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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Lrden.

an dem Orte fest. Es war ein zu bedeutungsvoller Moment für sie, sie fühlte,
daß ihr Schicksal sich hier entscheiden mußte. Zitternd schlich sie ganz an die
Weißdornhecke heran und kämpfte gegen den Krampf ihres Herzens, um zu
horchen.

Es war der Augenblick, in welchem sich Laurette ganz dem Ausbruche ihrer
Leidenschaft überließ.

Kann er der Verführung solcher Leidenschaft widerstehen? fragte sie sich
verzweifelnd. Hätte Paul nachgegeben, sie würde ihn entschuldigt, aber verab¬
scheut haben. Sie wagte es nicht, sich zu schmeicheln, daß sie mehr Macht be¬
sitze als diese Zauberin, aber sie würde in jenem Falle in ihrem Herzen alle
Liebe zu ihm erstickt haben, und hätte sie davon den Tod erleiden müssen. Sie
wartete mit unbeschreiblicher Angst auf seine Antwort.

Ach! Es war ein Moment des Triumphs und der höchsten Freude, als
sie hörte, wie er dieser Feuerglut mit unerschütterlicher Kälte begegnete, als sie
sah, wie er sich den Verführungskünsten der Sirene entzog. Nina fühlte bei
dem Ungestüm, mit welchem Paul die Gräfin unterbrach, als diese von ihr selbst
reden wollte, daß seine Liebe zu ihr innig und aufrichtig war wie ihre eigene
Liebe.

Als Laurette und Paul sich entfernt hatten, war sie, von den erlittenen
Aufregungen überwältigt, auf die Ruhebank hingesunken, von der sie Pauls
Nahen aufgeschreckt hatte.

Es gelang Paul bald, die Geliebte zu beruhigen. Die Gewißheit der
gegenseitigen Liebe erfüllte ihre Herzen mit einem Gefühl des Glückes und Ver¬
trauens, dem sie sich voll Zärtlichkeit überließen. Nachdem Rina ihn später
verlassen hatte, war Paul noch lange in süßen Trümmer verloren im Garten
umhergewandelt.

Als er endlich daran dachte, in das Hans seiner Schwester zurückzu¬
kehren, war im Kurhause bereits jedes Licht erloschen, und es herrschte die
tiefste Stille. Er fand die Hausthür verschlossen. Um sich öffnen zu lassen,
hätte er einen klatschhaften Portier wecken müssen, und zog es deshalb vor, für
diese Nacht die Gastfreundschaft Josefs in Anspruch zu nehmen, wobei er sich
mit innerlicher Freude sagte, daß er wenigstens in Ninas Nähe sein werde.

Aber am andern Morgen hielt er es für geraten, schon in früher Stunde
nach Hanse zu gehen, damit die gute Adele sich nicht Sorge um ihn mache.
Er schlüpfte daher sacht in den Korridor, in der Hoffnung, die Pforte
unten bereits offen zu finden, während die ganze Badegcsellschnft noch in Schlaf
versunken war. Zum Unglück sahen ihn einige von der Dienerschaft, und noch
vor dem Frühstück war die Neuigkeit verbreitet, daß Herr Amardi die Nacht
im Kurhause zugebracht hatte. Warum? Wie? Wo? Ach so! antwortete man
auf diese Fragen mit boshaftem Vergnügen, und raunte sich einige Worte
ins Ohr.

Alle Damen -- und die Gräfin Beldoni war eine der ersten -- schrieen,
das sei ein Skandal, der nicht geduldet werden dürfe.

(Fortsetzung folgt.)




Die Lngel auf Lrden.

an dem Orte fest. Es war ein zu bedeutungsvoller Moment für sie, sie fühlte,
daß ihr Schicksal sich hier entscheiden mußte. Zitternd schlich sie ganz an die
Weißdornhecke heran und kämpfte gegen den Krampf ihres Herzens, um zu
horchen.

Es war der Augenblick, in welchem sich Laurette ganz dem Ausbruche ihrer
Leidenschaft überließ.

Kann er der Verführung solcher Leidenschaft widerstehen? fragte sie sich
verzweifelnd. Hätte Paul nachgegeben, sie würde ihn entschuldigt, aber verab¬
scheut haben. Sie wagte es nicht, sich zu schmeicheln, daß sie mehr Macht be¬
sitze als diese Zauberin, aber sie würde in jenem Falle in ihrem Herzen alle
Liebe zu ihm erstickt haben, und hätte sie davon den Tod erleiden müssen. Sie
wartete mit unbeschreiblicher Angst auf seine Antwort.

Ach! Es war ein Moment des Triumphs und der höchsten Freude, als
sie hörte, wie er dieser Feuerglut mit unerschütterlicher Kälte begegnete, als sie
sah, wie er sich den Verführungskünsten der Sirene entzog. Nina fühlte bei
dem Ungestüm, mit welchem Paul die Gräfin unterbrach, als diese von ihr selbst
reden wollte, daß seine Liebe zu ihr innig und aufrichtig war wie ihre eigene
Liebe.

Als Laurette und Paul sich entfernt hatten, war sie, von den erlittenen
Aufregungen überwältigt, auf die Ruhebank hingesunken, von der sie Pauls
Nahen aufgeschreckt hatte.

