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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die deutsche Diaspora im Dsten Europas.

gaben Zuerst) die Verwüstung und Entvölkerung, welche die Einfalle der Mon¬
golen über diese Striche gebracht hatte". hinter dem Dschengischan Batu,
Temudschins Enkel, in den Jahren 1237 bis 1241, wo sie erst Wladimir,
Kiew und Moskau, dann Krakau und Breslau nebst vielen andern Städten
und Dörfern verbrannten,) Die Fürsten, die Bischöfe und namentlich die Klöster,
welche Ansiedler aus Deutschland herbeiriefen, versprachen und verliehen den¬
selben große Vorrechte, u, ni. die Selbstverwaltung und die eigne Wahl ihrer
Schulzen, Die Ankömmlinge gründeten mehrere Städte und legten ihrer Mu-
nizipalregierung das Magdeburger Recht zu gründe. . . , Aber obwohl das¬
selbe den Gemeinden die vollständige administrative Unabhängigkeit sicherte, hin¬
derte es diese Städter nicht, allmählich zu Polen zu werden wie die Deutschen,
die sich auf dem platten Lande niedergelassen hatten," Dazu halfen nach der
Reformation besonders die Jesuiten mit ihrem Bekehrungseifer, der auch Ge¬
waltanwendung nicht verschmähte. Von 2000 protestantischen Gemeinden, die
es im sechzehnten Jahrhundert hier gab, hatten sich 1775 nur 2 erhalten. Die
übrige" hatten mit dem katholischen Glauben auch die polnische Nationalität
angenommen. Die jetzt zu den Deutschen gezählten Einwohner Polens befinden
sich erst seit einigen Jahrzehnten, einige seit 1795, dem Jahre der zweiten Tei¬
lung, hier, und sie sind, mit Ausnahme von ungefähr 10000 Seelen, sämtlich
Evangelische, "Im Jahre 1821 lebten im Bereiche des damaligen Polens 1640 000
Deutsche unter 20200000 Rutheuen, Polen. Juden (2110000), Lithauern.
Moskowitern und Rumänen, In dem Gebiete, welches heute als Königreich
Polen bezeichnet wird, d. h. in den Gouvernements Warschau, Raton, Piotrkvw,
Kalisch, Kielee, Ludim, Siedlee, Plock, Suwalki und Loma beträgt die Zahl der
Dentschen ungefähr 400000 (nach der 1873 veranstaltete" Zählung 370 356)
Seelen," Will mau die Juden dazu rechnen, die aus Deutschland, namentlich vom
Rhein und aus Franken Zuerst unter Kasimir dem Großen, um 1330) einwan¬
derten und noch jetzt eine Art von Deutsch mit Beimischung hebräischer Aus¬
drücke reden, aber ihre eignen, durchaus nicht deutschen Sitten haben, so würde
man in Polen "och etwa 800 000 Deutsche mehr zu verzeichnen haben. "In
einigen Städten bilden unsre Volksgenossen und die deutschsprechenden Juden
schon die Mehrheit der Einwohner. Lodz, die zweite Stadt des Weichsel-
gouvernemeuts, ist seiner Sprache nach mehr deutsch als polnisch, es hatte 1882
eine Bevölkerung von 57 000 Seelen, und darunter befanden sich 20000 luthe¬
rische Deutsche. In Warschau machten die Dentschen nach den: Zensus von
1870 zwar nur den fünfundzwanzigsten Teil der Einwohnerschaft aus, aber ein
Drittel der letztern bediente sich zu Hause und sonst im gewöhnlichen Verkehr
"ut Umgang unsrer Sprache." Im alten Polen, der Republik der Edelleute
ersten und zweiten Ranges, spielten die Städte, von denen einige, wie bemerkt,
deutsche Gründungen waren, eine sehr untergeordnete Rolle, sie waren "wie Al-
tropfen auf einem Teiche." Heute dagegen nehmen sie als Produzenten und


Die deutsche Diaspora im Dsten Europas.

