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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.
3. (Schluß.)

utar den Chorwerken von Brcihms nimmt das Deutsche
Requiem (vo. 45) nach äußerm Umfang und innerer Bedeutung
den ersten Platz ein. Dieses "Deutsche Requiem" ist weder eine
Übersetzung noch eine Nachbildung der lateinischen Totenmesse;
es behandelt vielmehr Sterben und Tod von einem völlig andern
Gesichtspunkte, den man wohl einen protestantischen nennen darf. Das katholische
Requiem stellt das Dies irg,s in den Vordergrund: der "armen Seele" des Hin-
geschiednen warten die Schrecken des Fegefeuers, der Majestät des ewigen Gottes
steht sie in purer Nichtigkeit gegenüber, lediglich aus Gnade und Erbarmen an¬
gewiesen. Darum schließt jeder Satz immer wieder mit der Bitte: Dorf, eis
rsqniöin. Die sieben Sätze bilden ebensoviele Variationen des einen Gedankens:
Die ewige Ruhe findet die Seele des Heimgegangnen nur durch unser brünstiges
Bitten. Das "Deutsche Requiem" von Brahms ruht dagegen auf dem Grund¬
gedanken : Durch Christi Leiden und Sterben sind auch wir erlöst. Der Tod führt
uns zum bessern Leben; die gerecht und in dem Herrn gewandelt sind, finden
jenseits des Grabes ihre Lieben wieder und ruhen am Throne Gottes aus von
Mühe und Arbeit. "Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet
werden" sind die ersten Worte des Werkes, und sein Schluß lautet: "Selig
sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an." Idee und Anordnung
des Werkes rühren vom Komponisten selbst her, den Text hat er aus Bibel¬
stellen zusammengestellt und auf sieben Sätze verteilt. Obwohl der Gegensatz
zwischen himmlischer Herrlichkeit und der Unsicherheit und Vergänglichkeit alles
Irdischen auch im sechsten Satze, das ist also gegen den Schluß des
Werkes hin, noch einmal zum Ausdruck kommt, kann man doch eine Zweiteilung
des ganzen Werkes durchfühlen. In der ersten Hälfte, welche die Sätze eins
bis drei umfaßt, ringt der Trost noch mit der Trauer; in der zweiten Hälfte,
vom vierten Satze an, kommt der freudige Glaube siegreich zum Durchbruch, der
Schmerz weicht und wandelt sich in fromme Ergebung und festes Hoffen. Der
erste Akt spielt auf der Erde, der zweite im Himmel. Soweit ich die Berichte
über das "Deutsche Requiem" verfolgt habe, kann ich konstatiren, daß der Komponist
für die Schönheit der Grundidee, welche er dem Werke unterlegte, selten eine
besondre Anerkennung gefunden hat. Man übersieht dieses Verdienst in der
Regel über der Macht und dem Reichtum der musikalischen Ausführung. Der
zweite und dritte Satz dieses Requiems sind Tonwerke, welche in der gesamten


Johannes Brahms.
3. (Schluß.)

