pflichtwidrigkeiten der Vormünder, z. B. Mi߬
handlung der Mündel, Verleitung derselben zum Betteln, Stehlen oder andern
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