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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

Vermehrer des nationalen Wohlstandes eine ganz andre Stellung ein, und diese
Städte sind, wie im Mittelciltcr, vor allem die Punkte, welche die deutsche Ein¬
wanderung aussucht. Doch ist auch die Zahl der deutschen Landbewohner in
Polen nicht unbeträchtlich; besonders im Weichselthale und hauptsächlich in den
Strichen, die früher zur preußischen Monarchie gehörten, sind deutsche Kolo¬
nisten als Erbpächter des großen Grundbesitzes auf etwa 12000 Gehöften an¬
gesiedelt. Die russische Regierung sucht den Einfluß der Deutschen in Polen
viel weniger einzuschränken als in den Ostseeprovinzen. Sie spielt dort den
Deutschen gegen deu Polen aus. Das Polentum mag hier durch das Deutsch¬
tum geschwächt und in Schach erhalten werden, bis Zeit und Gelegenheit kommt,
beide abzuthun."

Daß es auch im asiatischen Rußland deutsche Kolonien in ziemlicher An¬
zahl giebt, ist bekannt. Wir können aber im Nahmen dieser Besprechung keine
ausführlichen Mitteilungen darüber machen. Hier nur soviel, daß dieselben sich
über Sibirien und Transkaukasien erstrecken, daß sie im letztern Lande, zehn an
der Zahl, sich über die Gouvernements Stawropol, Kuban, Tiflis und Jclisfabet-
Pol verteilen, daß sie nach der letzten Zählung von 8876 Seelen bewohnt waren,
und daß ihre Gründer würtenbergische Sektirer waren, die an das baldige
Herankommen des tausendjährigen Reiches glaubten, weshalb sie lange Zeit nicht
an den Bau von Häusern und fleißiges Erwerben dachten.




Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

as preußische Allgemeine Landrecht bestimmt (Z 1, II, 18):
"Personen, welche für sich selbst zu sorgen außer stände sind,
stehen unter der besondern Aussicht und Vorsorge des Staates."
Dieser schöne Grundsatz ist dem alten deutschen Rechte entlehnt,
wonach alles, was recht- oder hilflos war, wie Fremde, Geistliche,
Unmündige u. a., sich des besondern "Königsschutzes" erfreute. Während jedoch
die andern Formen des "Königsschutzes" im Mittelalter allmählich abstarben,
ehielt sich derselbe und fand seine weitere Entwicklung und Ausbildung im
Vormundschaftswesen. Ursprünglich ein reiner Familicnschutz, den die nächsten
Angehörigen und Erben des Mündels im eigennützigen Interesse über dessen
Person und Gut ausübten, wurde die Vormundschaft infolge des Königsschutzes
frühzeitig in Deutschland unter die Aufsicht des Staates gestellt und diese
Kontrole im Laufe der Zeit vielfach erweitert. Die gesteigerten Anforderungen.


Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

Vermehrer des nationalen Wohlstandes eine ganz andre Stellung ein, und diese
Städte sind, wie im Mittelciltcr, vor allem die Punkte, welche die deutsche Ein¬
wanderung aussucht. Doch ist auch die Zahl der deutschen Landbewohner in
Polen nicht unbeträchtlich; besonders im Weichselthale und hauptsächlich in den
Strichen, die früher zur preußischen Monarchie gehörten, sind deutsche Kolo¬
nisten als Erbpächter des großen Grundbesitzes auf etwa 12000 Gehöften an¬
gesiedelt. Die russische Regierung sucht den Einfluß der Deutschen in Polen
viel weniger einzuschränken als in den Ostseeprovinzen. Sie spielt dort den
Deutschen gegen deu Polen aus. Das Polentum mag hier durch das Deutsch¬
tum geschwächt und in Schach erhalten werden, bis Zeit und Gelegenheit kommt,
beide abzuthun."

Daß es auch im asiatischen Rußland deutsche Kolonien in ziemlicher An¬
zahl giebt, ist bekannt. Wir können aber im Nahmen dieser Besprechung keine
ausführlichen Mitteilungen darüber machen. Hier nur soviel, daß dieselben sich
über Sibirien und Transkaukasien erstrecken, daß sie im letztern Lande, zehn an
der Zahl, sich über die Gouvernements Stawropol, Kuban, Tiflis und Jclisfabet-
Pol verteilen, daß sie nach der letzten Zählung von 8876 Seelen bewohnt waren,
und daß ihre Gründer würtenbergische Sektirer waren, die an das baldige
Herankommen des tausendjährigen Reiches glaubten, weshalb sie lange Zeit nicht
an den Bau von Häusern und fleißiges Erwerben dachten.




