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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Paul Lindaus Mayo.

solchen Schaum am schnellsten und geschicktesten zu schlagen verstand, dieser
Figaro war der Held des Tages.

Freilich erfordert dieses Geschäft nicht bloß eine große Geschicklichkeit, son¬
dern auch eine ebenso große Zähigkeit, welche sich durch keine Fehlschlüge, durch
keine Niederlagen aus dem Gleichgewicht bringen läßt. Das pikante Feuilleton,
in welchem alles, Heiliges und Unheiliges, Erhabenes und niedriges. Tüchtiges
und Schwindelhaftes mit derselben blasirten Miene durchgehechelt wird, hat
schnell Nachahmer gefunden, die noch mehr Mutterwitz besitzen als der Verfasser
der "Rücksichtslosen Briefe," die verwegen genug sind, die Rücksichtslosigkeit bis
zur Ungezogenheit zu steigern und die in ihrem Stile mit derselben erkünstelten
Nachlässigkeit kokettiren wie Paul Lindau. Das verschlägt nichts. Man giebt
die geistreiche Plauderei auf und bindet sich eine ernsthafte Maske vor, womit
man zwei Kvups auf einmal ausführt. Zuerst wirkt mau durch den Kontrast.
Die Zeitungen verkünden, daß der ungezogene Liebling der Grazien mit einem
Schlage ein ernsthafter Mann geworden sei. Alle Welt ist natürlich neugierig,
wie der ernsthafte Paul Lindau aussehen mag, und alle Welt ist erstaunt
darüber, daß der leichte Spötter zugleich ein Mann von so gesundem Wissen
sein soll. Der andre Körp, der ausgeführt wird, richtet sich gegen die ver¬
einzelten Gegner, welche schließlich doch unbequem geworden sind. Ihnen wird
der Beweis geliefert, daß man kein einseitiger Plauderer für die Tagesunter¬
haltung ist, sondern daß man auch ein geistvoller Essayist sein kann, welcher
ernsthafte Themata mit kluger Miene behandelt. Auf dramatischem Gebiete
wird dieselbe Wandlung vollzogen. Der Mann, welcher sich früher begnügte,
eine Reihe von mehr oder minder drastischen Scherzen auf den dünnen Faden
einer dürftigen Handlung aufzureihen, denkt über tiefe psychologische und soziale
Probleme nach und schreibt Schauspiele wie "Johannistrieb," "Gräfin Lea"
und "Verschämte Arbeit." Es muß nun zur Schande unsrer Zeitgenossen ge¬
sagt werden, daß ein bei weitem größeres Publikum über die Narrenspossen
gelacht hat, welche in "Maria und Magdalena" und "Ein Erfolg" getrieben
werden, als sich Leute gefunden haben, welche den Vorlesungen über Psycho¬
logie und Moral, die den wesentlichen Inhalt der ernsthaften Dramenreihe Lindaus
bilden, ein geneigtes Ohr liehen, und es giebt auch Leute, welche behaupten,
daß der Verfasser der "Briefe eines deutschen Kleinstädters" viel amüsanter ge¬
wesen sei als der Berichterstatter der Kölnischen Zeitung, welcher die Ereignisse
des Berliner Lebens in einem Tone schildert, daß man Berlin für die lang¬
weiligste Stadt der Welt halten möchte.

Es scheint, daß sich Paul Lindau das Recht, für ernsthaft gehalten zu
werden, verscherzt hat. Man erwartet von seinen Reiseschilderungen sowohl wie
von seinen Novellen eine humoristische Unterhaltung und legt sie enttäuscht bei¬
seite, nachdem man gefunden hat, daß die alltäglichsten Ereignisse hier in nüch¬
ternem Geschäftstone erzählt werden. Gleichwohl bleibt ihm der Erfolg nach


Paul Lindaus Mayo.

solchen Schaum am schnellsten und geschicktesten zu schlagen verstand, dieser
Figaro war der Held des Tages.

Freilich erfordert dieses Geschäft nicht bloß eine große Geschicklichkeit, son¬
dern auch eine ebenso große Zähigkeit, welche sich durch keine Fehlschlüge, durch
keine Niederlagen aus dem Gleichgewicht bringen läßt. Das pikante Feuilleton,
in welchem alles, Heiliges und Unheiliges, Erhabenes und niedriges. Tüchtiges
und Schwindelhaftes mit derselben blasirten Miene durchgehechelt wird, hat
schnell Nachahmer gefunden, die noch mehr Mutterwitz besitzen als der Verfasser
der „Rücksichtslosen Briefe," die verwegen genug sind, die Rücksichtslosigkeit bis
zur Ungezogenheit zu steigern und die in ihrem Stile mit derselben erkünstelten
Nachlässigkeit kokettiren wie Paul Lindau. Das verschlägt nichts. Man giebt
die geistreiche Plauderei auf und bindet sich eine ernsthafte Maske vor, womit
man zwei Kvups auf einmal ausführt. Zuerst wirkt mau durch den Kontrast.
Die Zeitungen verkünden, daß der ungezogene Liebling der Grazien mit einem
Schlage ein ernsthafter Mann geworden sei. Alle Welt ist natürlich neugierig,
wie der ernsthafte Paul Lindau aussehen mag, und alle Welt ist erstaunt
darüber, daß der leichte Spötter zugleich ein Mann von so gesundem Wissen
sein soll. Der andre Körp, der ausgeführt wird, richtet sich gegen die ver¬
einzelten Gegner, welche schließlich doch unbequem geworden sind. Ihnen wird
der Beweis geliefert, daß man kein einseitiger Plauderer für die Tagesunter¬
haltung ist, sondern daß man auch ein geistvoller Essayist sein kann, welcher
ernsthafte Themata mit kluger Miene behandelt. Auf dramatischem Gebiete
wird dieselbe Wandlung vollzogen. Der Mann, welcher sich früher begnügte,
eine Reihe von mehr oder minder drastischen Scherzen auf den dünnen Faden
einer dürftigen Handlung aufzureihen, denkt über tiefe psychologische und soziale
Probleme nach und schreibt Schauspiele wie „Johannistrieb," „Gräfin Lea"
und „Verschämte Arbeit." Es muß nun zur Schande unsrer Zeitgenossen ge¬
sagt werden, daß ein bei weitem größeres Publikum über die Narrenspossen
gelacht hat, welche in „Maria und Magdalena" und „Ein Erfolg" getrieben
werden, als sich Leute gefunden haben, welche den Vorlesungen über Psycho¬
logie und Moral, die den wesentlichen Inhalt der ernsthaften Dramenreihe Lindaus
bilden, ein geneigtes Ohr liehen, und es giebt auch Leute, welche behaupten,
daß der Verfasser der „Briefe eines deutschen Kleinstädters" viel amüsanter ge¬
wesen sei als der Berichterstatter der Kölnischen Zeitung, welcher die Ereignisse
des Berliner Lebens in einem Tone schildert, daß man Berlin für die lang¬
weiligste Stadt der Welt halten möchte.

