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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

der Vormund nur mit Genehmigung des Vormnndschaftsrichters über das Ver¬
mögen ferner dispomren kann, so würde damit die prinzipielle Selbständigkeit
des Vormunds beseitigt und die landrechtliche Vorschrift wiederhergestellt werden.
Und doch wäre diese Maßregel recht zweckmäßig, nicht bloß um das Mündel¬
vermögen gegen Angriffe von außen, sondern vor allem, um es gegen den Vor¬
mund selbst zu schützen. Der Besitz des Geldes ist für jeden nicht ganz charakter¬
fester Vormund eine stete Verführung, sich an dem Vermögen zu vergreife".
Wie nahe liegt dem Vormunde, welcher vielleicht selbst mit schweren Sorgen
und Geldverlegenheiten zu kämpfen hat, die Versuchung, das Mündelgeld zu
eignem Vorteile zu benutzen! Er weiß, daß seine Handlungsweise erst nach Jahr
und Tag bei Gelegenheit der Rechnungsablegung und, wenn der Gegcnvormund
sich hierbei den Vermögensbestand nicht nachweisen läßt oder im Einverständnis
mit ihm ist, erst bei Beendigung der Vormundschaft zutage kommt; bis dahin
hofft er dem Mündel alles mit Zinsen ersetzen zu können, so findet er sich mit
seinem Gewissen ab. Die Bestrafungen der Vormünder wegen Unterschlagung
von Mündelvermögen bilden eine traurige Statistik und nur die wenigsten Fälle
kommen zur Anzeige, da der Vormund meist der Familie des Mündels ange¬
hört, und diese um ihrer eignen Ehre willen die Denunziation unterläßt. Viel
häufiger sind die Fälle, in welchen nach beendeter Vormundschaft die Mündel
von dem nachlässigen oder untreuen Vormunde ihr Vermögen vor dem Zivil¬
richter zu erstreiten suchen; auch diese Prozesse sind nichts weniger als er¬
quicklich.

Die Vormundschaftsordnung ist, wie fast alle Gesetze der siebziger Jahre,
von einem gewissen idealen Zuge getragen, welcher die höchsten Anforderungen
an die Menschen stellt, ihre Schwächen und Verirrungen zu wenig berücksichtigt.
Aber gerade dem Gesetzgeber dürfte solcher Idealismus am wenigste" ziemen.
Man muß sich doch fragen, ob nicht der Staat, der auch jetzt noch regelmäßig
die Vormünder bestellt, also die Mündel zwingt, ihr Vermöge" einem Fremden
in die Hände zu geben, nicht die moralische Pflicht habe, dafür zu sorge", daß
das Mündelvermögcn mindestens in seinem Bestände erhalten bleibe. Freilich
giebt auch die Vormundschaftsorduung dem Richter das Recht, von dem Vor¬
munde Kaution zu verlangen, aber zugleich dem Vormunde die Befugnis, falls
ein solches Ansinnen an ihn gestellt wird, die Übernahme der Vormundschaft,
welche bekanntlich sonst obligatorisch ist, abzulehnen. Von dieser Befugnis
macheu denu auch die Vormünder selbstverständlich in allen Fällen Gebrauch;
es ist ihne" lästig genug, eine Vormundschaft mit umfangreicher Vermögens¬
verwaltung zu führe", geschweige denn, daß sie geneigt sei" sollten, hierfür uoch
eine Kaution aus ihrem eignen Vermögen zu stellen. Die ganze Vorschrift
über die Kautionspflicht der Vormünder ist daher unwirksam und ohne prak¬
tische Anwendung. Aber mehr noch als alles bisher Erörterte droht dem
im Besitze des Vormunds befindlichen Mündelvermögen die Gefahr unWirt-


Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

der Vormund nur mit Genehmigung des Vormnndschaftsrichters über das Ver¬
mögen ferner dispomren kann, so würde damit die prinzipielle Selbständigkeit
des Vormunds beseitigt und die landrechtliche Vorschrift wiederhergestellt werden.
Und doch wäre diese Maßregel recht zweckmäßig, nicht bloß um das Mündel¬
vermögen gegen Angriffe von außen, sondern vor allem, um es gegen den Vor¬
mund selbst zu schützen. Der Besitz des Geldes ist für jeden nicht ganz charakter¬
fester Vormund eine stete Verführung, sich an dem Vermögen zu vergreife».
Wie nahe liegt dem Vormunde, welcher vielleicht selbst mit schweren Sorgen
und Geldverlegenheiten zu kämpfen hat, die Versuchung, das Mündelgeld zu
eignem Vorteile zu benutzen! Er weiß, daß seine Handlungsweise erst nach Jahr
und Tag bei Gelegenheit der Rechnungsablegung und, wenn der Gegcnvormund
sich hierbei den Vermögensbestand nicht nachweisen läßt oder im Einverständnis
mit ihm ist, erst bei Beendigung der Vormundschaft zutage kommt; bis dahin
hofft er dem Mündel alles mit Zinsen ersetzen zu können, so findet er sich mit
seinem Gewissen ab. Die Bestrafungen der Vormünder wegen Unterschlagung
von Mündelvermögen bilden eine traurige Statistik und nur die wenigsten Fälle
kommen zur Anzeige, da der Vormund meist der Familie des Mündels ange¬
hört, und diese um ihrer eignen Ehre willen die Denunziation unterläßt. Viel
häufiger sind die Fälle, in welchen nach beendeter Vormundschaft die Mündel
von dem nachlässigen oder untreuen Vormunde ihr Vermögen vor dem Zivil¬
richter zu erstreiten suchen; auch diese Prozesse sind nichts weniger als er¬
quicklich.

