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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Wirft es immerhin ein schlimmes Licht auf das Verhältnis vieler höherstehenden
Katholiken zur deutschen Bildung, daß jene höherstehenden auch nur wünschen
können, die Erscheinungen Gustav Adolfs und Friedrichs des Großen möchten in
der Phantasie weiterer Kreise nach den gräulichen Mannequins Bolandens leben.

Höher als Bolandens Produkte stehen ihrem Gehalt und ihrer Charakter¬
zeichnung nach die Romane des Wieners Sebastian Brunner, obschon auch sie
nur einen sehr geringen Rang in einer Literatur einnehmen können, die Überfluß
an gutgeschriebenen, künstlerisch komponirter Büchern hat. Sie spielen in Wien
und Deutsch-Österreich und versuchen Zeitfragen in ihrem Sinne zu lösen.
"Diogenes von Appelbrunn," "Genies Malheur und Glück," "Fremde und
Heimat," "Die Prinzenschule von Möpselglück" sind sogenannte humoristische
Romane, bei denen der Humor weder in der Handlung noch in der Charakte¬
ristik, sondern meist in den witzigen Einfällen des Verfassers liegt, welche als
Extrafeuerwerk zur Ergötzlichkeit des Lesers zum besten gegeben werden. Als die
besten seiner Romane erscheinen auch uns "Fremde lind Heimat," welcher in
Toni Fischers Schicksalen diejenigen eines modernen Poeten, und "Diogenes
von Appelbrunn," welcher die Geschichte eines begabten Findlings erzählt, der
vom Schuster zu einem hervorragenden Geiger und schließlich sogar zu einem
Mann von Vermögen wird. Die katholische Gesinnung und Überzeugung ist
hier überall mehr Voraussetzung als Tendenz, die Ausblicke nach der zeitgenös¬
sischen Welt halten sich in engeren Grenzen, und obschon es an einigen Ka-
Puzinaden gegen die Neugläubigen und namentlich gegen die Philosophen nicht
fehlt, welche sich nicht freiwillig selbst für Esel erklären wollen (während doch
jeder den andern für einen Esel schätzt), so erscheinen diese Romane doch nicht
als direkte Verherrlichungen des Geistes des tridentinischen Konzils. Auffällig
und bezeichnend aber ist wiederum der Abstand ihrer Erfindung und Darstel¬
lungskunst von den oben charakterisirten Schöpfungen der Konvertiten. Man
kann sicher an einer und der andern Seite Brunners mehr Freude haben als
an sämtlichen Romanen der Gräfin Hahn-Hahn, allein man wird doch immer
einräumen müssen, daß die Darstellungskunst wie die eigentliche Poesie in ihnen
unendlich dürftig sind. Die satirische Dichtung "Das Nebeljungenlied" von
1846, eine Verspottung des vormärzlichen Liberalismus und seiner Agitatoren,
wird von der katholischen Kritik als ein Extrakt von Geist und glänzender
Subjektivität gerühmt; uns erscheint, ein paar gute Einfälle abgerechnet, das
Ganze matt und breit. Wenn man "Die Nebeljungen" mit dem gleichzeitig
erschienenen satirischen Epos des Radikalismus, dem "Hans von Katzenfingen"
Reinhold Solgers vergleicht, so war der radikal-atheistische Poet bei aller
Widerwärtigkeit seiner Tendenz dem konservativ-katholischen unendlich an Geist,
Lebensfülle und prächtigem Formtalent überlegen.

Naturgemäß erlangte in den Zeiten des Kulturkampfes und der Kaplan-
hetzpresfe die von dem charakterisirten Geiste inspirirte schöne Literatur ein


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

Wirft es immerhin ein schlimmes Licht auf das Verhältnis vieler höherstehenden
Katholiken zur deutschen Bildung, daß jene höherstehenden auch nur wünschen
können, die Erscheinungen Gustav Adolfs und Friedrichs des Großen möchten in
der Phantasie weiterer Kreise nach den gräulichen Mannequins Bolandens leben.