gaben Zuerst) die Verwüstung und Entvölkerung, welche die Einfalle der Mon¬
golen über diese Striche gebracht hatte». hinter dem Dschengischan Batu,
Temudschins Enkel, in den Jahren 1237 bis 1241, wo sie erst Wladimir,
Kiew und Moskau, dann Krakau und Breslau nebst vielen andern Städten
und Dörfern verbrannten,) Die Fürsten, die Bischöfe und namentlich die Klöster,
welche Ansiedler aus Deutschland herbeiriefen, versprachen und verliehen den¬
selben große Vorrechte, u, ni. die Selbstverwaltung und die eigne Wahl ihrer
Schulzen, Die Ankömmlinge gründeten mehrere Städte und legten ihrer Mu-
nizipalregierung das Magdeburger Recht zu gründe. . . , Aber obwohl das¬
selbe den Gemeinden die vollständige administrative Unabhängigkeit sicherte, hin¬
derte es diese Städter nicht, allmählich zu Polen zu werden wie die Deutschen,
die sich auf dem platten Lande niedergelassen hatten," Dazu halfen nach der
Reformation besonders die Jesuiten mit ihrem Bekehrungseifer, der auch Ge¬
waltanwendung nicht verschmähte. Von 2000 protestantischen Gemeinden, die
es im sechzehnten Jahrhundert hier gab, hatten sich 1775 nur 2 erhalten. Die
übrige» hatten mit dem katholischen Glauben auch die polnische Nationalität
angenommen. Die jetzt zu den Deutschen gezählten Einwohner Polens befinden
sich erst seit einigen Jahrzehnten, einige seit 1795, dem Jahre der zweiten Tei¬
lung, hier, und sie sind, mit Ausnahme von ungefähr 10000 Seelen, sämtlich
Evangelische, „Im Jahre 1821 lebten im Bereiche des damaligen Polens 1640 000
Deutsche unter 20200000 Rutheuen, Polen. Juden (2110000), Lithauern.
Moskowitern und Rumänen, In dem Gebiete, welches heute als Königreich
Polen bezeichnet wird, d. h. in den Gouvernements Warschau, Raton, Piotrkvw,
Kalisch, Kielee, Ludim, Siedlee, Plock, Suwalki und Loma beträgt die Zahl der
Dentschen ungefähr 400000 (nach der 1873 veranstaltete» Zählung 370 356)
Seelen," Will mau die Juden dazu rechnen, die aus Deutschland, namentlich vom
Rhein und aus Franken Zuerst unter Kasimir dem Großen, um 1330) einwan¬
derten und noch jetzt eine Art von Deutsch mit Beimischung hebräischer Aus¬
drücke reden, aber ihre eignen, durchaus nicht deutschen Sitten haben, so würde
man in Polen »och etwa 800 000 Deutsche mehr zu verzeichnen haben. „In
einigen Städten bilden unsre Volksgenossen und die deutschsprechenden Juden
schon die Mehrheit der Einwohner. Lodz, die zweite Stadt des Weichsel-
gouvernemeuts, ist seiner Sprache nach mehr deutsch als polnisch, es hatte 1882
eine Bevölkerung von 57 000 Seelen, und darunter befanden sich 20000 luthe¬
rische Deutsche. In Warschau machten die Dentschen nach den: Zensus von
1870 zwar nur den fünfundzwanzigsten Teil der Einwohnerschaft aus, aber ein
Drittel der letztern bediente sich zu Hause und sonst im gewöhnlichen Verkehr
»ut Umgang unsrer Sprache." Im alten Polen, der Republik der Edelleute
ersten und zweiten Ranges, spielten die Städte, von denen einige, wie bemerkt,
deutsche Gründungen waren, eine sehr untergeordnete Rolle, sie waren „wie Al-
tropfen auf einem Teiche." Heute dagegen nehmen sie als Produzenten und


