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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

bedeutendes Übergewicht. Die Zahl der poetischen Nachahmer ist unter allen
Umständen Legion; waltet aber in der Literatur irgendeine Tendenz vor, welche
mit wenigen Gedanken, einem kleinen Vorrat allverständlicher Bilder und einem
Gemisch von weltlich-leidenschaftlichen und religiös-inbrünstigen Schlagworten,
die ungefähr die Meinung des Poeten und jedenfalls die seiner Leser treffen,
zur Wirkung gebracht werden kann, so wächst sie zum Heer. Die deutschen
Katholiken sollten die letzten sein, welche über die sich mehrende Zahl der
literarischen Konvertiten und den Schwarm ihrer katholischen Nachzügler Freude
empfänden. Denn wenn man die allmähliche Fcuiatisirung des kleinen katho¬
lischen Teils der deutschen Literatur genauer verfolgt, wenn man wahrnimmt,
daß dieselbe zu neun Zehnteln von Geistern ausgegangen ist, die dem tradi¬
tionellen wie dem inneren Leben der alten Kirche von Haus aus ganz fremd
waren, wenn man beobachtet, wie sich die Autoren gegenseitig ans dem neun¬
zehnten ins sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert zurückhetzten, wie die Be¬
schuldigungen gegen Protestanten und laue Katholiken, die anfänglich nur
Schuaster"! und halb versteckt ausgesprochen wurden, mit der Zeit immer lauter,
lärmender, prahlender erklangen, so brauchte man zwar nicht mit schwarzsichtigen
Naturen einen neuen Religionskrieg zu befürchten, aber man mußte sich ein¬
gestehen, daß, solange der Leib der deutschen Literatur gesund sei, er jederzeit,
und sei es mit den verzweifeltsten Anstrengungen, diese ihm eingeimpften
Elemente wieder ausstoßen müsse. Zieht man in Betracht, daß diese eigentüm¬
liche poetische Vertretung des Katholizismus hauptsächlich nur in Deutschland
(in Einzelerscheinungen auch in Belgien und Spanien, neuerdings und seit Kardinal
Wisemcm in England) in Blüte steht, daß selbst so gute begeisterte Katholiken
wie die italienischen Romantiker aus der Schule Mcmzonis, weit entfernt waren,
die wühlerische, zänkische, leidenschaftlich-gehässige Art des deutschen Konvertiten-
tums, seiner geistigen Nachzügler und ihrer Lebensäußerungen zu teilen, so wird
die ganze Richtung noch unerfreulicher. Es ist charakteristisch, daß die wilde
Polemik gegen alles, was den letzten drei Jahrhunderten unter andrer Autorität
als jener der Kirche gediehen und erwachsen ist, sich bei einer spanischen
Dichterin deutscher Abstammung wiederfindet. Allerdings steht sie in Fernen
Caballeros Schriften nicht so eindringlich im Vordergründe wie in denen der
Gräfin Hahn-Hahn und tritt nie so roh und plump wie in Konrad von Bo-
landens trotzigen Geschichtsverzerrungen auf. Fern an Caballero oder, wie
sie von Haus aus hieß, Cäcilia Bobi von Faber war eine hispcmisirte
Deutsche, die Tochter eines deutschen Vaters und einer spanischen Mutter, einige
Jugendjahre hindurch in Deutschland erzogen, aber noch vor ihrer Mündigkeit
nach Spanien zurückgekehrt, durch dreifache Verheiratung und alle persönlichen
Verhältnisse an Spanien gefesselt. Die warme Liebe, mit der sie sich an das
schöne Westland klammert, die enthusiastische Bewunderung, welches sie für seine
Menschen und Sitten, namentlich für alles zur Schau trägt, was uoch dem


