Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Die deutsche Diaspora im Vsten Lnropas. abgeschnitten wurde, wo diese Hunderte von Deutschen köpften, spießten, ersäuften Wir haben nun nur noch einen Teil des weiten Zarenreiches, soweit es Die deutsche Diaspora im Vsten Lnropas. abgeschnitten wurde, wo diese Hunderte von Deutschen köpften, spießten, ersäuften Wir haben nun nur noch einen Teil des weiten Zarenreiches, soweit es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156636"/> <fw type="header" place="top"> Die deutsche Diaspora im Vsten Lnropas.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1570" prev="#ID_1569"> abgeschnitten wurde, wo diese Hunderte von Deutschen köpften, spießten, ersäuften<lb/> und von Pferden zerstampfen ließen, und wo die Kolonisten in grausamer Ver¬<lb/> geltung kirgisische Gefangene lebendig am Feuer brieten, sind längst vorbei."<lb/> Jenes wilde Stcppcnvolk ist mir noch insofern unbequem, als es dem Pferde-<lb/> dicbstahl ergeben ist. Die deutschen Kolonien an der Wolga liegen zu beiden<lb/> Seiten dieses mächtigen Stromes, und zwar in großen Komplexen, von denen<lb/> der bedeutendere sich auf dem linken Ufer zwischen den Flüssen Jrgis und<lb/> Jarnslcm, der kleinere sich uns dem rechten, der „Bergseite," befindet. „Der<lb/> ganze Strich ist kahle, baumlose Steppe. Das wenige Holz, welches die Kolo¬<lb/> nisten in den Thalgriindcn vorfanden, fiel schnell vor ihren Äxten, und nur<lb/> hier und dort sind an geeigneten Stellen wieder Anpflanzungen erfolgt. Für<lb/> solche haben die Ansiedler meist wenig Sinn, es seien denn Äpfel^ oder Kirsch¬<lb/> gärten; denn das »thut Geld antrage.« Aber trotz ihrer Kahlheit sind diese<lb/> Steppen schön, wenn befruchtender Regen auf sie niederfällt. Dann wogt der<lb/> stolze Bocksbart auf und nieder, Malve und Mandelstrcmch, Tulpen und Lilien<lb/> blühen neben einander, und weit und breit ist das Land übersäet mit wilden<lb/> Rosenbüschen." Die meisten der Kolonisten sind Protestanten. Diese haben<lb/> 122 Ortschaften inne, von denen mehrere 2000 bis 5000 Einwohner zählen.<lb/> Die Katholiken wohnen in 42 kleineren Dörfern. In der neuesten Zeit sind<lb/> auch Mennoniten aus Jekaterinoslaw und Taurien hier eingewandert, die fünf<lb/> Kolonien gegründet haben. Endlich besteht hier die Herrnhuternnsiedlnng Sarepta,<lb/> die 1765 angelegt wurde und 1877 gegen 1000 Einwohner hatte. Die Kolonie<lb/> besitzt ein sehr bedeutendes Stück Land, 17 578 Hektaren, treibt aber verhältnis¬<lb/> mäßig wenig Ackerbau und Viehzucht. Dagegen beschäftigt man sich im Orte<lb/> mit allerlei andern Geschäften und Gewerben, namentlich mit der Fabrikation<lb/> von Senfmehl und Senföl, womit die hierzu errichteten beiden Fabriken ganz<lb/> Rußland versorgen. Auch diese Ansiedlung wurde bei ihrer Gründung von der<lb/> russischen Regierung mit wertvollen Privilegien ausgestattet. Dieselben sind<lb/> aber jetzt durch den Ukas von 1877 insoweit aufgehoben, als die Kolonisten<lb/> auch hier unter den für die übrigen Staatsangehörigen geltenden Bestimmungen<lb/> stehen und beispielsweise die Befreiung von der Pflicht, im Heere zu dienen,<lb/> auch für diese Mitglieder der Brüdcrgemeine aufgehört hat. Doch haben sie<lb/> bis zum Juni 1887 das Recht, auszuwandern, und davon hat mancher bereits<lb/> Gebrauch gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1571" next="#ID_1572"> Wir haben nun nur noch einen Teil des weiten Zarenreiches, soweit es<lb/> zu Europa gerechnet wird, zu betrachten, und zwar denjenigen, der uns am<lb/> nächsten liegt und uns deshalb am meisten interessirt, zumal da der Deutsche,<lb/> hier von der Regierung aus politischen Gründen bis auf die neueste Zeit viel¬<lb/> fach begünstigt, sich sehr nachdrücklich Geltung und Einfluß zu erwerben gewußt<lb/> hat. Wir meinen das Königreich Polen. Der Verfasser unsrer Schrift be¬<lb/> richtet darüber: „Die Veranlassung zur Einwanderung deutscher Kolonisten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
Die deutsche Diaspora im Vsten Lnropas.
