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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

skripten war der Dichter der "Bernsteinhexe" zu einer Auffassung und An¬
schauung gediehen, welche ihn der Konversion nahe führte. Es bedürfte nur
noch der Stürme von 1848 und 1849, ihn zu derselben vollends zu reifen.

Und nun im Gegensatz zu dieser stillen, in sich gekehrten, auf rein geistigem
Wege zu einer großen geistigen Wandlung reifenden Dichterexistenz die dichtende
und schreibende mecklenburgische Gräfin, in allen Salons von Europa zu Hause,
ein Stern, wenn auch ein Irrstem dessen, was sich ausschließlich die "Gesell¬
schaft" nennt, auf Reisen lebend und in Frankreich, Italien, im Orient selbst
ihre Phantasie mit den Bildern füllend, die sich der Usedomer Pfarrer nur im
dichtenden Traume vor die Seele rufen konnte, in derselben Welt mit durstiger
Seele und durstigen Sinnen den "Rechten" suchend, den sie niemals findet,
alle Stimmungen und Widersprüche ihres Innern in Büchern in die Welt hin¬
ausschreibend, die zuletzt doch mehr süffisant als geistreich, mehr komödiantisch¬
kokett als leidenschaftlich waren, aber gelesen, verschlungen, bewundert wurden!
Und diese Natur, nachdem sie alles ausgekostet hat, was ihre Welt zu bieten
vermag, wird von dem Sturm des Jahres 1848 gleichfalls durchschüttert, sie
wirft sich mit dem unverminderten Bedürfnis nach "Emotionen," nach Bewegung
und neuer Lebenserfahrung, der Kirche in die Arme und schreibt im Büßerinnen¬
kloster und im Nonnengewand Romane, Romane und wieder Romane, um die
alten Insolenzen gegen alles, was verhängnisvoller Weise bürgerlich geboren
ist oder gar von seiner Hände Arbeit leben muß, mit neuen Phrasen vorzu¬
tragen. Während die Wendung Wilhelm Meinholds zur katholischen Kirche
auf einem verschlungnen Pfade erfolgt, der sich den Blicken und dem Urteil
vielfach entzieht, schreitet die Gräfin Jda Hahn-Hahn auf dem breiten, keinerlei
Geheimnisse darbietenden Magdalenenwege "von Babylon nach Jerusalem."

Aber um, wo die beiden grundvcrschiednen, im Leben soweit getrennten
Menschen bei ihrem Ziel angekommen sind, nun tritt die merkwürdige Überein¬
stimmung ein, auf welche wir oben hindeuteten. Wohl schreibt Meinhold seiner
literarischen Vergangenheit getreu eine Art historischen Romans "Der getreue
Ritter oder Sigismund Hager und die Reformation," wohl hält sich die Gräfin
Hahn-Hahn in ihren Romanen Maria Regina," "Doralice," "Zwei Schwestern,"
"Peregrin," "Die Geschichte eines armen Fräuleins," "Nirwana," "Der breite
Weg und die enge Straße," "Wahl und Führung" u. s. w. in den Kreisen der
modernen Welt, aber die geistige Grundstimmung wird jetzt einheitlich. Nichts
wissen beide von ihrer neuen Kirche zu rühmen, als daß sie Autorität sei, daß
sie die (politischen oder sinnlichen) Leidenschaften der Menschen zahme, daß sie
Schranken aufrichte gegen unbequeme Neuerungslust und wildaufwallende Ge¬
lüste. Da quillt nirgends der Brunnen des Heils, nach welchem die ver¬
schmachtende Seele lechzt, da ist nichts von dem ewigen Frühling, welchen Angelus
Silesius geschaut, in welchem die Rose des Herzens Gott entgegenblüht, nichts
von der Ruhe des Gemüts, die sich mit Gott vollkommen eins weiß, nichts


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

skripten war der Dichter der „Bernsteinhexe" zu einer Auffassung und An¬
schauung gediehen, welche ihn der Konversion nahe führte. Es bedürfte nur
noch der Stürme von 1848 und 1849, ihn zu derselben vollends zu reifen.