Es scheint, daß sich Paul Lindau das Recht, für ernsthaft gehalten zu
werden, verscherzt hat. Man erwartet von seinen Reiseschilderungen sowohl wie
von seinen Novellen eine humoristische Unterhaltung und legt sie enttäuscht bei¬
seite, nachdem man gefunden hat, daß die alltäglichsten Ereignisse hier in nüch¬
ternem Geschäftstone erzählt werden. Gleichwohl bleibt ihm der Erfolg nach


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[0339] Paul Lindaus Mayo. solchen Schaum am schnellsten und geschicktesten zu schlagen verstand, dieser Figaro war der Held des Tages. Freilich erfordert dieses Geschäft nicht bloß eine große Geschicklichkeit, son¬ dern auch eine ebenso große Zähigkeit, welche sich durch keine Fehlschlüge, durch keine Niederlagen aus dem Gleichgewicht bringen läßt. Das pikante Feuilleton, in welchem alles, Heiliges und Unheiliges, Erhabenes und niedriges. Tüchtiges und Schwindelhaftes mit derselben blasirten Miene durchgehechelt wird, hat schnell Nachahmer gefunden, die noch mehr Mutterwitz besitzen als der Verfasser der „Rücksichtslosen Briefe," die verwegen genug sind, die Rücksichtslosigkeit bis zur Ungezogenheit zu steigern und die in ihrem Stile mit derselben erkünstelten Nachlässigkeit kokettiren wie Paul Lindau. Das verschlägt nichts. Man giebt die geistreiche Plauderei auf und bindet sich eine ernsthafte Maske vor, womit man zwei Kvups auf einmal ausführt. Zuerst wirkt mau durch den Kontrast. Die Zeitungen verkünden, daß der ungezogene Liebling der Grazien mit einem Schlage ein ernsthafter Mann geworden sei. Alle Welt ist natürlich neugierig, wie der ernsthafte Paul Lindau aussehen mag, und alle Welt ist erstaunt darüber, daß der leichte Spötter zugleich ein Mann von so gesundem Wissen sein soll. Der andre Körp, der ausgeführt wird, richtet sich gegen die ver¬ einzelten Gegner, welche schließlich doch unbequem geworden sind. Ihnen wird der Beweis geliefert, daß man kein einseitiger Plauderer für die Tagesunter¬ haltung ist, sondern daß man auch ein geistvoller Essayist sein kann, welcher ernsthafte Themata mit kluger Miene behandelt. Auf dramatischem Gebiete wird dieselbe Wandlung vollzogen. Der Mann, welcher sich früher begnügte, eine Reihe von mehr oder minder drastischen Scherzen auf den dünnen Faden einer dürftigen Handlung aufzureihen, denkt über tiefe psychologische und soziale Probleme nach und schreibt Schauspiele wie „Johannistrieb," „Gräfin Lea" und „Verschämte Arbeit." Es muß nun zur Schande unsrer Zeitgenossen ge¬ sagt werden, daß ein bei weitem größeres Publikum über die Narrenspossen gelacht hat, welche in „Maria und Magdalena" und „Ein Erfolg" getrieben werden, als sich Leute gefunden haben, welche den Vorlesungen über Psycho¬ logie und Moral, die den wesentlichen Inhalt der ernsthaften Dramenreihe Lindaus bilden, ein geneigtes Ohr liehen, und es giebt auch Leute, welche behaupten, daß der Verfasser der „Briefe eines deutschen Kleinstädters" viel amüsanter ge¬ wesen sei als der Berichterstatter der Kölnischen Zeitung, welcher die Ereignisse des Berliner Lebens in einem Tone schildert, daß man Berlin für die lang¬ weiligste Stadt der Welt halten möchte. Es scheint, daß sich Paul Lindau das Recht, für ernsthaft gehalten zu werden, verscherzt hat. Man erwartet von seinen Reiseschilderungen sowohl wie von seinen Novellen eine humoristische Unterhaltung und legt sie enttäuscht bei¬ seite, nachdem man gefunden hat, daß die alltäglichsten Ereignisse hier in nüch¬ ternem Geschäftstone erzählt werden. Gleichwohl bleibt ihm der Erfolg nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/339>, abgerufen am 22.06.2024.