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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

seys Bischoff von Speyer, der als Konrad von Bolcinden eine große
Fruchtbarkeit entwickelt hat. Die Folge seiner in Mainz publizirten historischen
Romane "Eine Vrcmtfahrt" (1857). "Franz von Sickingen" (1859), "Barbarossa"
(1862), "Historische Novellen über Friedrich II." (1865--66), "Gustav Adolf,"
"Bankrott" (1877), "Die Bartholomäusnacht" (1879) zeigte ihn als einen jener
Kühnen, die den Stier bei den Hörnern packen und den Heroen der Geschichte
von vornherein jede edlere Eigenschaft und Seelenregung absprechen. Solange
im katholischen Deutschland noch an die Möglichkeit sittlicher Motive auf der
Gegenseite geglaubt wird, solange historische und poetische Darstellung nicht
Hand in Hand die historische Phantasie umgebildet haben, könnten ja An-
näherungs- und Einigungsversuche im Sinne des achtzehnten Jahrhunderts
erfolgen. Mit kräftigem Pinsel, freilich mehr mit dem eines Maurers als dem
eines Malers, führt dieser Walter Scott des Ultramontanismus Heroen der Ge¬
schichte vor. Barbarossa, Luther, Sickingen, Heinrich IV., Gustav Adolf,
Friedrich I. erhalten in diesen Fresken Gesichtszüge, von denen ihre seitherigen
Porträts wenig oder nichts wissen. "Das Gesicht zeigt," wie uns ein katho¬
lischer Literarhistoriker belehrt (H. Keller in den "Katholischen Erzählern der Neu¬
zeit," Paderborn, 1880), die "Spuren ungebändigter niedriger Leidenschaft,
selbstsüchtigen Strebens und hochmütiger Verachtung der göttlichen und
menschlichen Gesetze. Selten oder vielmehr nie fällt ein Lichtstrahl edler
Gesinnung in diese tiefste moralische Nacht." Diese historischen Helden oder
besser Fratzen werden regelmäßig Idealgestalten gegenübergestellt, denen ihre
Klostererziehung neben der unbedingten Hingabe an die Kirche auch riesige Kräfte
gegeben hat, welche sie zur größern Ehre Gottes gegen die Feinde der Kirche
anwenden. Die Handlung in all diesen Romanen entspricht der Art der Cha¬
rakterzeichnung, es ist Arbeit aus dem Gröbsten, das darstellende Talent des
Verfassers, seine Welt- und Herzcnskenntnis bleiben weit hinter dem zurück,
was wir bei Meinhold und Gräfin Hahn-Hahn finden. Denn natürlich hat
sich ein streitbarer Belletrist wie Konrad von Bolanden auch nicht versagen
können, mit Zeitromanen in die jüngsten Kämpfe einzugreifen; die absprechende
Roheit und herausfordernde innere wie äußere Unwahrheit seiner historischen
Romane wird erst verständlich, wenn wir die Bilder aus der Gegenwart er¬
blicken, die dieser Dichter hinzustellen versteht. Alle gebildeten Katholiken hätten
Ursache, gegen solche Produkte ihrer besondern konfessionellen Bildung zu Pro¬
testiren; soviel uns bekannt, ist dies nur schüchtern und gleichsam nebenbei ge¬
schehen. Die Tendenz erweist sich auch hier als die Feindin nicht bloß der
Ehrlichkeit, sondern auch des guten Geschmacks. Es ist allerdings die Frage,
für welche Kreise der deutscheu Katholiken diese Produkte bestimmt sind. Aber
wenn auch anzunehmen ist, daß die poetische Geschichtsdarstellung Bolcmdens
nur auf kleinbürgerliche Kreise, auf ein Publikum wirken soll, das daneben
englische Kriminalgeschichtcn und ähnliche "sensationelle" Erzeugnisse liest, so