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[0366] Die deutsche Diaspora im Dsten Europas. gaben Zuerst) die Verwüstung und Entvölkerung, welche die Einfalle der Mon¬ golen über diese Striche gebracht hatte». hinter dem Dschengischan Batu, Temudschins Enkel, in den Jahren 1237 bis 1241, wo sie erst Wladimir, Kiew und Moskau, dann Krakau und Breslau nebst vielen andern Städten und Dörfern verbrannten,) Die Fürsten, die Bischöfe und namentlich die Klöster, welche Ansiedler aus Deutschland herbeiriefen, versprachen und verliehen den¬ selben große Vorrechte, u, ni. die Selbstverwaltung und die eigne Wahl ihrer Schulzen, Die Ankömmlinge gründeten mehrere Städte und legten ihrer Mu- nizipalregierung das Magdeburger Recht zu gründe. . . , Aber obwohl das¬ selbe den Gemeinden die vollständige administrative Unabhängigkeit sicherte, hin¬ derte es diese Städter nicht, allmählich zu Polen zu werden wie die Deutschen, die sich auf dem platten Lande niedergelassen hatten," Dazu halfen nach der Reformation besonders die Jesuiten mit ihrem Bekehrungseifer, der auch Ge¬ waltanwendung nicht verschmähte. Von 2000 protestantischen Gemeinden, die es im sechzehnten Jahrhundert hier gab, hatten sich 1775 nur 2 erhalten. Die übrige» hatten mit dem katholischen Glauben auch die polnische Nationalität angenommen. Die jetzt zu den Deutschen gezählten Einwohner Polens befinden sich erst seit einigen Jahrzehnten, einige seit 1795, dem Jahre der zweiten Tei¬ lung, hier, und sie sind, mit Ausnahme von ungefähr 10000 Seelen, sämtlich Evangelische, „Im Jahre 1821 lebten im Bereiche des damaligen Polens 1640 000 Deutsche unter 20200000 Rutheuen, Polen. Juden (2110000), Lithauern. Moskowitern und Rumänen, In dem Gebiete, welches heute als Königreich Polen bezeichnet wird, d. h. in den Gouvernements Warschau, Raton, Piotrkvw, Kalisch, Kielee, Ludim, Siedlee, Plock, Suwalki und Loma beträgt die Zahl der Dentschen ungefähr 400000 (nach der 1873 veranstaltete» Zählung 370 356) Seelen," Will mau die Juden dazu rechnen, die aus Deutschland, namentlich vom Rhein und aus Franken Zuerst unter Kasimir dem Großen, um 1330) einwan¬ derten und noch jetzt eine Art von Deutsch mit Beimischung hebräischer Aus¬ drücke reden, aber ihre eignen, durchaus nicht deutschen Sitten haben, so würde man in Polen »och etwa 800 000 Deutsche mehr zu verzeichnen haben. „In einigen Städten bilden unsre Volksgenossen und die deutschsprechenden Juden schon die Mehrheit der Einwohner. Lodz, die zweite Stadt des Weichsel- gouvernemeuts, ist seiner Sprache nach mehr deutsch als polnisch, es hatte 1882 eine Bevölkerung von 57 000 Seelen, und darunter befanden sich 20000 luthe¬ rische Deutsche. In Warschau machten die Dentschen nach den: Zensus von 1870 zwar nur den fünfundzwanzigsten Teil der Einwohnerschaft aus, aber ein Drittel der letztern bediente sich zu Hause und sonst im gewöhnlichen Verkehr »ut Umgang unsrer Sprache." Im alten Polen, der Republik der Edelleute ersten und zweiten Ranges, spielten die Städte, von denen einige, wie bemerkt, deutsche Gründungen waren, eine sehr untergeordnete Rolle, sie waren „wie Al- tropfen auf einem Teiche." Heute dagegen nehmen sie als Produzenten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/366>, abgerufen am 21.06.2024.