Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Paul Lindaus Mayo.

wie vor treu. Der Reklameapparat wird -- ohne sein Zuthun -- mit gewöhn¬
lichem Geschick gehandhabt, und der äußere Zuschnitt seiner Bücher wird mit
solchem Raffinement gestaltet, daß die Wirkung, namentlich auf Reisende, die
sich beim Koupcewechsel schnell mit Eisenbahnliteratur versehen wollen, nicht
ausbleibt. Man kann sagen, daß es Paul Lindau gelungen ist, Ernst Eckstein
aus den Schaukästen der Bahnhofsbuchhändler zu verdrängen. Zum Teil ver¬
dankt er diesen Sieg wohl der Betriebsamkeit seines Verlegers, der sich nicht
damit begnügt, die Titel von Lindaus Novellen mit Typen drucken zu lassen,
sondern der den Umschlag mit dem Autograph des Verfassers schmückt. So
liest mau auch 'auf der neuesten Novelle nach französischer Mode in blauen
Schriftzügen, die sich von dem glänzend Weißen Karton abheben: "Mayo von
Paul Lindau." Das sieht sehr apart aus und wird niemals seinen Eindruck
auf naive Gemüter verfehlen.

Lindau hat den Stoff zu dieser Novelle aus Nordamerika mitgebracht.
Seine Reise, welche er auf Einladung des Herrn Henry Villard zur Eröffnung
der Northern-Pacificbahn unternahm, ist also nicht ganz so ergebnislos gewesen,
wie man nach den in der Nationalzeitung veröffentlichten Schilderungen dieser
Reise schließen mußte. "Lindau als Novellist" ist noch eine verhältnismäßig
neue Etappe seiner literarischen Laufbahn. Abgesehen von einigen novellistischen
Versuchen, welche etwa um anderthalb Jahrzehnte zurückliegen, hat er dieses
Gebiet als gereifter Schriftsteller zum erstenmale vor drei Jahren betreten. In
"Herr und Frau Bewer" schilderte er die herbe Enttäuschung, deren Opfer ein
in Suckatra reich gewordener Kaufmann wird, welcher sich bei seiner Ankunft
in Berlin frischweg in eine Chansonettensängerin des Walhallatheaters verliebt
und sie ohne Zaudern heiratet. Die beiden Charaktere stimmen nicht zueinander,
und einem unerträglichen Zustande wird durch die Trennung der Ehe ein Ende
gemacht. Aus dieser Novelle führen einige Fäden in die 'neue hinüber. Wir
erfahren zu unserm Erstaunen, daß die ehemalige Chansoneitensängcrin, eine
"allerliebste Dame," "eine herzensgute, liebenswürdige, muntere, reizende Frau,"
sich des "allerbesten Rufes" erfreut, und daß eine Gesellschaft von ebenso tadel¬
losem Rufe in ihren Salons verkehrt, daß sogar ein Justizrat Miene machen
soll, sich um ihre Hand zu bewerben. Zu dieser Gesellschaft hat auch ein
Dragonerleutnant, Georg von Lützen, gehört, welcher jedoch die Thorheit be¬
gangen hat, in einer Nacht den beträchtlichen Rest seines Vermögens zu ver¬
spielen, und, da er von seiner Leutnantsgage nicht leben kann oder will, schnell
entschlossen nach den Vereinigten Staaten geht, um ddtt ein neues Lebett zu
beginUen. Auf dem Dampfer macht er die Bekanntschaft eines Herrn Jefferson,
mit welchem er später in Geschäftsverbindung tritt, nachdem er eine Zeit lang
als Bahnarbeiter, 'Klavierspieler und Pelztierjäger sein Dasein gefristet hat.
Mit "Merkwürdiger," fast "Unglaublicher" Geschicklichkeit -- merkwürdig und
unglaublich sind Lieblingsworte Paul Lindaus -- findet sich der elegante Ka"


Paul Lindaus Mayo.