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

seys Bischoff von Speyer, der als Konrad von Bolcinden eine große
Fruchtbarkeit entwickelt hat. Die Folge seiner in Mainz publizirten historischen
Romane „Eine Vrcmtfahrt" (1857). „Franz von Sickingen" (1859), „Barbarossa"
(1862), „Historische Novellen über Friedrich II." (1865—66), „Gustav Adolf,"
„Bankrott" (1877), „Die Bartholomäusnacht" (1879) zeigte ihn als einen jener
Kühnen, die den Stier bei den Hörnern packen und den Heroen der Geschichte
von vornherein jede edlere Eigenschaft und Seelenregung absprechen. Solange
im katholischen Deutschland noch an die Möglichkeit sittlicher Motive auf der
Gegenseite geglaubt wird, solange historische und poetische Darstellung nicht
Hand in Hand die historische Phantasie umgebildet haben, könnten ja An-
näherungs- und Einigungsversuche im Sinne des achtzehnten Jahrhunderts
erfolgen. Mit kräftigem Pinsel, freilich mehr mit dem eines Maurers als dem
eines Malers, führt dieser Walter Scott des Ultramontanismus Heroen der Ge¬
schichte vor. Barbarossa, Luther, Sickingen, Heinrich IV., Gustav Adolf,
Friedrich I. erhalten in diesen Fresken Gesichtszüge, von denen ihre seitherigen
Porträts wenig oder nichts wissen. „Das Gesicht zeigt," wie uns ein katho¬
lischer Literarhistoriker belehrt (H. Keller in den „Katholischen Erzählern der Neu¬
zeit," Paderborn, 1880), die „Spuren ungebändigter niedriger Leidenschaft,
selbstsüchtigen Strebens und hochmütiger Verachtung der göttlichen und
menschlichen Gesetze. Selten oder vielmehr nie fällt ein Lichtstrahl edler
Gesinnung in diese tiefste moralische Nacht." Diese historischen Helden oder
besser Fratzen werden regelmäßig Idealgestalten gegenübergestellt, denen ihre
Klostererziehung neben der unbedingten Hingabe an die Kirche auch riesige Kräfte
gegeben hat, welche sie zur größern Ehre Gottes gegen die Feinde der Kirche
anwenden. Die Handlung in all diesen Romanen entspricht der Art der Cha¬
rakterzeichnung, es ist Arbeit aus dem Gröbsten, das darstellende Talent des
Verfassers, seine Welt- und Herzcnskenntnis bleiben weit hinter dem zurück,
was wir bei Meinhold und Gräfin Hahn-Hahn finden. Denn natürlich hat
sich ein streitbarer Belletrist wie Konrad von Bolanden auch nicht versagen
können, mit Zeitromanen in die jüngsten Kämpfe einzugreifen; die absprechende
Roheit und herausfordernde innere wie äußere Unwahrheit seiner historischen
Romane wird erst verständlich, wenn wir die Bilder aus der Gegenwart er¬
blicken, die dieser Dichter hinzustellen versteht. Alle gebildeten Katholiken hätten
Ursache, gegen solche Produkte ihrer besondern konfessionellen Bildung zu Pro¬
testiren; soviel uns bekannt, ist dies nur schüchtern und gleichsam nebenbei ge¬
schehen. Die Tendenz erweist sich auch hier als die Feindin nicht bloß der
Ehrlichkeit, sondern auch des guten Geschmacks. Es ist allerdings die Frage,
für welche Kreise der deutscheu Katholiken diese Produkte bestimmt sind. Aber
wenn auch anzunehmen ist, daß die poetische Geschichtsdarstellung Bolcmdens
nur auf kleinbürgerliche Kreise, auf ein Publikum wirken soll, das daneben
englische Kriminalgeschichtcn und ähnliche „sensationelle" Erzeugnisse liest, so


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[0318] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. seys Bischoff von Speyer, der als Konrad von Bolcinden eine große Fruchtbarkeit entwickelt hat. Die Folge seiner in Mainz publizirten historischen Romane „Eine Vrcmtfahrt" (1857). „Franz von Sickingen" (1859), „Barbarossa" (1862), „Historische Novellen über Friedrich II." (1865—66), „Gustav Adolf," „Bankrott" (1877), „Die Bartholomäusnacht" (1879) zeigte ihn als einen jener Kühnen, die den Stier bei den Hörnern packen und den Heroen der Geschichte von vornherein jede edlere Eigenschaft und Seelenregung absprechen. Solange im katholischen Deutschland noch an die Möglichkeit sittlicher Motive auf der Gegenseite geglaubt wird, solange historische und poetische Darstellung nicht Hand in Hand die historische Phantasie umgebildet haben, könnten ja An- näherungs- und Einigungsversuche im Sinne des achtzehnten Jahrhunderts erfolgen. Mit kräftigem Pinsel, freilich mehr mit dem eines Maurers als dem eines Malers, führt dieser Walter Scott des Ultramontanismus Heroen der Ge¬ schichte vor. Barbarossa, Luther, Sickingen, Heinrich IV., Gustav Adolf, Friedrich I. erhalten in diesen Fresken Gesichtszüge, von denen ihre seitherigen Porträts wenig oder nichts wissen. „Das Gesicht zeigt," wie uns ein katho¬ lischer Literarhistoriker belehrt (H. Keller in den „Katholischen Erzählern der Neu¬ zeit," Paderborn, 1880), die „Spuren ungebändigter niedriger Leidenschaft, selbstsüchtigen Strebens und hochmütiger Verachtung der göttlichen und menschlichen Gesetze. Selten oder vielmehr nie fällt ein Lichtstrahl edler Gesinnung in diese tiefste moralische Nacht." Diese historischen Helden oder besser Fratzen werden regelmäßig Idealgestalten gegenübergestellt, denen ihre Klostererziehung neben der unbedingten Hingabe an die Kirche auch riesige Kräfte gegeben hat, welche sie zur größern Ehre Gottes gegen die Feinde der Kirche anwenden. Die Handlung in all diesen Romanen entspricht der Art der Cha¬ rakterzeichnung, es ist Arbeit aus dem Gröbsten, das darstellende Talent des Verfassers, seine Welt- und Herzcnskenntnis bleiben weit hinter dem zurück, was wir bei Meinhold und Gräfin Hahn-Hahn finden. Denn natürlich hat sich ein streitbarer Belletrist wie Konrad von Bolanden auch nicht versagen können, mit Zeitromanen in die jüngsten Kämpfe einzugreifen; die absprechende Roheit und herausfordernde innere wie äußere Unwahrheit seiner historischen Romane wird erst verständlich, wenn wir die Bilder aus der Gegenwart er¬ blicken, die dieser Dichter hinzustellen versteht. Alle gebildeten Katholiken hätten Ursache, gegen solche Produkte ihrer besondern konfessionellen Bildung zu Pro¬ testiren; soviel uns bekannt, ist dies nur schüchtern und gleichsam nebenbei ge¬ schehen. Die Tendenz erweist sich auch hier als die Feindin nicht bloß der Ehrlichkeit, sondern auch des guten Geschmacks. Es ist allerdings die Frage, für welche Kreise der deutscheu Katholiken diese Produkte bestimmt sind. Aber wenn auch anzunehmen ist, daß die poetische Geschichtsdarstellung Bolcmdens nur auf kleinbürgerliche Kreise, auf ein Publikum wirken soll, das daneben englische Kriminalgeschichtcn und ähnliche „sensationelle" Erzeugnisse liest, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/318>, abgerufen am 22.06.2024.