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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Paul Lindaus Mayo.

vallerieoffizier, welcher von dem Parquet der Berliner Salons unmittelbar in
den Sand der nordamerikanischen Prärien gesprungen ist, in die neuen Ver¬
hältnisse hinein. Für Jeffersons Rechnung übernimmt er die Leitung eines
großen Viehtransports durch unwirtliche und unsichere Gegenden, und es ge¬
lingt ihm, diese Aufgabe glänzend zu lösen. Auf der Reise durch die Sand¬
wüsten von Arizona erlebt er nun ein Abenteuer, dessen Heldin der Novelle
den Namen gegeben. Mayo ist eine Indianerin, welche sich nach ihrer Weise in
den blonden Deutschen verliebt hat und ihn auf seiner abenteuerlichen Fahrt eine
Zeit lang begleitet. Lindau hat eine so umständliche Beschreibung ihrer körper¬
lichen Reize geliefert, daß mau inne wird, mit welchem Nutzen er die plastischen
Schilderungen seines Freundes Spielhagen gelesen hat. Desto verwahrloster ist
Mayo in bezug auf ihre geistige Entwicklung. Wenn wir uun annehmen dürfen,
daß Lindau mit nichts hinter dem Berge hält, hat sich Ritter Georg während
seines Spazierritts durch die Wüste ausschließlich mit der geistigen Ausbildung
Mnyos beschäftigt. Der junge" Indianerin sind diese pädagogischen Übungen
am Ende langweilig geworden, und sie benutzt eine günstige Gelegenheit, zu
ihrem Stamme zurückzukehren, wo sich ein brauner Jüngling befindet, mit dem
sie sich besser verständigen kann als mit dem weißen Manne. Dieser hat auch
seine Thorheit bald eingesehen. Als ihm Mayo eines Tages zum Nachtisch
die nassen Kerne einer Frucht ins Gesicht wirft, verfliegt sein Liebesrausch. Der
Maun der europäischen Zivilisation kann das unappetitliche Essen mit den
Fingern nicht leiden, und dieses zwar ungewöhnliche, aber immerhin schwer in
die Wagschale fallende Motiv führt eine psychische Umwälzung herbei. Als
Georg nach glücklich beendigtem Geschäft zu Jefferson zurückkehrt, findet er auch
Jeffersons Tochter, Rosini, wieder, die er ebenfalls auf der Überfahrt kennen
gelernt und die schon damals eine Neigung für ihn gefaßt hat. Die über¬
raschende Beobachtung, daß Rosini mit Hilfe von Gabel und Messer viel an¬
mutiger und zierlicher ißt als die uuzivilisirte Mayo, führt Georg zur Er¬
kenntnis seines wahren Hcrzenszustaudcs. Da Papa Jefferson mit merkwürdiger
Schnelligkeit seinen Segen giebt, erreicht die Amcrikafahrt des preußischen Leut¬
nants einen Abschluß, welcher den Leser zwar befriedigt, ihn aber nicht gerade
überrascht, da sich diese Lösung auch ohne' scharfe Divinationsgabe voraus¬
sehen ließ.

Selbst zu einem Novellisten, welcher nur auf das nächste Ziel losgeht, eine
spannende Unterhaltung zu liefern, fehlt Lindau sogut wie alles. Wenn sich
auch alle übrigen Mängel durch die Routine beschönigen lassen -- wo die
Phantasie ganz und gar ausgeblieben ist, bleibt Schmalhans Küchenmeister.
Hier kaun Lindau nicht einmal mit Brachvogel oder Meding wetteifern, welche
auch in ihren schwächsten Produkte" den Leser immer noch zu einer gewissen
Erregung zu führen wußten. Eine Novelle von Paul Lindau hat eine gewisse
Ähnlichkeit mit einem wohlgeführten kaufmännischen Kontobuch. Die einzelnen


Paul Lindaus Mayo.

vallerieoffizier, welcher von dem Parquet der Berliner Salons unmittelbar in
den Sand der nordamerikanischen Prärien gesprungen ist, in die neuen Ver¬
hältnisse hinein. Für Jeffersons Rechnung übernimmt er die Leitung eines
großen Viehtransports durch unwirtliche und unsichere Gegenden, und es ge¬
lingt ihm, diese Aufgabe glänzend zu lösen. Auf der Reise durch die Sand¬
wüsten von Arizona erlebt er nun ein Abenteuer, dessen Heldin der Novelle
den Namen gegeben. Mayo ist eine Indianerin, welche sich nach ihrer Weise in
den blonden Deutschen verliebt hat und ihn auf seiner abenteuerlichen Fahrt eine
Zeit lang begleitet. Lindau hat eine so umständliche Beschreibung ihrer körper¬
lichen Reize geliefert, daß mau inne wird, mit welchem Nutzen er die plastischen
Schilderungen seines Freundes Spielhagen gelesen hat. Desto verwahrloster ist
Mayo in bezug auf ihre geistige Entwicklung. Wenn wir uun annehmen dürfen,
daß Lindau mit nichts hinter dem Berge hält, hat sich Ritter Georg während
seines Spazierritts durch die Wüste ausschließlich mit der geistigen Ausbildung
Mnyos beschäftigt. Der junge» Indianerin sind diese pädagogischen Übungen
am Ende langweilig geworden, und sie benutzt eine günstige Gelegenheit, zu
ihrem Stamme zurückzukehren, wo sich ein brauner Jüngling befindet, mit dem
sie sich besser verständigen kann als mit dem weißen Manne. Dieser hat auch
seine Thorheit bald eingesehen. Als ihm Mayo eines Tages zum Nachtisch
die nassen Kerne einer Frucht ins Gesicht wirft, verfliegt sein Liebesrausch. Der
Maun der europäischen Zivilisation kann das unappetitliche Essen mit den
Fingern nicht leiden, und dieses zwar ungewöhnliche, aber immerhin schwer in
die Wagschale fallende Motiv führt eine psychische Umwälzung herbei. Als
Georg nach glücklich beendigtem Geschäft zu Jefferson zurückkehrt, findet er auch
Jeffersons Tochter, Rosini, wieder, die er ebenfalls auf der Überfahrt kennen
gelernt und die schon damals eine Neigung für ihn gefaßt hat. Die über¬
raschende Beobachtung, daß Rosini mit Hilfe von Gabel und Messer viel an¬
mutiger und zierlicher ißt als die uuzivilisirte Mayo, führt Georg zur Er¬
kenntnis seines wahren Hcrzenszustaudcs. Da Papa Jefferson mit merkwürdiger
Schnelligkeit seinen Segen giebt, erreicht die Amcrikafahrt des preußischen Leut¬
nants einen Abschluß, welcher den Leser zwar befriedigt, ihn aber nicht gerade
überrascht, da sich diese Lösung auch ohne' scharfe Divinationsgabe voraus¬
sehen ließ.

