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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Spanien des Hauses Österreich angehört, äußern sich, neben prächtigen Lebens¬
darstellungen im einzelnen, hauptsächlich in dem Zorn gegen die Anders¬
gläubigen, gegen die Ruchlosen, die das Wort Duldung nur auf die Lippen
nehmen und Bedenken tragen, aus dem Christuswort: "Wer nicht für mich ist,
ist wider mich" die Konsequenzen der spanischen heiligen Inquisition und der
Moriskenvcrbannung zu ziehen. Wer wollte in alledem einen Zug jenes Wesens
verkennen, das gerade den deutschen Konvertiten eigentümlich ist! Cäcilia Bost
war von Kind ans im katholischen Bekenntnisse erzogen worden, doch das Be¬
wußtsein, einen protestantischen Vater zu haben (Johann Bobi von Faber trat
erst 1813, im sechzehnten Lebensjahre seiner Tochter, zur alten Kirche über),
durch die Baude des Blutes einer deutschen protestantischen Familie anzugehören,
schärfte ganz entschieden das tendenziös-katholische Element in den Schriften
Fernau Caballeros. Die deutsch-spanische Erzählerin hat in Spanien eine Ri¬
valin: Gertrudis Gomez de Avcllanada, eine geborne Cubcmerin. Diese ist
nicht minder gut gläubig, gut katholisch als Fernau Caballero. Aber wie mild
und zart, wie menschlich billig gegen Andersdenkende erscheint sie (wenigstens
in den Novellen, die uns zu Gesicht gekommen sind) gegen die Verfasserin der
"Clemencia" und "Lagrimas." So ist es denn auch nicht zufällig, daß in Über¬
tragung und Kritik in allen den deutschen Kreisen, welche sich Fernau Caballeros
Auffassungen verwandt fühlen, ein besondrer Enthusiasmus für die Deutsch¬
spanierin an den Tag gelegt wird.

Liest man nacheinander die ganze Reihe der Schriften, die hier charakterisirt
wurden, und läßt den Geist des Fanatismus und der leidenschaftlichen Ver¬
herrlichung der Askese auf sich wirken, so wird es schwer, sich des Argwohns
zu entschlcigen, daß alle diese Erscheinungen weniger Ausdruck poetischen Dranges,
weniger Ausdruck innerer Überzeugungen als Agitationsmittel sind. Die poe¬
tischen Konvertiten und die Propheten einer neuen Gegenreformation, welche die
alte so ganz nebenher weißwaschen möchten, wissen im Gründe recht wohl, daß
weder Aussicht ist, deu Protestantismus aus der Welt zu schaffen, noch Aus¬
sicht, die Welt in ein großes Kloster zu verwandeln. Aber da dem so ist, soll
wenigstens versucht werden, wieviel sich davon erreichen läßt, soll wenigstens
gesagt werden, was die letzten idealen Ziele sind oder sein würden, wenn die Welt
nicht Welt bliebe. In allen diesen Männern und Frauen lebt neben der eignen
Anschauung und Empfindung eine Tradition, eine fremde Klugheit und Be¬
rechnung, sie alle werden an Fäden gelenkt, die sie zum Teil selbst nicht sehen.
Hinterläßt diese Literatur einen durch und durch unerquicklichen Eindruck, so
liegt die Frage nahe genug, ob denn alles in der neuesten deutschen Literatur,
was aus den katholischen Teilen unsers Landes und Volkes stammt, den erör¬
terten Charakter trage, eine Frage, auf welche glücklicherweise mit Nein geant¬
wortet werden muß.




Grenzboten III. 1834. 40
Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Spanien des Hauses Österreich angehört, äußern sich, neben prächtigen Lebens¬
darstellungen im einzelnen, hauptsächlich in dem Zorn gegen die Anders¬
gläubigen, gegen die Ruchlosen, die das Wort Duldung nur auf die Lippen
nehmen und Bedenken tragen, aus dem Christuswort: „Wer nicht für mich ist,
ist wider mich" die Konsequenzen der spanischen heiligen Inquisition und der
Moriskenvcrbannung zu ziehen. Wer wollte in alledem einen Zug jenes Wesens
verkennen, das gerade den deutschen Konvertiten eigentümlich ist! Cäcilia Bost
war von Kind ans im katholischen Bekenntnisse erzogen worden, doch das Be¬
wußtsein, einen protestantischen Vater zu haben (Johann Bobi von Faber trat
erst 1813, im sechzehnten Lebensjahre seiner Tochter, zur alten Kirche über),
durch die Baude des Blutes einer deutschen protestantischen Familie anzugehören,
schärfte ganz entschieden das tendenziös-katholische Element in den Schriften
Fernau Caballeros. Die deutsch-spanische Erzählerin hat in Spanien eine Ri¬
valin: Gertrudis Gomez de Avcllanada, eine geborne Cubcmerin. Diese ist
nicht minder gut gläubig, gut katholisch als Fernau Caballero. Aber wie mild
und zart, wie menschlich billig gegen Andersdenkende erscheint sie (wenigstens
in den Novellen, die uns zu Gesicht gekommen sind) gegen die Verfasserin der
„Clemencia" und „Lagrimas." So ist es denn auch nicht zufällig, daß in Über¬
tragung und Kritik in allen den deutschen Kreisen, welche sich Fernau Caballeros
Auffassungen verwandt fühlen, ein besondrer Enthusiasmus für die Deutsch¬
spanierin an den Tag gelegt wird.