Zur preußischen Vormundschaftsordnung.

as preußische Allgemeine Landrecht bestimmt (Z 1, II, 18):
„Personen, welche für sich selbst zu sorgen außer stände sind,
stehen unter der besondern Aussicht und Vorsorge des Staates."
Dieser schöne Grundsatz ist dem alten deutschen Rechte entlehnt,
wonach alles, was recht- oder hilflos war, wie Fremde, Geistliche,
Unmündige u. a., sich des besondern „Königsschutzes" erfreute. Während jedoch
die andern Formen des „Königsschutzes" im Mittelalter allmählich abstarben,
ehielt sich derselbe und fand seine weitere Entwicklung und Ausbildung im
Vormundschaftswesen. Ursprünglich ein reiner Familicnschutz, den die nächsten
Angehörigen und Erben des Mündels im eigennützigen Interesse über dessen
Person und Gut ausübten, wurde die Vormundschaft infolge des Königsschutzes
frühzeitig in Deutschland unter die Aufsicht des Staates gestellt und diese
Kontrole im Laufe der Zeit vielfach erweitert. Die gesteigerten Anforderungen.


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[0367] Zur preußischen Vormundschaftsordnung. Vermehrer des nationalen Wohlstandes eine ganz andre Stellung ein, und diese Städte sind, wie im Mittelciltcr, vor allem die Punkte, welche die deutsche Ein¬ wanderung aussucht. Doch ist auch die Zahl der deutschen Landbewohner in Polen nicht unbeträchtlich; besonders im Weichselthale und hauptsächlich in den Strichen, die früher zur preußischen Monarchie gehörten, sind deutsche Kolo¬ nisten als Erbpächter des großen Grundbesitzes auf etwa 12000 Gehöften an¬ gesiedelt. Die russische Regierung sucht den Einfluß der Deutschen in Polen viel weniger einzuschränken als in den Ostseeprovinzen. Sie spielt dort den Deutschen gegen deu Polen aus. Das Polentum mag hier durch das Deutsch¬ tum geschwächt und in Schach erhalten werden, bis Zeit und Gelegenheit kommt, beide abzuthun." Daß es auch im asiatischen Rußland deutsche Kolonien in ziemlicher An¬ zahl giebt, ist bekannt. Wir können aber im Nahmen dieser Besprechung keine ausführlichen Mitteilungen darüber machen. Hier nur soviel, daß dieselben sich über Sibirien und Transkaukasien erstrecken, daß sie im letztern Lande, zehn an der Zahl, sich über die Gouvernements Stawropol, Kuban, Tiflis und Jclisfabet- Pol verteilen, daß sie nach der letzten Zählung von 8876 Seelen bewohnt waren, und daß ihre Gründer würtenbergische Sektirer waren, die an das baldige Herankommen des tausendjährigen Reiches glaubten, weshalb sie lange Zeit nicht an den Bau von Häusern und fleißiges Erwerben dachten. Zur preußischen Vormundschaftsordnung. as preußische Allgemeine Landrecht bestimmt (Z 1, II, 18): „Personen, welche für sich selbst zu sorgen außer stände sind, stehen unter der besondern Aussicht und Vorsorge des Staates." Dieser schöne Grundsatz ist dem alten deutschen Rechte entlehnt, wonach alles, was recht- oder hilflos war, wie Fremde, Geistliche, Unmündige u. a., sich des besondern „Königsschutzes" erfreute. Während jedoch die andern Formen des „Königsschutzes" im Mittelalter allmählich abstarben, ehielt sich derselbe und fand seine weitere Entwicklung und Ausbildung im Vormundschaftswesen. Ursprünglich ein reiner Familicnschutz, den die nächsten Angehörigen und Erben des Mündels im eigennützigen Interesse über dessen Person und Gut ausübten, wurde die Vormundschaft infolge des Königsschutzes frühzeitig in Deutschland unter die Aufsicht des Staates gestellt und diese Kontrole im Laufe der Zeit vielfach erweitert. Die gesteigerten Anforderungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/367>, abgerufen am 21.06.2024.