wie vor treu. Der Reklameapparat wird — ohne sein Zuthun — mit gewöhn¬
lichem Geschick gehandhabt, und der äußere Zuschnitt seiner Bücher wird mit
solchem Raffinement gestaltet, daß die Wirkung, namentlich auf Reisende, die
sich beim Koupcewechsel schnell mit Eisenbahnliteratur versehen wollen, nicht
ausbleibt. Man kann sagen, daß es Paul Lindau gelungen ist, Ernst Eckstein
aus den Schaukästen der Bahnhofsbuchhändler zu verdrängen. Zum Teil ver¬
dankt er diesen Sieg wohl der Betriebsamkeit seines Verlegers, der sich nicht
damit begnügt, die Titel von Lindaus Novellen mit Typen drucken zu lassen,
sondern der den Umschlag mit dem Autograph des Verfassers schmückt. So
liest mau auch 'auf der neuesten Novelle nach französischer Mode in blauen
Schriftzügen, die sich von dem glänzend Weißen Karton abheben: „Mayo von
Paul Lindau." Das sieht sehr apart aus und wird niemals seinen Eindruck
auf naive Gemüter verfehlen.

Lindau hat den Stoff zu dieser Novelle aus Nordamerika mitgebracht.
Seine Reise, welche er auf Einladung des Herrn Henry Villard zur Eröffnung
der Northern-Pacificbahn unternahm, ist also nicht ganz so ergebnislos gewesen,
wie man nach den in der Nationalzeitung veröffentlichten Schilderungen dieser
Reise schließen mußte. „Lindau als Novellist" ist noch eine verhältnismäßig
neue Etappe seiner literarischen Laufbahn. Abgesehen von einigen novellistischen
Versuchen, welche etwa um anderthalb Jahrzehnte zurückliegen, hat er dieses
Gebiet als gereifter Schriftsteller zum erstenmale vor drei Jahren betreten. In
„Herr und Frau Bewer" schilderte er die herbe Enttäuschung, deren Opfer ein
in Suckatra reich gewordener Kaufmann wird, welcher sich bei seiner Ankunft
in Berlin frischweg in eine Chansonettensängerin des Walhallatheaters verliebt
und sie ohne Zaudern heiratet. Die beiden Charaktere stimmen nicht zueinander,
und einem unerträglichen Zustande wird durch die Trennung der Ehe ein Ende
gemacht. Aus dieser Novelle führen einige Fäden in die 'neue hinüber. Wir
erfahren zu unserm Erstaunen, daß die ehemalige Chansoneitensängcrin, eine
„allerliebste Dame," „eine herzensgute, liebenswürdige, muntere, reizende Frau,"
sich des „allerbesten Rufes" erfreut, und daß eine Gesellschaft von ebenso tadel¬
losem Rufe in ihren Salons verkehrt, daß sogar ein Justizrat Miene machen
soll, sich um ihre Hand zu bewerben. Zu dieser Gesellschaft hat auch ein
Dragonerleutnant, Georg von Lützen, gehört, welcher jedoch die Thorheit be¬
gangen hat, in einer Nacht den beträchtlichen Rest seines Vermögens zu ver¬
spielen, und, da er von seiner Leutnantsgage nicht leben kann oder will, schnell
entschlossen nach den Vereinigten Staaten geht, um ddtt ein neues Lebett zu
beginUen. Auf dem Dampfer macht er die Bekanntschaft eines Herrn Jefferson,
mit welchem er später in Geschäftsverbindung tritt, nachdem er eine Zeit lang
als Bahnarbeiter, 'Klavierspieler und Pelztierjäger sein Dasein gefristet hat.
