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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

schaftlicher Verwendung, Es ist in dieser Beziehung ein wesentlicher Unterschied,
ob das Gericht das Mündelvcrmögcn verwahrt und erst aus schriftlichen, moti-
virten Antrag des Vormunds die zu den Ausgaben erforderlichen Geldsummen
anweist, oder ob der Vormund selbst sich im Besitze des Geldes befindet und
hierüber frei verfügen kann. Im erstern Falle werden schon der Umständlichkeit
halber häufig unnütze Ausgaben vermieden, welche im letztern Falle unbedenklich
gewacht werden. Den Vormund trifft hierbei meist gar keine Schuld; er wird
von dein Mündel oder dessen Angehörigen, welche ihn ja im Besitze des Geldes
wissen, zur Hergabe desselben gedrängt. Auf diese Weise gehen die kleinern
Mündelkapitalicn von einigen hundert Mark und darunter jetzt regelmäßig ver¬
loren; sie werden zu unproduktiven Ausgaben verwendet, welche ebensogut ver¬
mieden werden konnten. Solange das Geld reicht, wird in der Familie etwas
weniger gearbeitet, etwas besser gelebt; es werden überflüssige Kleidungsstücke
angeschafft u, s. w.; ist das Geld verbraucht, so erhält sich die Familie auch
ohne den Zuschuß. Der Sparsinn ist ja leider in unsern untern Stünden nur
wenig entwickelt; man sollte ihnen die Versuchung nicht so nahe legen, die
Ausgabe des Geldes nicht so bequem machen! Denn es ist gewiß nicht gleich-
giltig, ob selbst kleine Kapitalien bis zu hundert Mark für das Mündel gespart
werden oder nicht; sie geben ihm die Mittel, sich durch Erlernung eines ordent¬
lichen Handwerks, durch spätere Anschaffung von etwas Handwerkszeug über
die niedrigste Arbeitersphäre zu erheben und eine wirtschaftliche Existenz zu
gründen; sie spielen auch bei der Verheiratung der weiblichen Mündel eine
wesentliche Rolle. In jedem Falle bilden sie für das Mündel einen Sporn
und eine Grundlage, nach erreichter Selbständigkeit weiter zu sparen, und dieses
ethische Moment ist am wenigsten zu unterschätzen.

Gegen den leichtsinnigen Verbrauch des Mündelvermögens helfen auch
alle Kontrolmaßrcgeln nichts. Die Bestellung eines Gegenvormundes ist
hier völlig einflußlos, da über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der
Ausgaben der Vormund allem zu entscheiden hat. Der Vormundschafts¬
richter erhält von dem Verbrauche erst nach Jahr und Tag durch die Ver¬
waltungsrechnung Kenntnis. Er sieht sich einem kalt Aveoinpli gegenüber, und
wenn er auch die Überzeugung gewinnt, daß die Ausgaben überflüssig waren,
so ist er doch nicht in der Lage, den Mündeln das Geld wieder zu verschaffen.
Den Vormund im Aufsichtswege zur Erstattung solcher Gelder anzuhalten,
ist der Richter nicht befugt, er müßte einen Pfleger bestellen, welcher den Betrag
gegen den Vormund einklagt. Zu diesem Schritte wird er sich aber nur in den
seltensten Fällen entschließen, da einmal der prozessualische Beweis der unwirt¬
schaftlichen Verwendung schwer zu führen ist, sodann der Vormund meist doiia
lkais, lediglich auf Drängen der Familie, gehandelt hat und schließlich auch häufig
zur Erstattung außer stände sein wird. Wenn die Mutter der Mündel Vor-
münderin ist, verbietet sich eine solche Rigorosität von selbst, obwohl gerade


Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

schaftlicher Verwendung, Es ist in dieser Beziehung ein wesentlicher Unterschied,
ob das Gericht das Mündelvcrmögcn verwahrt und erst aus schriftlichen, moti-
virten Antrag des Vormunds die zu den Ausgaben erforderlichen Geldsummen
anweist, oder ob der Vormund selbst sich im Besitze des Geldes befindet und
hierüber frei verfügen kann. Im erstern Falle werden schon der Umständlichkeit
halber häufig unnütze Ausgaben vermieden, welche im letztern Falle unbedenklich
gewacht werden. Den Vormund trifft hierbei meist gar keine Schuld; er wird
von dein Mündel oder dessen Angehörigen, welche ihn ja im Besitze des Geldes
wissen, zur Hergabe desselben gedrängt. Auf diese Weise gehen die kleinern
Mündelkapitalicn von einigen hundert Mark und darunter jetzt regelmäßig ver¬
loren; sie werden zu unproduktiven Ausgaben verwendet, welche ebensogut ver¬
mieden werden konnten. Solange das Geld reicht, wird in der Familie etwas
weniger gearbeitet, etwas besser gelebt; es werden überflüssige Kleidungsstücke
angeschafft u, s. w.; ist das Geld verbraucht, so erhält sich die Familie auch
ohne den Zuschuß. Der Sparsinn ist ja leider in unsern untern Stünden nur
wenig entwickelt; man sollte ihnen die Versuchung nicht so nahe legen, die
Ausgabe des Geldes nicht so bequem machen! Denn es ist gewiß nicht gleich-
giltig, ob selbst kleine Kapitalien bis zu hundert Mark für das Mündel gespart
werden oder nicht; sie geben ihm die Mittel, sich durch Erlernung eines ordent¬
lichen Handwerks, durch spätere Anschaffung von etwas Handwerkszeug über
die niedrigste Arbeitersphäre zu erheben und eine wirtschaftliche Existenz zu
gründen; sie spielen auch bei der Verheiratung der weiblichen Mündel eine
wesentliche Rolle. In jedem Falle bilden sie für das Mündel einen Sporn
und eine Grundlage, nach erreichter Selbständigkeit weiter zu sparen, und dieses
ethische Moment ist am wenigsten zu unterschätzen.