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

bedeutendes Übergewicht. Die Zahl der poetischen Nachahmer ist unter allen
Umständen Legion; waltet aber in der Literatur irgendeine Tendenz vor, welche
mit wenigen Gedanken, einem kleinen Vorrat allverständlicher Bilder und einem
Gemisch von weltlich-leidenschaftlichen und religiös-inbrünstigen Schlagworten,
die ungefähr die Meinung des Poeten und jedenfalls die seiner Leser treffen,
zur Wirkung gebracht werden kann, so wächst sie zum Heer. Die deutschen
Katholiken sollten die letzten sein, welche über die sich mehrende Zahl der
literarischen Konvertiten und den Schwarm ihrer katholischen Nachzügler Freude
empfänden. Denn wenn man die allmähliche Fcuiatisirung des kleinen katho¬
lischen Teils der deutschen Literatur genauer verfolgt, wenn man wahrnimmt,
daß dieselbe zu neun Zehnteln von Geistern ausgegangen ist, die dem tradi¬
tionellen wie dem inneren Leben der alten Kirche von Haus aus ganz fremd
waren, wenn man beobachtet, wie sich die Autoren gegenseitig ans dem neun¬
zehnten ins sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert zurückhetzten, wie die Be¬
schuldigungen gegen Protestanten und laue Katholiken, die anfänglich nur
Schuaster»! und halb versteckt ausgesprochen wurden, mit der Zeit immer lauter,
lärmender, prahlender erklangen, so brauchte man zwar nicht mit schwarzsichtigen
Naturen einen neuen Religionskrieg zu befürchten, aber man mußte sich ein¬
gestehen, daß, solange der Leib der deutschen Literatur gesund sei, er jederzeit,
und sei es mit den verzweifeltsten Anstrengungen, diese ihm eingeimpften
Elemente wieder ausstoßen müsse. Zieht man in Betracht, daß diese eigentüm¬
liche poetische Vertretung des Katholizismus hauptsächlich nur in Deutschland
(in Einzelerscheinungen auch in Belgien und Spanien, neuerdings und seit Kardinal
Wisemcm in England) in Blüte steht, daß selbst so gute begeisterte Katholiken
wie die italienischen Romantiker aus der Schule Mcmzonis, weit entfernt waren,
die wühlerische, zänkische, leidenschaftlich-gehässige Art des deutschen Konvertiten-
tums, seiner geistigen Nachzügler und ihrer Lebensäußerungen zu teilen, so wird
die ganze Richtung noch unerfreulicher. Es ist charakteristisch, daß die wilde
Polemik gegen alles, was den letzten drei Jahrhunderten unter andrer Autorität
als jener der Kirche gediehen und erwachsen ist, sich bei einer spanischen
Dichterin deutscher Abstammung wiederfindet. Allerdings steht sie in Fernen
Caballeros Schriften nicht so eindringlich im Vordergründe wie in denen der
Gräfin Hahn-Hahn und tritt nie so roh und plump wie in Konrad von Bo-
landens trotzigen Geschichtsverzerrungen auf. Fern an Caballero oder, wie
sie von Haus aus hieß, Cäcilia Bobi von Faber war eine hispcmisirte
Deutsche, die Tochter eines deutschen Vaters und einer spanischen Mutter, einige
Jugendjahre hindurch in Deutschland erzogen, aber noch vor ihrer Mündigkeit
nach Spanien zurückgekehrt, durch dreifache Verheiratung und alle persönlichen
Verhältnisse an Spanien gefesselt. Die warme Liebe, mit der sie sich an das
schöne Westland klammert, die enthusiastische Bewunderung, welches sie für seine
Menschen und Sitten, namentlich für alles zur Schau trägt, was uoch dem


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[0320] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. bedeutendes Übergewicht. Die Zahl der poetischen Nachahmer ist unter allen Umständen Legion; waltet aber in der Literatur irgendeine Tendenz vor, welche mit wenigen Gedanken, einem kleinen Vorrat allverständlicher Bilder und einem Gemisch von weltlich-leidenschaftlichen und religiös-inbrünstigen Schlagworten, die ungefähr die Meinung des Poeten und jedenfalls die seiner Leser treffen, zur Wirkung gebracht werden kann, so wächst sie zum Heer. Die deutschen Katholiken sollten die letzten sein, welche über die sich mehrende Zahl der literarischen Konvertiten und den Schwarm ihrer katholischen Nachzügler Freude empfänden. Denn wenn man die allmähliche Fcuiatisirung des kleinen katho¬ lischen Teils der deutschen Literatur genauer verfolgt, wenn man wahrnimmt, daß dieselbe zu neun Zehnteln von Geistern ausgegangen ist, die dem tradi¬ tionellen wie dem inneren Leben der alten Kirche von Haus aus ganz fremd waren, wenn man beobachtet, wie sich die Autoren gegenseitig ans dem neun¬ zehnten ins sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert zurückhetzten, wie die Be¬ schuldigungen gegen Protestanten und laue Katholiken, die anfänglich nur Schuaster»! und halb versteckt ausgesprochen wurden, mit der Zeit immer lauter, lärmender, prahlender erklangen, so brauchte man zwar nicht mit schwarzsichtigen Naturen einen neuen Religionskrieg zu befürchten, aber man mußte sich ein¬ gestehen, daß, solange der Leib der deutschen Literatur gesund sei, er jederzeit, und sei es mit den verzweifeltsten Anstrengungen, diese ihm eingeimpften Elemente wieder ausstoßen müsse. Zieht man in Betracht, daß diese eigentüm¬ liche poetische Vertretung des Katholizismus hauptsächlich nur in Deutschland (in Einzelerscheinungen auch in Belgien und Spanien, neuerdings und seit Kardinal Wisemcm in England) in Blüte steht, daß selbst so gute begeisterte Katholiken wie die italienischen Romantiker aus der Schule Mcmzonis, weit entfernt waren, die wühlerische, zänkische, leidenschaftlich-gehässige Art des deutschen Konvertiten- tums, seiner geistigen Nachzügler und ihrer Lebensäußerungen zu teilen, so wird die ganze Richtung noch unerfreulicher. Es ist charakteristisch, daß die wilde Polemik gegen alles, was den letzten drei Jahrhunderten unter andrer Autorität als jener der Kirche gediehen und erwachsen ist, sich bei einer spanischen Dichterin deutscher Abstammung wiederfindet. Allerdings steht sie in Fernen Caballeros Schriften nicht so eindringlich im Vordergründe wie in denen der Gräfin Hahn-Hahn und tritt nie so roh und plump wie in Konrad von Bo- landens trotzigen Geschichtsverzerrungen auf. Fern an Caballero oder, wie sie von Haus aus hieß, Cäcilia Bobi von Faber war eine hispcmisirte Deutsche, die Tochter eines deutschen Vaters und einer spanischen Mutter, einige Jugendjahre hindurch in Deutschland erzogen, aber noch vor ihrer Mündigkeit nach Spanien zurückgekehrt, durch dreifache Verheiratung und alle persönlichen Verhältnisse an Spanien gefesselt. Die warme Liebe, mit der sie sich an das schöne Westland klammert, die enthusiastische Bewunderung, welches sie für seine Menschen und Sitten, namentlich für alles zur Schau trägt, was uoch dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/320>, abgerufen am 22.06.2024.