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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Paul Lindaus Ula^ö.

echten Provinzialblcitter von demselben auf wunderbare und völlig unerklärliche
Weise ergriffen werden.

Es ist selbstverständlich, daß ein Schriftsteller, der sich mit so festgegrün¬
deter Sicherheit auf der Höhe des literarischen Daseins bewegt wie Paul Lindau,
der natürlichen Wirkung seiner Persönlichkeit nicht etwa durch künstliche Mittel
nachhilft. Es fehlt freilich in unsrer Zeit nicht an berühmten Schriftstellern,
welche sich durch eine herablassende Korrespondenz mit kleinen Geistern in allen
Ecken und Enden der Provinz eine wohlwollende Beurteilung und einen be¬
geisterten Empfang sichern, sobald sie einmal Zufall oder Geschäft in einen
Provinzialwinkel führt. Aber diese geschickten Operateure sind bei uus doch
nur vereinzelte Existenzen, die noch keineswegs für den Schriftstellerstand typisch
sind. Die Mehrzahl sucht immer noch auf natürlichem Wege, durch den Ein¬
druck, den ihre Werke auf das unbefangene Publikum machen, vorwärts zu kommen.
Wenn der eine oder der andre dabei durch die außerordentliche und liebens¬
würdige Zuvorkommenheit der Presse unterstützt wird, so ist das sein besondres
Glück, welches wohl der Gegenstand des Neides, niemals aber des Vorwurfs
werden kann. Paul Lindau hat, ohne eine Hand zu seinen Gunsten zu rühren,
dieses Glück gehabt und besitzt es nach mehr als fünfzehnjähriger literarischer
Thätigkeit noch bis auf den heutigen Tag, wie u. a. die überwiegend gün¬
stigen Kritiken beweisen, welche seiner neuesten Novelle "Mayo" zuteil ge¬
worden sind.

Der Literarhistoriker der Zukunft freilich, welcher das enorme Zeitungs-
mnterial, das über Paul Lindau vorliegt, mit seiner leichten literarischen Bagage
vergleicht, wird über dieses Mißverhältnis zwischen Ursache und Wirkung er¬
staunt den Kopf schütteln. Er wird sich fragen, ob diese Lustspiele, diese
Sammlungen von Zeitungsfeuilletons, von literarischen und Theaterkritiken, diese
Plaudereien über nichtige und überflüssige Dinge, diese Erzählungen wirklich die
Quintessenz des literarischen Vermögens einer Epoche seien, welche unmittelbar
der großen Erregung eines Krieges gefolgt ist, dessen nationale Tendenz und
dessen politische Erfolge eine Stärkung und Vertiefung des Volksgeistes erwarten
ließen. Und wenn dieser Historiker nach der Lektüre von Lindaus sämtlichen
Werten wieder zu den Journalkritiken als ihren zeitgenössischen Kommentaren
greift, wird er zu seinem noch größern Erstaunen gewahr, daß in den Be¬
urteilungen Lindauschcr Schriften immer derselbe Refrain wiederkehrt: man lobt
die geistreiche und pikante Mache und weist triumphirend darauf hin, daß ein
deutscher Schriftsteller es soweit gebracht habe, mit den Franzosen an Witz und
Esprit, an Leichtigkeit der Darstellung, an Feinheit und Schliff des Stils zu
wetteifern! Darin sah man also in dem Jahrzehnt, in welchem die Erregung
des großen Krieges eigentlich noch kräftig und schwungvoll nachzittern sollte,
den höchsten Ehrgeiz eines Schriftstellers! Nur nichts Tiefes, Gediegenes und
Ernstes, sondern flüchtiger, in allen Farben glitzernder Seifenschaum, und wer


Paul Lindaus Ula^ö.

echten Provinzialblcitter von demselben auf wunderbare und völlig unerklärliche
Weise ergriffen werden.

Es ist selbstverständlich, daß ein Schriftsteller, der sich mit so festgegrün¬
deter Sicherheit auf der Höhe des literarischen Daseins bewegt wie Paul Lindau,
der natürlichen Wirkung seiner Persönlichkeit nicht etwa durch künstliche Mittel
nachhilft. Es fehlt freilich in unsrer Zeit nicht an berühmten Schriftstellern,
welche sich durch eine herablassende Korrespondenz mit kleinen Geistern in allen
Ecken und Enden der Provinz eine wohlwollende Beurteilung und einen be¬
geisterten Empfang sichern, sobald sie einmal Zufall oder Geschäft in einen
Provinzialwinkel führt. Aber diese geschickten Operateure sind bei uus doch
nur vereinzelte Existenzen, die noch keineswegs für den Schriftstellerstand typisch
sind. Die Mehrzahl sucht immer noch auf natürlichem Wege, durch den Ein¬
druck, den ihre Werke auf das unbefangene Publikum machen, vorwärts zu kommen.
Wenn der eine oder der andre dabei durch die außerordentliche und liebens¬
würdige Zuvorkommenheit der Presse unterstützt wird, so ist das sein besondres
Glück, welches wohl der Gegenstand des Neides, niemals aber des Vorwurfs
werden kann. Paul Lindau hat, ohne eine Hand zu seinen Gunsten zu rühren,
dieses Glück gehabt und besitzt es nach mehr als fünfzehnjähriger literarischer
Thätigkeit noch bis auf den heutigen Tag, wie u. a. die überwiegend gün¬
stigen Kritiken beweisen, welche seiner neuesten Novelle „Mayo" zuteil ge¬
worden sind.