Gegen den leichtsinnigen Verbrauch des Mündelvermögens helfen auch
alle Kontrolmaßrcgeln nichts. Die Bestellung eines Gegenvormundes ist
hier völlig einflußlos, da über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der
Ausgaben der Vormund allem zu entscheiden hat. Der Vormundschafts¬
richter erhält von dem Verbrauche erst nach Jahr und Tag durch die Ver¬
waltungsrechnung Kenntnis. Er sieht sich einem kalt Aveoinpli gegenüber, und
wenn er auch die Überzeugung gewinnt, daß die Ausgaben überflüssig waren,
so ist er doch nicht in der Lage, den Mündeln das Geld wieder zu verschaffen.
Den Vormund im Aufsichtswege zur Erstattung solcher Gelder anzuhalten,
ist der Richter nicht befugt, er müßte einen Pfleger bestellen, welcher den Betrag
gegen den Vormund einklagt. Zu diesem Schritte wird er sich aber nur in den
seltensten Fällen entschließen, da einmal der prozessualische Beweis der unwirt¬
schaftlichen Verwendung schwer zu führen ist, sodann der Vormund meist doiia
lkais, lediglich auf Drängen der Familie, gehandelt hat und schließlich auch häufig
zur Erstattung außer stände sein wird. Wenn die Mutter der Mündel Vor-
münderin ist, verbietet sich eine solche Rigorosität von selbst, obwohl gerade


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[0372] Zur preußischen Vormundschaftsordnung. schaftlicher Verwendung, Es ist in dieser Beziehung ein wesentlicher Unterschied, ob das Gericht das Mündelvcrmögcn verwahrt und erst aus schriftlichen, moti- virten Antrag des Vormunds die zu den Ausgaben erforderlichen Geldsummen anweist, oder ob der Vormund selbst sich im Besitze des Geldes befindet und hierüber frei verfügen kann. Im erstern Falle werden schon der Umständlichkeit halber häufig unnütze Ausgaben vermieden, welche im letztern Falle unbedenklich gewacht werden. Den Vormund trifft hierbei meist gar keine Schuld; er wird von dein Mündel oder dessen Angehörigen, welche ihn ja im Besitze des Geldes wissen, zur Hergabe desselben gedrängt. Auf diese Weise gehen die kleinern Mündelkapitalicn von einigen hundert Mark und darunter jetzt regelmäßig ver¬ loren; sie werden zu unproduktiven Ausgaben verwendet, welche ebensogut ver¬ mieden werden konnten. Solange das Geld reicht, wird in der Familie etwas weniger gearbeitet, etwas besser gelebt; es werden überflüssige Kleidungsstücke angeschafft u, s. w.; ist das Geld verbraucht, so erhält sich die Familie auch ohne den Zuschuß. Der Sparsinn ist ja leider in unsern untern Stünden nur wenig entwickelt; man sollte ihnen die Versuchung nicht so nahe legen, die Ausgabe des Geldes nicht so bequem machen! Denn es ist gewiß nicht gleich- giltig, ob selbst kleine Kapitalien bis zu hundert Mark für das Mündel gespart werden oder nicht; sie geben ihm die Mittel, sich durch Erlernung eines ordent¬ lichen Handwerks, durch spätere Anschaffung von etwas Handwerkszeug über die niedrigste Arbeitersphäre zu erheben und eine wirtschaftliche Existenz zu gründen; sie spielen auch bei der Verheiratung der weiblichen Mündel eine wesentliche Rolle. In jedem Falle bilden sie für das Mündel einen Sporn und eine Grundlage, nach erreichter Selbständigkeit weiter zu sparen, und dieses ethische Moment ist am wenigsten zu unterschätzen. Gegen den leichtsinnigen Verbrauch des Mündelvermögens helfen auch alle Kontrolmaßrcgeln nichts. Die Bestellung eines Gegenvormundes ist hier völlig einflußlos, da über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausgaben der Vormund allem zu entscheiden hat. Der Vormundschafts¬ richter erhält von dem Verbrauche erst nach Jahr und Tag durch die Ver¬ waltungsrechnung Kenntnis. Er sieht sich einem kalt Aveoinpli gegenüber, und wenn er auch die Überzeugung gewinnt, daß die Ausgaben überflüssig waren, so ist er doch nicht in der Lage, den Mündeln das Geld wieder zu verschaffen. Den Vormund im Aufsichtswege zur Erstattung solcher Gelder anzuhalten, ist der Richter nicht befugt, er müßte einen Pfleger bestellen, welcher den Betrag gegen den Vormund einklagt. Zu diesem Schritte wird er sich aber nur in den seltensten Fällen entschließen, da einmal der prozessualische Beweis der unwirt¬ schaftlichen Verwendung schwer zu führen ist, sodann der Vormund meist doiia lkais, lediglich auf Drängen der Familie, gehandelt hat und schließlich auch häufig zur Erstattung außer stände sein wird. Wenn die Mutter der Mündel Vor- münderin ist, verbietet sich eine solche Rigorosität von selbst, obwohl gerade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/372>, abgerufen am 21.06.2024.