utar den Chorwerken von Brcihms nimmt das Deutsche
Requiem (vo. 45) nach äußerm Umfang und innerer Bedeutung
den ersten Platz ein. Dieses „Deutsche Requiem" ist weder eine
Übersetzung noch eine Nachbildung der lateinischen Totenmesse;
es behandelt vielmehr Sterben und Tod von einem völlig andern
Gesichtspunkte, den man wohl einen protestantischen nennen darf. Das katholische
Requiem stellt das Dies irg,s in den Vordergrund: der „armen Seele" des Hin-
geschiednen warten die Schrecken des Fegefeuers, der Majestät des ewigen Gottes
steht sie in purer Nichtigkeit gegenüber, lediglich aus Gnade und Erbarmen an¬
gewiesen. Darum schließt jeder Satz immer wieder mit der Bitte: Dorf, eis
rsqniöin. Die sieben Sätze bilden ebensoviele Variationen des einen Gedankens:
Die ewige Ruhe findet die Seele des Heimgegangnen nur durch unser brünstiges
Bitten. Das „Deutsche Requiem" von Brahms ruht dagegen auf dem Grund¬
gedanken : Durch Christi Leiden und Sterben sind auch wir erlöst. Der Tod führt
uns zum bessern Leben; die gerecht und in dem Herrn gewandelt sind, finden
jenseits des Grabes ihre Lieben wieder und ruhen am Throne Gottes aus von
Mühe und Arbeit. „Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet
werden" sind die ersten Worte des Werkes, und sein Schluß lautet: „Selig
sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an." Idee und Anordnung
des Werkes rühren vom Komponisten selbst her, den Text hat er aus Bibel¬
stellen zusammengestellt und auf sieben Sätze verteilt. Obwohl der Gegensatz
zwischen himmlischer Herrlichkeit und der Unsicherheit und Vergänglichkeit alles
Irdischen auch im sechsten Satze, das ist also gegen den Schluß des
Werkes hin, noch einmal zum Ausdruck kommt, kann man doch eine Zweiteilung
des ganzen Werkes durchfühlen. In der ersten Hälfte, welche die Sätze eins
bis drei umfaßt, ringt der Trost noch mit der Trauer; in der zweiten Hälfte,
vom vierten Satze an, kommt der freudige Glaube siegreich zum Durchbruch, der
Schmerz weicht und wandelt sich in fromme Ergebung und festes Hoffen. Der
erste Akt spielt auf der Erde, der zweite im Himmel. Soweit ich die Berichte
über das „Deutsche Requiem" verfolgt habe, kann ich konstatiren, daß der Komponist
für die Schönheit der Grundidee, welche er dem Werke unterlegte, selten eine
besondre Anerkennung gefunden hat. Man übersieht dieses Verdienst in der
Regel über der Macht und dem Reichtum der musikalischen Ausführung. Der
zweite und dritte Satz dieses Requiems sind Tonwerke, welche in der gesamten


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[0322] Johannes Brahms. 3. (Schluß.) utar den Chorwerken von Brcihms nimmt das Deutsche Requiem (vo. 45) nach äußerm Umfang und innerer Bedeutung den ersten Platz ein. Dieses „Deutsche Requiem" ist weder eine Übersetzung noch eine Nachbildung der lateinischen Totenmesse; es behandelt vielmehr Sterben und Tod von einem völlig andern Gesichtspunkte, den man wohl einen protestantischen nennen darf. Das katholische Requiem stellt das Dies irg,s in den Vordergrund: der „armen Seele" des Hin- geschiednen warten die Schrecken des Fegefeuers, der Majestät des ewigen Gottes steht sie in purer Nichtigkeit gegenüber, lediglich aus Gnade und Erbarmen an¬ gewiesen. Darum schließt jeder Satz immer wieder mit der Bitte: Dorf, eis rsqniöin. Die sieben Sätze bilden ebensoviele Variationen des einen Gedankens: Die ewige Ruhe findet die Seele des Heimgegangnen nur durch unser brünstiges Bitten. Das „Deutsche Requiem" von Brahms ruht dagegen auf dem Grund¬ gedanken : Durch Christi Leiden und Sterben sind auch wir erlöst. Der Tod führt uns zum bessern Leben; die gerecht und in dem Herrn gewandelt sind, finden jenseits des Grabes ihre Lieben wieder und ruhen am Throne Gottes aus von Mühe und Arbeit. „Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden" sind die ersten Worte des Werkes, und sein Schluß lautet: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an." Idee und Anordnung des Werkes rühren vom Komponisten selbst her, den Text hat er aus Bibel¬ stellen zusammengestellt und auf sieben Sätze verteilt. Obwohl der Gegensatz zwischen himmlischer Herrlichkeit und der Unsicherheit und Vergänglichkeit alles Irdischen auch im sechsten Satze, das ist also gegen den Schluß des Werkes hin, noch einmal zum Ausdruck kommt, kann man doch eine Zweiteilung des ganzen Werkes durchfühlen. In der ersten Hälfte, welche die Sätze eins bis drei umfaßt, ringt der Trost noch mit der Trauer; in der zweiten Hälfte, vom vierten Satze an, kommt der freudige Glaube siegreich zum Durchbruch, der Schmerz weicht und wandelt sich in fromme Ergebung und festes Hoffen. Der erste Akt spielt auf der Erde, der zweite im Himmel. Soweit ich die Berichte über das „Deutsche Requiem" verfolgt habe, kann ich konstatiren, daß der Komponist für die Schönheit der Grundidee, welche er dem Werke unterlegte, selten eine besondre Anerkennung gefunden hat. Man übersieht dieses Verdienst in der Regel über der Macht und dem Reichtum der musikalischen Ausführung. Der zweite und dritte Satz dieses Requiems sind Tonwerke, welche in der gesamten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/322>, abgerufen am 22.06.2024.