Selbst zu einem Novellisten, welcher nur auf das nächste Ziel losgeht, eine
spannende Unterhaltung zu liefern, fehlt Lindau sogut wie alles. Wenn sich
auch alle übrigen Mängel durch die Routine beschönigen lassen — wo die
Phantasie ganz und gar ausgeblieben ist, bleibt Schmalhans Küchenmeister.
Hier kaun Lindau nicht einmal mit Brachvogel oder Meding wetteifern, welche
auch in ihren schwächsten Produkte» den Leser immer noch zu einer gewissen
Erregung zu führen wußten. Eine Novelle von Paul Lindau hat eine gewisse
Ähnlichkeit mit einem wohlgeführten kaufmännischen Kontobuch. Die einzelnen


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[0341] Paul Lindaus Mayo. vallerieoffizier, welcher von dem Parquet der Berliner Salons unmittelbar in den Sand der nordamerikanischen Prärien gesprungen ist, in die neuen Ver¬ hältnisse hinein. Für Jeffersons Rechnung übernimmt er die Leitung eines großen Viehtransports durch unwirtliche und unsichere Gegenden, und es ge¬ lingt ihm, diese Aufgabe glänzend zu lösen. Auf der Reise durch die Sand¬ wüsten von Arizona erlebt er nun ein Abenteuer, dessen Heldin der Novelle den Namen gegeben. Mayo ist eine Indianerin, welche sich nach ihrer Weise in den blonden Deutschen verliebt hat und ihn auf seiner abenteuerlichen Fahrt eine Zeit lang begleitet. Lindau hat eine so umständliche Beschreibung ihrer körper¬ lichen Reize geliefert, daß mau inne wird, mit welchem Nutzen er die plastischen Schilderungen seines Freundes Spielhagen gelesen hat. Desto verwahrloster ist Mayo in bezug auf ihre geistige Entwicklung. Wenn wir uun annehmen dürfen, daß Lindau mit nichts hinter dem Berge hält, hat sich Ritter Georg während seines Spazierritts durch die Wüste ausschließlich mit der geistigen Ausbildung Mnyos beschäftigt. Der junge» Indianerin sind diese pädagogischen Übungen am Ende langweilig geworden, und sie benutzt eine günstige Gelegenheit, zu ihrem Stamme zurückzukehren, wo sich ein brauner Jüngling befindet, mit dem sie sich besser verständigen kann als mit dem weißen Manne. Dieser hat auch seine Thorheit bald eingesehen. Als ihm Mayo eines Tages zum Nachtisch die nassen Kerne einer Frucht ins Gesicht wirft, verfliegt sein Liebesrausch. Der Maun der europäischen Zivilisation kann das unappetitliche Essen mit den Fingern nicht leiden, und dieses zwar ungewöhnliche, aber immerhin schwer in die Wagschale fallende Motiv führt eine psychische Umwälzung herbei. Als Georg nach glücklich beendigtem Geschäft zu Jefferson zurückkehrt, findet er auch Jeffersons Tochter, Rosini, wieder, die er ebenfalls auf der Überfahrt kennen gelernt und die schon damals eine Neigung für ihn gefaßt hat. Die über¬ raschende Beobachtung, daß Rosini mit Hilfe von Gabel und Messer viel an¬ mutiger und zierlicher ißt als die uuzivilisirte Mayo, führt Georg zur Er¬ kenntnis seines wahren Hcrzenszustaudcs. Da Papa Jefferson mit merkwürdiger Schnelligkeit seinen Segen giebt, erreicht die Amcrikafahrt des preußischen Leut¬ nants einen Abschluß, welcher den Leser zwar befriedigt, ihn aber nicht gerade überrascht, da sich diese Lösung auch ohne' scharfe Divinationsgabe voraus¬ sehen ließ. Selbst zu einem Novellisten, welcher nur auf das nächste Ziel losgeht, eine spannende Unterhaltung zu liefern, fehlt Lindau sogut wie alles. Wenn sich auch alle übrigen Mängel durch die Routine beschönigen lassen — wo die Phantasie ganz und gar ausgeblieben ist, bleibt Schmalhans Küchenmeister. Hier kaun Lindau nicht einmal mit Brachvogel oder Meding wetteifern, welche auch in ihren schwächsten Produkte» den Leser immer noch zu einer gewissen Erregung zu führen wußten. Eine Novelle von Paul Lindau hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem wohlgeführten kaufmännischen Kontobuch. Die einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/341>, abgerufen am 22.06.2024.