Die Vormundschaftsordnung ist, wie fast alle Gesetze der siebziger Jahre,
von einem gewissen idealen Zuge getragen, welcher die höchsten Anforderungen
an die Menschen stellt, ihre Schwächen und Verirrungen zu wenig berücksichtigt.
Aber gerade dem Gesetzgeber dürfte solcher Idealismus am wenigste» ziemen.
Man muß sich doch fragen, ob nicht der Staat, der auch jetzt noch regelmäßig
die Vormünder bestellt, also die Mündel zwingt, ihr Vermöge» einem Fremden
in die Hände zu geben, nicht die moralische Pflicht habe, dafür zu sorge», daß
das Mündelvermögcn mindestens in seinem Bestände erhalten bleibe. Freilich
giebt auch die Vormundschaftsorduung dem Richter das Recht, von dem Vor¬
munde Kaution zu verlangen, aber zugleich dem Vormunde die Befugnis, falls
ein solches Ansinnen an ihn gestellt wird, die Übernahme der Vormundschaft,
welche bekanntlich sonst obligatorisch ist, abzulehnen. Von dieser Befugnis
macheu denu auch die Vormünder selbstverständlich in allen Fällen Gebrauch;
es ist ihne» lästig genug, eine Vormundschaft mit umfangreicher Vermögens¬
verwaltung zu führe», geschweige denn, daß sie geneigt sei» sollten, hierfür uoch
eine Kaution aus ihrem eignen Vermögen zu stellen. Die ganze Vorschrift
über die Kautionspflicht der Vormünder ist daher unwirksam und ohne prak¬
tische Anwendung. Aber mehr noch als alles bisher Erörterte droht dem
im Besitze des Vormunds befindlichen Mündelvermögen die Gefahr unWirt-


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[0371] Zur preußischen Vormundschaftsordnung. der Vormund nur mit Genehmigung des Vormnndschaftsrichters über das Ver¬ mögen ferner dispomren kann, so würde damit die prinzipielle Selbständigkeit des Vormunds beseitigt und die landrechtliche Vorschrift wiederhergestellt werden. Und doch wäre diese Maßregel recht zweckmäßig, nicht bloß um das Mündel¬ vermögen gegen Angriffe von außen, sondern vor allem, um es gegen den Vor¬ mund selbst zu schützen. Der Besitz des Geldes ist für jeden nicht ganz charakter¬ fester Vormund eine stete Verführung, sich an dem Vermögen zu vergreife». Wie nahe liegt dem Vormunde, welcher vielleicht selbst mit schweren Sorgen und Geldverlegenheiten zu kämpfen hat, die Versuchung, das Mündelgeld zu eignem Vorteile zu benutzen! Er weiß, daß seine Handlungsweise erst nach Jahr und Tag bei Gelegenheit der Rechnungsablegung und, wenn der Gegcnvormund sich hierbei den Vermögensbestand nicht nachweisen läßt oder im Einverständnis mit ihm ist, erst bei Beendigung der Vormundschaft zutage kommt; bis dahin hofft er dem Mündel alles mit Zinsen ersetzen zu können, so findet er sich mit seinem Gewissen ab. Die Bestrafungen der Vormünder wegen Unterschlagung von Mündelvermögen bilden eine traurige Statistik und nur die wenigsten Fälle kommen zur Anzeige, da der Vormund meist der Familie des Mündels ange¬ hört, und diese um ihrer eignen Ehre willen die Denunziation unterläßt. Viel häufiger sind die Fälle, in welchen nach beendeter Vormundschaft die Mündel von dem nachlässigen oder untreuen Vormunde ihr Vermögen vor dem Zivil¬ richter zu erstreiten suchen; auch diese Prozesse sind nichts weniger als er¬ quicklich. Die Vormundschaftsordnung ist, wie fast alle Gesetze der siebziger Jahre, von einem gewissen idealen Zuge getragen, welcher die höchsten Anforderungen an die Menschen stellt, ihre Schwächen und Verirrungen zu wenig berücksichtigt. Aber gerade dem Gesetzgeber dürfte solcher Idealismus am wenigste» ziemen. Man muß sich doch fragen, ob nicht der Staat, der auch jetzt noch regelmäßig die Vormünder bestellt, also die Mündel zwingt, ihr Vermöge» einem Fremden in die Hände zu geben, nicht die moralische Pflicht habe, dafür zu sorge», daß das Mündelvermögcn mindestens in seinem Bestände erhalten bleibe. Freilich giebt auch die Vormundschaftsorduung dem Richter das Recht, von dem Vor¬ munde Kaution zu verlangen, aber zugleich dem Vormunde die Befugnis, falls ein solches Ansinnen an ihn gestellt wird, die Übernahme der Vormundschaft, welche bekanntlich sonst obligatorisch ist, abzulehnen. Von dieser Befugnis macheu denu auch die Vormünder selbstverständlich in allen Fällen Gebrauch; es ist ihne» lästig genug, eine Vormundschaft mit umfangreicher Vermögens¬ verwaltung zu führe», geschweige denn, daß sie geneigt sei» sollten, hierfür uoch eine Kaution aus ihrem eignen Vermögen zu stellen. Die ganze Vorschrift über die Kautionspflicht der Vormünder ist daher unwirksam und ohne prak¬ tische Anwendung. Aber mehr noch als alles bisher Erörterte droht dem im Besitze des Vormunds befindlichen Mündelvermögen die Gefahr unWirt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/371>, abgerufen am 21.06.2024.