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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

Satz enthält nach der Meinung vieler Erklärer eine Anspielung auf das
Prcußenlied, Das Werk besteht aus drei Sätzen und erinnert in Anlage und
Ausbau an die Antheus des großen Händel. Es ist, als wenn Brahms diesem
Meister, der nicht zu übertreffen ist, wo ein jubelndes Volk dargestellt sein will,
das Wort immer ließe, sobald es Hallelujah, Heil und Preis zu singen giebt.
Brahms selbst erscheint in den Partien, wo das Brausen des Hymnus sich zum
innigen Dankgefühle dämpfen will. Die schönste Stelle dieser Art ist der Schluß
des zweiten Satzes. "Lasset uns freuen :c.," den die beiden Chöre antiphonisch
durchführen, während aus dem Orchester wie über Glockengeläute hinweg der
Choral "Nun danket alle Gott" erklingt. Das "Triumphlied" ist ein Werk
für Musikfeste.

Unmittelbar vorher geht ihm eine kleinere Komposition für Chor und
Orchester, in welcher wir das eigenartige Wesen und die Kunst des Requiems
wie in einer Art Auszug vor uns haben. Es ist das Schicksalslied (c>x>. 54).
Der Text ist aus Hölderlins "Hyperion" und behandelt den Gegensatz zwischen
den himmlischen Genien und den sterblichen Menschen. Der erste Teil der
Komposition schildert in verklärten Tönen das ruhige Glück der schicksalslvsen
Olympier, der zweite in dämonischen und rührenden Zügen das grausame Loos
der Irdischen, die blindlings wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen dem
Ungewissen preisgegeben sind. In Seufzern verhallt diese ergreifende Szene,
und nun ergänzt der Komponist den Dichter mit einem genialen Zuge: indem
er wie aus der Ferne das selige Bild der Einleitung noch einmal vorüberziehen
läßt, als einen Ausdruck der Sehnsucht und der Verheißung zugleich.

Ein ähnlicher Gegensatz liegt auch dem letzten Chorwerke des Komponisten,
dem Gesang der Parzen aus Goethes "Iphigenie" (ox. 89, sechsstimmiger
Chor und Orchester), zu gründe. Dieses Werk ist durch eine ganz besondre Ein¬
fachheit und Gedrungenheit der musikalischen Darstellung ausgezeichnet: auf
eigentliche Polyphonie ist hier so gut wie verzichtet; höchstens geht der Chor in
die natürlichsten Gruppen von Männer- und Frauenstimmen auseinander. Alle
Kraft des Tonsetzers scheint hier auf die Bestimmtheit und den Charakter des
Ausdrucks gerichtet, und dieses Ziel ist in der größten Vollkommenheit erreicht.
Der Eindruck des Ganzen kommt dem Ideal, welches wir uns von der Wir¬
kung der antiken Musik gebildet haben, so nahe als möglich. Den Hauptteil des
Werkes beherrscht ein düsterer Zug: es beginnt in beklommenem Ton und erhebt
sich zu finsterer Größe; am Schlüsse, mit dem Eintritt des s, og.x>xöllg,-Satzes,
löst sich die Furcht und das bange Staunen in eine wehmütig ergebene Klage.
Brahms hat auch die Worte: "So sangen die Parzen :c." mitkomponirt, nach
unsrer Ansicht mit vollem Rechte. Sie gehören zum Gedichte wie eine Über¬
schrift, und in diesem Charakter läßt sie die Musik auch erkennen.

Eine hellenische Nüance trägt auch eine andre Chorkomposition von Brahms:
die Nünie (c>x. 82). Nur ist ihr Grundton der einer lieblichen Zartheit,


Johannes Brahms.

Satz enthält nach der Meinung vieler Erklärer eine Anspielung auf das
Prcußenlied, Das Werk besteht aus drei Sätzen und erinnert in Anlage und
Ausbau an die Antheus des großen Händel. Es ist, als wenn Brahms diesem
Meister, der nicht zu übertreffen ist, wo ein jubelndes Volk dargestellt sein will,
das Wort immer ließe, sobald es Hallelujah, Heil und Preis zu singen giebt.
Brahms selbst erscheint in den Partien, wo das Brausen des Hymnus sich zum
innigen Dankgefühle dämpfen will. Die schönste Stelle dieser Art ist der Schluß
des zweiten Satzes. „Lasset uns freuen :c.," den die beiden Chöre antiphonisch
durchführen, während aus dem Orchester wie über Glockengeläute hinweg der
Choral „Nun danket alle Gott" erklingt. Das „Triumphlied" ist ein Werk
für Musikfeste.

Unmittelbar vorher geht ihm eine kleinere Komposition für Chor und
Orchester, in welcher wir das eigenartige Wesen und die Kunst des Requiems
wie in einer Art Auszug vor uns haben. Es ist das Schicksalslied (c>x>. 54).
Der Text ist aus Hölderlins „Hyperion" und behandelt den Gegensatz zwischen
den himmlischen Genien und den sterblichen Menschen. Der erste Teil der
Komposition schildert in verklärten Tönen das ruhige Glück der schicksalslvsen
Olympier, der zweite in dämonischen und rührenden Zügen das grausame Loos
der Irdischen, die blindlings wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen dem
Ungewissen preisgegeben sind. In Seufzern verhallt diese ergreifende Szene,
und nun ergänzt der Komponist den Dichter mit einem genialen Zuge: indem
er wie aus der Ferne das selige Bild der Einleitung noch einmal vorüberziehen
läßt, als einen Ausdruck der Sehnsucht und der Verheißung zugleich.