Mit „Merkwürdiger," fast „Unglaublicher" Geschicklichkeit — merkwürdig und
unglaublich sind Lieblingsworte Paul Lindaus — findet sich der elegante Ka"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156611"/>
          <fw type="header" place="top"> Paul Lindaus Mayo.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1448" prev="#ID_1447"> wie vor treu. Der Reklameapparat wird &#x2014; ohne sein Zuthun &#x2014; mit gewöhn¬<lb/>
lichem Geschick gehandhabt, und der äußere Zuschnitt seiner Bücher wird mit<lb/>
solchem Raffinement gestaltet, daß die Wirkung, namentlich auf Reisende, die<lb/>
sich beim Koupcewechsel schnell mit Eisenbahnliteratur versehen wollen, nicht<lb/>
ausbleibt. Man kann sagen, daß es Paul Lindau gelungen ist, Ernst Eckstein<lb/>
aus den Schaukästen der Bahnhofsbuchhändler zu verdrängen. Zum Teil ver¬<lb/>
dankt er diesen Sieg wohl der Betriebsamkeit seines Verlegers, der sich nicht<lb/>
damit begnügt, die Titel von Lindaus Novellen mit Typen drucken zu lassen,<lb/>
sondern der den Umschlag mit dem Autograph des Verfassers schmückt. So<lb/>
liest mau auch 'auf der neuesten Novelle nach französischer Mode in blauen<lb/>
Schriftzügen, die sich von dem glänzend Weißen Karton abheben: &#x201E;Mayo von<lb/>
Paul Lindau." Das sieht sehr apart aus und wird niemals seinen Eindruck<lb/>
auf naive Gemüter verfehlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1449" next="#ID_1450"> Lindau hat den Stoff zu dieser Novelle aus Nordamerika mitgebracht.<lb/>
Seine Reise, welche er auf Einladung des Herrn Henry Villard zur Eröffnung<lb/>
der Northern-Pacificbahn unternahm, ist also nicht ganz so ergebnislos gewesen,<lb/>
wie man nach den in der Nationalzeitung veröffentlichten Schilderungen dieser<lb/>
Reise schließen mußte. &#x201E;Lindau als Novellist" ist noch eine verhältnismäßig<lb/>
neue Etappe seiner literarischen Laufbahn. Abgesehen von einigen novellistischen<lb/>
Versuchen, welche etwa um anderthalb Jahrzehnte zurückliegen, hat er dieses<lb/>
Gebiet als gereifter Schriftsteller zum erstenmale vor drei Jahren betreten. In<lb/>
&#x201E;Herr und Frau Bewer" schilderte er die herbe Enttäuschung, deren Opfer ein<lb/>
in Suckatra reich gewordener Kaufmann wird, welcher sich bei seiner Ankunft<lb/>
in Berlin frischweg in eine Chansonettensängerin des Walhallatheaters verliebt<lb/>
und sie ohne Zaudern heiratet. Die beiden Charaktere stimmen nicht zueinander,<lb/>
und einem unerträglichen Zustande wird durch die Trennung der Ehe ein Ende<lb/>
gemacht. Aus dieser Novelle führen einige Fäden in die 'neue hinüber. Wir<lb/>
erfahren zu unserm Erstaunen, daß die ehemalige Chansoneitensängcrin, eine<lb/>
&#x201E;allerliebste Dame," &#x201E;eine herzensgute, liebenswürdige, muntere, reizende Frau,"<lb/>
sich des &#x201E;allerbesten Rufes" erfreut, und daß eine Gesellschaft von ebenso tadel¬<lb/>
losem Rufe in ihren Salons verkehrt, daß sogar ein Justizrat Miene machen<lb/>
soll, sich um ihre Hand zu bewerben. Zu dieser Gesellschaft hat auch ein<lb/>
Dragonerleutnant, Georg von Lützen, gehört, welcher jedoch die Thorheit be¬<lb/>
gangen hat, in einer Nacht den beträchtlichen Rest seines Vermögens zu ver¬<lb/>
spielen, und, da er von seiner Leutnantsgage nicht leben kann oder will, schnell<lb/>
entschlossen nach den Vereinigten Staaten geht, um ddtt ein neues Lebett zu<lb/>
beginUen. Auf dem Dampfer macht er die Bekanntschaft eines Herrn Jefferson,<lb/>
mit welchem er später in Geschäftsverbindung tritt, nachdem er eine Zeit lang<lb/>