Liest man nacheinander die ganze Reihe der Schriften, die hier charakterisirt
wurden, und läßt den Geist des Fanatismus und der leidenschaftlichen Ver¬
herrlichung der Askese auf sich wirken, so wird es schwer, sich des Argwohns
zu entschlcigen, daß alle diese Erscheinungen weniger Ausdruck poetischen Dranges,
weniger Ausdruck innerer Überzeugungen als Agitationsmittel sind. Die poe¬
tischen Konvertiten und die Propheten einer neuen Gegenreformation, welche die
alte so ganz nebenher weißwaschen möchten, wissen im Gründe recht wohl, daß
weder Aussicht ist, deu Protestantismus aus der Welt zu schaffen, noch Aus¬
sicht, die Welt in ein großes Kloster zu verwandeln. Aber da dem so ist, soll
wenigstens versucht werden, wieviel sich davon erreichen läßt, soll wenigstens
gesagt werden, was die letzten idealen Ziele sind oder sein würden, wenn die Welt
nicht Welt bliebe. In allen diesen Männern und Frauen lebt neben der eignen
Anschauung und Empfindung eine Tradition, eine fremde Klugheit und Be¬
rechnung, sie alle werden an Fäden gelenkt, die sie zum Teil selbst nicht sehen.
Hinterläßt diese Literatur einen durch und durch unerquicklichen Eindruck, so
liegt die Frage nahe genug, ob denn alles in der neuesten deutschen Literatur,
was aus den katholischen Teilen unsers Landes und Volkes stammt, den erör¬
terten Charakter trage, eine Frage, auf welche glücklicherweise mit Nein geant¬
wortet werden muß.




Grenzboten III. 1834. 40
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[0321] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. Spanien des Hauses Österreich angehört, äußern sich, neben prächtigen Lebens¬ darstellungen im einzelnen, hauptsächlich in dem Zorn gegen die Anders¬ gläubigen, gegen die Ruchlosen, die das Wort Duldung nur auf die Lippen nehmen und Bedenken tragen, aus dem Christuswort: „Wer nicht für mich ist, ist wider mich" die Konsequenzen der spanischen heiligen Inquisition und der Moriskenvcrbannung zu ziehen. Wer wollte in alledem einen Zug jenes Wesens verkennen, das gerade den deutschen Konvertiten eigentümlich ist! Cäcilia Bost war von Kind ans im katholischen Bekenntnisse erzogen worden, doch das Be¬ wußtsein, einen protestantischen Vater zu haben (Johann Bobi von Faber trat erst 1813, im sechzehnten Lebensjahre seiner Tochter, zur alten Kirche über), durch die Baude des Blutes einer deutschen protestantischen Familie anzugehören, schärfte ganz entschieden das tendenziös-katholische Element in den Schriften Fernau Caballeros. Die deutsch-spanische Erzählerin hat in Spanien eine Ri¬ valin: Gertrudis Gomez de Avcllanada, eine geborne Cubcmerin. Diese ist nicht minder gut gläubig, gut katholisch als Fernau Caballero. Aber wie mild und zart, wie menschlich billig gegen Andersdenkende erscheint sie (wenigstens in den Novellen, die uns zu Gesicht gekommen sind) gegen die Verfasserin der „Clemencia" und „Lagrimas." So ist es denn auch nicht zufällig, daß in Über¬ tragung und Kritik in allen den deutschen Kreisen, welche sich Fernau Caballeros Auffassungen verwandt fühlen, ein besondrer Enthusiasmus für die Deutsch¬ spanierin an den Tag gelegt wird. Liest man nacheinander die ganze Reihe der Schriften, die hier charakterisirt wurden, und läßt den Geist des Fanatismus und der leidenschaftlichen Ver¬ herrlichung der Askese auf sich wirken, so wird es schwer, sich des Argwohns zu entschlcigen, daß alle diese Erscheinungen weniger Ausdruck poetischen Dranges, weniger Ausdruck innerer Überzeugungen als Agitationsmittel sind. Die poe¬ tischen Konvertiten und die Propheten einer neuen Gegenreformation, welche die alte so ganz nebenher weißwaschen möchten, wissen im Gründe recht wohl, daß weder Aussicht ist, deu Protestantismus aus der Welt zu schaffen, noch Aus¬ sicht, die Welt in ein großes Kloster zu verwandeln. Aber da dem so ist, soll wenigstens versucht werden, wieviel sich davon erreichen läßt, soll wenigstens gesagt werden, was die letzten idealen Ziele sind oder sein würden, wenn die Welt nicht Welt bliebe. In allen diesen Männern und Frauen lebt neben der eignen Anschauung und Empfindung eine Tradition, eine fremde Klugheit und Be¬ rechnung, sie alle werden an Fäden gelenkt, die sie zum Teil selbst nicht sehen. Hinterläßt diese Literatur einen durch und durch unerquicklichen Eindruck, so liegt die Frage nahe genug, ob denn alles in der neuesten deutschen Literatur, was aus den katholischen Teilen unsers Landes und Volkes stammt, den erör¬ terten Charakter trage, eine Frage, auf welche glücklicherweise mit Nein geant¬ wortet werden muß. Grenzboten III. 1834. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/321>, abgerufen am 22.06.2024.