abgeschnitten wurde, wo diese Hunderte von Deutschen köpften, spießten, ersäuften
und von Pferden zerstampfen ließen, und wo die Kolonisten in grausamer Ver¬
geltung kirgisische Gefangene lebendig am Feuer brieten, sind längst vorbei."
Jenes wilde Stcppcnvolk ist mir noch insofern unbequem, als es dem Pferde-
dicbstahl ergeben ist. Die deutschen Kolonien an der Wolga liegen zu beiden
Seiten dieses mächtigen Stromes, und zwar in großen Komplexen, von denen
der bedeutendere sich auf dem linken Ufer zwischen den Flüssen Jrgis und
Jarnslcm, der kleinere sich uns dem rechten, der „Bergseite," befindet. „Der
ganze Strich ist kahle, baumlose Steppe. Das wenige Holz, welches die Kolo¬
nisten in den Thalgriindcn vorfanden, fiel schnell vor ihren Äxten, und nur
hier und dort sind an geeigneten Stellen wieder Anpflanzungen erfolgt. Für
solche haben die Ansiedler meist wenig Sinn, es seien denn Äpfel^ oder Kirsch¬
gärten; denn das »thut Geld antrage.« Aber trotz ihrer Kahlheit sind diese
Steppen schön, wenn befruchtender Regen auf sie niederfällt. Dann wogt der
stolze Bocksbart auf und nieder, Malve und Mandelstrcmch, Tulpen und Lilien
blühen neben einander, und weit und breit ist das Land übersäet mit wilden
Rosenbüschen." Die meisten der Kolonisten sind Protestanten. Diese haben
122 Ortschaften inne, von denen mehrere 2000 bis 5000 Einwohner zählen.
Die Katholiken wohnen in 42 kleineren Dörfern. In der neuesten Zeit sind
auch Mennoniten aus Jekaterinoslaw und Taurien hier eingewandert, die fünf
Kolonien gegründet haben. Endlich besteht hier die Herrnhuternnsiedlnng Sarepta,
die 1765 angelegt wurde und 1877 gegen 1000 Einwohner hatte. Die Kolonie
besitzt ein sehr bedeutendes Stück Land, 17 578 Hektaren, treibt aber verhältnis¬
mäßig wenig Ackerbau und Viehzucht. Dagegen beschäftigt man sich im Orte
mit allerlei andern Geschäften und Gewerben, namentlich mit der Fabrikation
von Senfmehl und Senföl, womit die hierzu errichteten beiden Fabriken ganz
Rußland versorgen. Auch diese Ansiedlung wurde bei ihrer Gründung von der
russischen Regierung mit wertvollen Privilegien ausgestattet. Dieselben sind
aber jetzt durch den Ukas von 1877 insoweit aufgehoben, als die Kolonisten
auch hier unter den für die übrigen Staatsangehörigen geltenden Bestimmungen
stehen und beispielsweise die Befreiung von der Pflicht, im Heere zu dienen,
auch für diese Mitglieder der Brüdcrgemeine aufgehört hat. Doch haben sie
bis zum Juni 1887 das Recht, auszuwandern, und davon hat mancher bereits
Gebrauch gemacht.
Wir haben nun nur noch einen Teil des weiten Zarenreiches, soweit es
zu Europa gerechnet wird, zu betrachten, und zwar denjenigen, der uns am
nächsten liegt und uns deshalb am meisten interessirt, zumal da der Deutsche,
hier von der Regierung aus politischen Gründen bis auf die neueste Zeit viel¬
fach begünstigt, sich sehr nachdrücklich Geltung und Einfluß zu erwerben gewußt
hat. Wir meinen das Königreich Polen. Der Verfasser unsrer Schrift be¬
richtet darüber: „Die Veranlassung zur Einwanderung deutscher Kolonisten
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