Der Literarhistoriker der Zukunft freilich, welcher das enorme Zeitungs-
mnterial, das über Paul Lindau vorliegt, mit seiner leichten literarischen Bagage
vergleicht, wird über dieses Mißverhältnis zwischen Ursache und Wirkung er¬
staunt den Kopf schütteln. Er wird sich fragen, ob diese Lustspiele, diese
Sammlungen von Zeitungsfeuilletons, von literarischen und Theaterkritiken, diese
Plaudereien über nichtige und überflüssige Dinge, diese Erzählungen wirklich die
Quintessenz des literarischen Vermögens einer Epoche seien, welche unmittelbar
der großen Erregung eines Krieges gefolgt ist, dessen nationale Tendenz und
dessen politische Erfolge eine Stärkung und Vertiefung des Volksgeistes erwarten
ließen. Und wenn dieser Historiker nach der Lektüre von Lindaus sämtlichen
Werten wieder zu den Journalkritiken als ihren zeitgenössischen Kommentaren
greift, wird er zu seinem noch größern Erstaunen gewahr, daß in den Be¬
urteilungen Lindauschcr Schriften immer derselbe Refrain wiederkehrt: man lobt
die geistreiche und pikante Mache und weist triumphirend darauf hin, daß ein
deutscher Schriftsteller es soweit gebracht habe, mit den Franzosen an Witz und
Esprit, an Leichtigkeit der Darstellung, an Feinheit und Schliff des Stils zu
wetteifern! Darin sah man also in dem Jahrzehnt, in welchem die Erregung
des großen Krieges eigentlich noch kräftig und schwungvoll nachzittern sollte,
den höchsten Ehrgeiz eines Schriftstellers! Nur nichts Tiefes, Gediegenes und
Ernstes, sondern flüchtiger, in allen Farben glitzernder Seifenschaum, und wer


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[0338] Paul Lindaus Ula^ö. echten Provinzialblcitter von demselben auf wunderbare und völlig unerklärliche Weise ergriffen werden. Es ist selbstverständlich, daß ein Schriftsteller, der sich mit so festgegrün¬ deter Sicherheit auf der Höhe des literarischen Daseins bewegt wie Paul Lindau, der natürlichen Wirkung seiner Persönlichkeit nicht etwa durch künstliche Mittel nachhilft. Es fehlt freilich in unsrer Zeit nicht an berühmten Schriftstellern, welche sich durch eine herablassende Korrespondenz mit kleinen Geistern in allen Ecken und Enden der Provinz eine wohlwollende Beurteilung und einen be¬ geisterten Empfang sichern, sobald sie einmal Zufall oder Geschäft in einen Provinzialwinkel führt. Aber diese geschickten Operateure sind bei uus doch nur vereinzelte Existenzen, die noch keineswegs für den Schriftstellerstand typisch sind. Die Mehrzahl sucht immer noch auf natürlichem Wege, durch den Ein¬ druck, den ihre Werke auf das unbefangene Publikum machen, vorwärts zu kommen. Wenn der eine oder der andre dabei durch die außerordentliche und liebens¬ würdige Zuvorkommenheit der Presse unterstützt wird, so ist das sein besondres Glück, welches wohl der Gegenstand des Neides, niemals aber des Vorwurfs werden kann. Paul Lindau hat, ohne eine Hand zu seinen Gunsten zu rühren, dieses Glück gehabt und besitzt es nach mehr als fünfzehnjähriger literarischer Thätigkeit noch bis auf den heutigen Tag, wie u. a. die überwiegend gün¬ stigen Kritiken beweisen, welche seiner neuesten Novelle „Mayo" zuteil ge¬ worden sind. Der Literarhistoriker der Zukunft freilich, welcher das enorme Zeitungs- mnterial, das über Paul Lindau vorliegt, mit seiner leichten literarischen Bagage vergleicht, wird über dieses Mißverhältnis zwischen Ursache und Wirkung er¬ staunt den Kopf schütteln. Er wird sich fragen, ob diese Lustspiele, diese Sammlungen von Zeitungsfeuilletons, von literarischen und Theaterkritiken, diese Plaudereien über nichtige und überflüssige Dinge, diese Erzählungen wirklich die Quintessenz des literarischen Vermögens einer Epoche seien, welche unmittelbar der großen Erregung eines Krieges gefolgt ist, dessen nationale Tendenz und dessen politische Erfolge eine Stärkung und Vertiefung des Volksgeistes erwarten ließen. Und wenn dieser Historiker nach der Lektüre von Lindaus sämtlichen Werten wieder zu den Journalkritiken als ihren zeitgenössischen Kommentaren greift, wird er zu seinem noch größern Erstaunen gewahr, daß in den Be¬ urteilungen Lindauschcr Schriften immer derselbe Refrain wiederkehrt: man lobt die geistreiche und pikante Mache und weist triumphirend darauf hin, daß ein deutscher Schriftsteller es soweit gebracht habe, mit den Franzosen an Witz und Esprit, an Leichtigkeit der Darstellung, an Feinheit und Schliff des Stils zu wetteifern! Darin sah man also in dem Jahrzehnt, in welchem die Erregung des großen Krieges eigentlich noch kräftig und schwungvoll nachzittern sollte, den höchsten Ehrgeiz eines Schriftstellers! Nur nichts Tiefes, Gediegenes und Ernstes, sondern flüchtiger, in allen Farben glitzernder Seifenschaum, und wer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/338>, abgerufen am 22.06.2024.