Es gelang Paul bald, die Geliebte zu beruhigen. Die Gewißheit der
gegenseitigen Liebe erfüllte ihre Herzen mit einem Gefühl des Glückes und Ver¬
trauens, dem sie sich voll Zärtlichkeit überließen. Nachdem Rina ihn später
verlassen hatte, war Paul noch lange in süßen Trümmer verloren im Garten
umhergewandelt.

Als er endlich daran dachte, in das Hans seiner Schwester zurückzu¬
kehren, war im Kurhause bereits jedes Licht erloschen, und es herrschte die
tiefste Stille. Er fand die Hausthür verschlossen. Um sich öffnen zu lassen,
hätte er einen klatschhaften Portier wecken müssen, und zog es deshalb vor, für
diese Nacht die Gastfreundschaft Josefs in Anspruch zu nehmen, wobei er sich
mit innerlicher Freude sagte, daß er wenigstens in Ninas Nähe sein werde.

Aber am andern Morgen hielt er es für geraten, schon in früher Stunde
nach Hanse zu gehen, damit die gute Adele sich nicht Sorge um ihn mache.
Er schlüpfte daher sacht in den Korridor, in der Hoffnung, die Pforte
unten bereits offen zu finden, während die ganze Badegcsellschnft noch in Schlaf
versunken war. Zum Unglück sahen ihn einige von der Dienerschaft, und noch
vor dem Frühstück war die Neuigkeit verbreitet, daß Herr Amardi die Nacht
im Kurhause zugebracht hatte. Warum? Wie? Wo? Ach so! antwortete man
auf diese Fragen mit boshaftem Vergnügen, und raunte sich einige Worte
ins Ohr.

Alle Damen — und die Gräfin Beldoni war eine der ersten — schrieen,
das sei ein Skandal, der nicht geduldet werden dürfe.

(Fortsetzung folgt.)




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[0348] Die Lngel auf Lrden. an dem Orte fest. Es war ein zu bedeutungsvoller Moment für sie, sie fühlte, daß ihr Schicksal sich hier entscheiden mußte. Zitternd schlich sie ganz an die Weißdornhecke heran und kämpfte gegen den Krampf ihres Herzens, um zu horchen. Es war der Augenblick, in welchem sich Laurette ganz dem Ausbruche ihrer Leidenschaft überließ. Kann er der Verführung solcher Leidenschaft widerstehen? fragte sie sich verzweifelnd. Hätte Paul nachgegeben, sie würde ihn entschuldigt, aber verab¬ scheut haben. Sie wagte es nicht, sich zu schmeicheln, daß sie mehr Macht be¬ sitze als diese Zauberin, aber sie würde in jenem Falle in ihrem Herzen alle Liebe zu ihm erstickt haben, und hätte sie davon den Tod erleiden müssen. Sie wartete mit unbeschreiblicher Angst auf seine Antwort. Ach! Es war ein Moment des Triumphs und der höchsten Freude, als sie hörte, wie er dieser Feuerglut mit unerschütterlicher Kälte begegnete, als sie sah, wie er sich den Verführungskünsten der Sirene entzog. Nina fühlte bei dem Ungestüm, mit welchem Paul die Gräfin unterbrach, als diese von ihr selbst reden wollte, daß seine Liebe zu ihr innig und aufrichtig war wie ihre eigene Liebe. Als Laurette und Paul sich entfernt hatten, war sie, von den erlittenen Aufregungen überwältigt, auf die Ruhebank hingesunken, von der sie Pauls Nahen aufgeschreckt hatte. Es gelang Paul bald, die Geliebte zu beruhigen. Die Gewißheit der gegenseitigen Liebe erfüllte ihre Herzen mit einem Gefühl des Glückes und Ver¬ trauens, dem sie sich voll Zärtlichkeit überließen. Nachdem Rina ihn später verlassen hatte, war Paul noch lange in süßen Trümmer verloren im Garten umhergewandelt. Als er endlich daran dachte, in das Hans seiner Schwester zurückzu¬ kehren, war im Kurhause bereits jedes Licht erloschen, und es herrschte die tiefste Stille. Er fand die Hausthür verschlossen. Um sich öffnen zu lassen, hätte er einen klatschhaften Portier wecken müssen, und zog es deshalb vor, für diese Nacht die Gastfreundschaft Josefs in Anspruch zu nehmen, wobei er sich mit innerlicher Freude sagte, daß er wenigstens in Ninas Nähe sein werde. Aber am andern Morgen hielt er es für geraten, schon in früher Stunde nach Hanse zu gehen, damit die gute Adele sich nicht Sorge um ihn mache. Er schlüpfte daher sacht in den Korridor, in der Hoffnung, die Pforte unten bereits offen zu finden, während die ganze Badegcsellschnft noch in Schlaf versunken war. Zum Unglück sahen ihn einige von der Dienerschaft, und noch vor dem Frühstück war die Neuigkeit verbreitet, daß Herr Amardi die Nacht im Kurhause zugebracht hatte. Warum? Wie? Wo? Ach so! antwortete man auf diese Fragen mit boshaftem Vergnügen, und raunte sich einige Worte ins Ohr. Alle Damen — und die Gräfin Beldoni war eine der ersten — schrieen, das sei ein Skandal, der nicht geduldet werden dürfe. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/348>, abgerufen am 22.06.2024.