als Bahnarbeiter, 'Klavierspieler und Pelztierjäger sein Dasein gefristet hat.<lb/>
Mit &#x201E;Merkwürdiger," fast &#x201E;Unglaublicher" Geschicklichkeit &#x2014; merkwürdig und<lb/>
unglaublich sind Lieblingsworte Paul Lindaus &#x2014; findet sich der elegante Ka"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] Paul Lindaus Mayo. wie vor treu. Der Reklameapparat wird — ohne sein Zuthun — mit gewöhn¬ lichem Geschick gehandhabt, und der äußere Zuschnitt seiner Bücher wird mit solchem Raffinement gestaltet, daß die Wirkung, namentlich auf Reisende, die sich beim Koupcewechsel schnell mit Eisenbahnliteratur versehen wollen, nicht ausbleibt. Man kann sagen, daß es Paul Lindau gelungen ist, Ernst Eckstein aus den Schaukästen der Bahnhofsbuchhändler zu verdrängen. Zum Teil ver¬ dankt er diesen Sieg wohl der Betriebsamkeit seines Verlegers, der sich nicht damit begnügt, die Titel von Lindaus Novellen mit Typen drucken zu lassen, sondern der den Umschlag mit dem Autograph des Verfassers schmückt. So liest mau auch 'auf der neuesten Novelle nach französischer Mode in blauen Schriftzügen, die sich von dem glänzend Weißen Karton abheben: „Mayo von Paul Lindau." Das sieht sehr apart aus und wird niemals seinen Eindruck auf naive Gemüter verfehlen. Lindau hat den Stoff zu dieser Novelle aus Nordamerika mitgebracht. Seine Reise, welche er auf Einladung des Herrn Henry Villard zur Eröffnung der Northern-Pacificbahn unternahm, ist also nicht ganz so ergebnislos gewesen, wie man nach den in der Nationalzeitung veröffentlichten Schilderungen dieser Reise schließen mußte. „Lindau als Novellist" ist noch eine verhältnismäßig neue Etappe seiner literarischen Laufbahn. Abgesehen von einigen novellistischen Versuchen, welche etwa um anderthalb Jahrzehnte zurückliegen, hat er dieses Gebiet als gereifter Schriftsteller zum erstenmale vor drei Jahren betreten. In „Herr und Frau Bewer" schilderte er die herbe Enttäuschung, deren Opfer ein in Suckatra reich gewordener Kaufmann wird, welcher sich bei seiner Ankunft in Berlin frischweg in eine Chansonettensängerin des Walhallatheaters verliebt und sie ohne Zaudern heiratet. Die beiden Charaktere stimmen nicht zueinander, und einem unerträglichen Zustande wird durch die Trennung der Ehe ein Ende gemacht. Aus dieser Novelle führen einige Fäden in die 'neue hinüber. Wir erfahren zu unserm Erstaunen, daß die ehemalige Chansoneitensängcrin, eine „allerliebste Dame," „eine herzensgute, liebenswürdige, muntere, reizende Frau," sich des „allerbesten Rufes" erfreut, und daß eine Gesellschaft von ebenso tadel¬ losem Rufe in ihren Salons verkehrt, daß sogar ein Justizrat Miene machen soll, sich um ihre Hand zu bewerben. Zu dieser Gesellschaft hat auch ein Dragonerleutnant, Georg von Lützen, gehört, welcher jedoch die Thorheit be¬ gangen hat, in einer Nacht den beträchtlichen Rest seines Vermögens zu ver¬ spielen, und, da er von seiner Leutnantsgage nicht leben kann oder will, schnell entschlossen nach den Vereinigten Staaten geht, um ddtt ein neues Lebett zu beginUen. Auf dem Dampfer macht er die Bekanntschaft eines Herrn Jefferson, mit welchem er später in Geschäftsverbindung tritt, nachdem er eine Zeit lang als Bahnarbeiter, 'Klavierspieler und Pelztierjäger sein Dasein gefristet hat. Mit „Merkwürdiger," fast „Unglaublicher" Geschicklichkeit — merkwürdig und unglaublich sind Lieblingsworte Paul Lindaus — findet sich der elegante Ka"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/340>, abgerufen am 22.06.2024.