Höher als Bolandens Produkte stehen ihrem Gehalt und ihrer Charakter¬
zeichnung nach die Romane des Wieners Sebastian Brunner, obschon auch sie
nur einen sehr geringen Rang in einer Literatur einnehmen können, die Überfluß
an gutgeschriebenen, künstlerisch komponirter Büchern hat. Sie spielen in Wien
und Deutsch-Österreich und versuchen Zeitfragen in ihrem Sinne zu lösen.
„Diogenes von Appelbrunn," „Genies Malheur und Glück," „Fremde und
Heimat," „Die Prinzenschule von Möpselglück" sind sogenannte humoristische
Romane, bei denen der Humor weder in der Handlung noch in der Charakte¬
ristik, sondern meist in den witzigen Einfällen des Verfassers liegt, welche als
Extrafeuerwerk zur Ergötzlichkeit des Lesers zum besten gegeben werden. Als die
besten seiner Romane erscheinen auch uns „Fremde lind Heimat," welcher in
Toni Fischers Schicksalen diejenigen eines modernen Poeten, und „Diogenes
von Appelbrunn," welcher die Geschichte eines begabten Findlings erzählt, der
vom Schuster zu einem hervorragenden Geiger und schließlich sogar zu einem
Mann von Vermögen wird. Die katholische Gesinnung und Überzeugung ist
hier überall mehr Voraussetzung als Tendenz, die Ausblicke nach der zeitgenös¬
sischen Welt halten sich in engeren Grenzen, und obschon es an einigen Ka-
Puzinaden gegen die Neugläubigen und namentlich gegen die Philosophen nicht
fehlt, welche sich nicht freiwillig selbst für Esel erklären wollen (während doch
jeder den andern für einen Esel schätzt), so erscheinen diese Romane doch nicht
als direkte Verherrlichungen des Geistes des tridentinischen Konzils. Auffällig
und bezeichnend aber ist wiederum der Abstand ihrer Erfindung und Darstel¬
lungskunst von den oben charakterisirten Schöpfungen der Konvertiten. Man
kann sicher an einer und der andern Seite Brunners mehr Freude haben als
an sämtlichen Romanen der Gräfin Hahn-Hahn, allein man wird doch immer
einräumen müssen, daß die Darstellungskunst wie die eigentliche Poesie in ihnen
unendlich dürftig sind. Die satirische Dichtung „Das Nebeljungenlied" von
1846, eine Verspottung des vormärzlichen Liberalismus und seiner Agitatoren,
wird von der katholischen Kritik als ein Extrakt von Geist und glänzender
Subjektivität gerühmt; uns erscheint, ein paar gute Einfälle abgerechnet, das
Ganze matt und breit. Wenn man „Die Nebeljungen" mit dem gleichzeitig
erschienenen satirischen Epos des Radikalismus, dem „Hans von Katzenfingen"
Reinhold Solgers vergleicht, so war der radikal-atheistische Poet bei aller
Widerwärtigkeit seiner Tendenz dem konservativ-katholischen unendlich an Geist,
Lebensfülle und prächtigem Formtalent überlegen.

Naturgemäß erlangte in den Zeiten des Kulturkampfes und der Kaplan-
hetzpresfe die von dem charakterisirten Geiste inspirirte schöne Literatur ein


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.
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[0319] Wirft es immerhin ein schlimmes Licht auf das Verhältnis vieler höherstehenden Katholiken zur deutschen Bildung, daß jene höherstehenden auch nur wünschen können, die Erscheinungen Gustav Adolfs und Friedrichs des Großen möchten in der Phantasie weiterer Kreise nach den gräulichen Mannequins Bolandens leben. Höher als Bolandens Produkte stehen ihrem Gehalt und ihrer Charakter¬ zeichnung nach die Romane des Wieners Sebastian Brunner, obschon auch sie nur einen sehr geringen Rang in einer Literatur einnehmen können, die Überfluß an gutgeschriebenen, künstlerisch komponirter Büchern hat. Sie spielen in Wien und Deutsch-Österreich und versuchen Zeitfragen in ihrem Sinne zu lösen. „Diogenes von Appelbrunn," „Genies Malheur und Glück," „Fremde und Heimat," „Die Prinzenschule von Möpselglück" sind sogenannte humoristische Romane, bei denen der Humor weder in der Handlung noch in der Charakte¬ ristik, sondern meist in den witzigen Einfällen des Verfassers liegt, welche als Extrafeuerwerk zur Ergötzlichkeit des Lesers zum besten gegeben werden. Als die besten seiner Romane erscheinen auch uns „Fremde lind Heimat," welcher in Toni Fischers Schicksalen diejenigen eines modernen Poeten, und „Diogenes von Appelbrunn," welcher die Geschichte eines begabten Findlings erzählt, der vom Schuster zu einem hervorragenden Geiger und schließlich sogar zu einem Mann von Vermögen wird. Die katholische Gesinnung und Überzeugung ist hier überall mehr Voraussetzung als Tendenz, die Ausblicke nach der zeitgenös¬ sischen Welt halten sich in engeren Grenzen, und obschon es an einigen Ka- Puzinaden gegen die Neugläubigen und namentlich gegen die Philosophen nicht fehlt, welche sich nicht freiwillig selbst für Esel erklären wollen (während doch jeder den andern für einen Esel schätzt), so erscheinen diese Romane doch nicht als direkte Verherrlichungen des Geistes des tridentinischen Konzils. Auffällig und bezeichnend aber ist wiederum der Abstand ihrer Erfindung und Darstel¬ lungskunst von den oben charakterisirten Schöpfungen der Konvertiten. Man kann sicher an einer und der andern Seite Brunners mehr Freude haben als an sämtlichen Romanen der Gräfin Hahn-Hahn, allein man wird doch immer einräumen müssen, daß die Darstellungskunst wie die eigentliche Poesie in ihnen unendlich dürftig sind. Die satirische Dichtung „Das Nebeljungenlied" von 1846, eine Verspottung des vormärzlichen Liberalismus und seiner Agitatoren, wird von der katholischen Kritik als ein Extrakt von Geist und glänzender Subjektivität gerühmt; uns erscheint, ein paar gute Einfälle abgerechnet, das Ganze matt und breit. Wenn man „Die Nebeljungen" mit dem gleichzeitig erschienenen satirischen Epos des Radikalismus, dem „Hans von Katzenfingen" Reinhold Solgers vergleicht, so war der radikal-atheistische Poet bei aller Widerwärtigkeit seiner Tendenz dem konservativ-katholischen unendlich an Geist, Lebensfülle und prächtigem Formtalent überlegen. Naturgemäß erlangte in den Zeiten des Kulturkampfes und der Kaplan- hetzpresfe die von dem charakterisirten Geiste inspirirte schöne Literatur ein Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/319>, abgerufen am 22.06.2024.