Ein ähnlicher Gegensatz liegt auch dem letzten Chorwerke des Komponisten,
dem Gesang der Parzen aus Goethes „Iphigenie" (ox. 89, sechsstimmiger
Chor und Orchester), zu gründe. Dieses Werk ist durch eine ganz besondre Ein¬
fachheit und Gedrungenheit der musikalischen Darstellung ausgezeichnet: auf
eigentliche Polyphonie ist hier so gut wie verzichtet; höchstens geht der Chor in
die natürlichsten Gruppen von Männer- und Frauenstimmen auseinander. Alle
Kraft des Tonsetzers scheint hier auf die Bestimmtheit und den Charakter des
Ausdrucks gerichtet, und dieses Ziel ist in der größten Vollkommenheit erreicht.
Der Eindruck des Ganzen kommt dem Ideal, welches wir uns von der Wir¬
kung der antiken Musik gebildet haben, so nahe als möglich. Den Hauptteil des
Werkes beherrscht ein düsterer Zug: es beginnt in beklommenem Ton und erhebt
sich zu finsterer Größe; am Schlüsse, mit dem Eintritt des s, og.x>xöllg,-Satzes,
löst sich die Furcht und das bange Staunen in eine wehmütig ergebene Klage.
Brahms hat auch die Worte: „So sangen die Parzen :c." mitkomponirt, nach
unsrer Ansicht mit vollem Rechte. Sie gehören zum Gedichte wie eine Über¬
schrift, und in diesem Charakter läßt sie die Musik auch erkennen.

Eine hellenische Nüance trägt auch eine andre Chorkomposition von Brahms:
die Nünie (c>x. 82). Nur ist ihr Grundton der einer lieblichen Zartheit,


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[0324] Johannes Brahms. Satz enthält nach der Meinung vieler Erklärer eine Anspielung auf das Prcußenlied, Das Werk besteht aus drei Sätzen und erinnert in Anlage und Ausbau an die Antheus des großen Händel. Es ist, als wenn Brahms diesem Meister, der nicht zu übertreffen ist, wo ein jubelndes Volk dargestellt sein will, das Wort immer ließe, sobald es Hallelujah, Heil und Preis zu singen giebt. Brahms selbst erscheint in den Partien, wo das Brausen des Hymnus sich zum innigen Dankgefühle dämpfen will. Die schönste Stelle dieser Art ist der Schluß des zweiten Satzes. „Lasset uns freuen :c.," den die beiden Chöre antiphonisch durchführen, während aus dem Orchester wie über Glockengeläute hinweg der Choral „Nun danket alle Gott" erklingt. Das „Triumphlied" ist ein Werk für Musikfeste. Unmittelbar vorher geht ihm eine kleinere Komposition für Chor und Orchester, in welcher wir das eigenartige Wesen und die Kunst des Requiems wie in einer Art Auszug vor uns haben. Es ist das Schicksalslied (c>x>. 54). Der Text ist aus Hölderlins „Hyperion" und behandelt den Gegensatz zwischen den himmlischen Genien und den sterblichen Menschen. Der erste Teil der Komposition schildert in verklärten Tönen das ruhige Glück der schicksalslvsen Olympier, der zweite in dämonischen und rührenden Zügen das grausame Loos der Irdischen, die blindlings wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen dem Ungewissen preisgegeben sind. In Seufzern verhallt diese ergreifende Szene, und nun ergänzt der Komponist den Dichter mit einem genialen Zuge: indem er wie aus der Ferne das selige Bild der Einleitung noch einmal vorüberziehen läßt, als einen Ausdruck der Sehnsucht und der Verheißung zugleich. Ein ähnlicher Gegensatz liegt auch dem letzten Chorwerke des Komponisten, dem Gesang der Parzen aus Goethes „Iphigenie" (ox. 89, sechsstimmiger Chor und Orchester), zu gründe. Dieses Werk ist durch eine ganz besondre Ein¬ fachheit und Gedrungenheit der musikalischen Darstellung ausgezeichnet: auf eigentliche Polyphonie ist hier so gut wie verzichtet; höchstens geht der Chor in die natürlichsten Gruppen von Männer- und Frauenstimmen auseinander. Alle Kraft des Tonsetzers scheint hier auf die Bestimmtheit und den Charakter des Ausdrucks gerichtet, und dieses Ziel ist in der größten Vollkommenheit erreicht. Der Eindruck des Ganzen kommt dem Ideal, welches wir uns von der Wir¬ kung der antiken Musik gebildet haben, so nahe als möglich. Den Hauptteil des Werkes beherrscht ein düsterer Zug: es beginnt in beklommenem Ton und erhebt sich zu finsterer Größe; am Schlüsse, mit dem Eintritt des s, og.x>xöllg,-Satzes, löst sich die Furcht und das bange Staunen in eine wehmütig ergebene Klage. Brahms hat auch die Worte: „So sangen die Parzen :c." mitkomponirt, nach unsrer Ansicht mit vollem Rechte. Sie gehören zum Gedichte wie eine Über¬ schrift, und in diesem Charakter läßt sie die Musik auch erkennen. Eine hellenische Nüance trägt auch eine andre Chorkomposition von Brahms: die Nünie (c>x. 82). Nur ist ihr Grundton der einer lieblichen Zartheit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/324>, abgerufen am 22.06.2024.