Und nun im Gegensatz zu dieser stillen, in sich gekehrten, auf rein geistigem
Wege zu einer großen geistigen Wandlung reifenden Dichterexistenz die dichtende
und schreibende mecklenburgische Gräfin, in allen Salons von Europa zu Hause,
ein Stern, wenn auch ein Irrstem dessen, was sich ausschließlich die „Gesell¬
schaft" nennt, auf Reisen lebend und in Frankreich, Italien, im Orient selbst
ihre Phantasie mit den Bildern füllend, die sich der Usedomer Pfarrer nur im
dichtenden Traume vor die Seele rufen konnte, in derselben Welt mit durstiger
Seele und durstigen Sinnen den „Rechten" suchend, den sie niemals findet,
alle Stimmungen und Widersprüche ihres Innern in Büchern in die Welt hin¬
ausschreibend, die zuletzt doch mehr süffisant als geistreich, mehr komödiantisch¬
kokett als leidenschaftlich waren, aber gelesen, verschlungen, bewundert wurden!
Und diese Natur, nachdem sie alles ausgekostet hat, was ihre Welt zu bieten
vermag, wird von dem Sturm des Jahres 1848 gleichfalls durchschüttert, sie
wirft sich mit dem unverminderten Bedürfnis nach „Emotionen," nach Bewegung
und neuer Lebenserfahrung, der Kirche in die Arme und schreibt im Büßerinnen¬
kloster und im Nonnengewand Romane, Romane und wieder Romane, um die
alten Insolenzen gegen alles, was verhängnisvoller Weise bürgerlich geboren
ist oder gar von seiner Hände Arbeit leben muß, mit neuen Phrasen vorzu¬
tragen. Während die Wendung Wilhelm Meinholds zur katholischen Kirche
auf einem verschlungnen Pfade erfolgt, der sich den Blicken und dem Urteil
vielfach entzieht, schreitet die Gräfin Jda Hahn-Hahn auf dem breiten, keinerlei
Geheimnisse darbietenden Magdalenenwege „von Babylon nach Jerusalem."

Aber um, wo die beiden grundvcrschiednen, im Leben soweit getrennten
Menschen bei ihrem Ziel angekommen sind, nun tritt die merkwürdige Überein¬
stimmung ein, auf welche wir oben hindeuteten. Wohl schreibt Meinhold seiner
literarischen Vergangenheit getreu eine Art historischen Romans „Der getreue
Ritter oder Sigismund Hager und die Reformation," wohl hält sich die Gräfin
Hahn-Hahn in ihren Romanen Maria Regina," „Doralice," „Zwei Schwestern,"
„Peregrin," „Die Geschichte eines armen Fräuleins," „Nirwana," „Der breite
Weg und die enge Straße," „Wahl und Führung" u. s. w. in den Kreisen der
modernen Welt, aber die geistige Grundstimmung wird jetzt einheitlich. Nichts
wissen beide von ihrer neuen Kirche zu rühmen, als daß sie Autorität sei, daß
sie die (politischen oder sinnlichen) Leidenschaften der Menschen zahme, daß sie
Schranken aufrichte gegen unbequeme Neuerungslust und wildaufwallende Ge¬
lüste. Da quillt nirgends der Brunnen des Heils, nach welchem die ver¬
schmachtende Seele lechzt, da ist nichts von dem ewigen Frühling, welchen Angelus
Silesius geschaut, in welchem die Rose des Herzens Gott entgegenblüht, nichts
von der Ruhe des Gemüts, die sich mit Gott vollkommen eins weiß, nichts


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[0316] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. skripten war der Dichter der „Bernsteinhexe" zu einer Auffassung und An¬ schauung gediehen, welche ihn der Konversion nahe führte. Es bedürfte nur noch der Stürme von 1848 und 1849, ihn zu derselben vollends zu reifen. Und nun im Gegensatz zu dieser stillen, in sich gekehrten, auf rein geistigem Wege zu einer großen geistigen Wandlung reifenden Dichterexistenz die dichtende und schreibende mecklenburgische Gräfin, in allen Salons von Europa zu Hause, ein Stern, wenn auch ein Irrstem dessen, was sich ausschließlich die „Gesell¬ schaft" nennt, auf Reisen lebend und in Frankreich, Italien, im Orient selbst ihre Phantasie mit den Bildern füllend, die sich der Usedomer Pfarrer nur im dichtenden Traume vor die Seele rufen konnte, in derselben Welt mit durstiger Seele und durstigen Sinnen den „Rechten" suchend, den sie niemals findet, alle Stimmungen und Widersprüche ihres Innern in Büchern in die Welt hin¬ ausschreibend, die zuletzt doch mehr süffisant als geistreich, mehr komödiantisch¬ kokett als leidenschaftlich waren, aber gelesen, verschlungen, bewundert wurden! Und diese Natur, nachdem sie alles ausgekostet hat, was ihre Welt zu bieten vermag, wird von dem Sturm des Jahres 1848 gleichfalls durchschüttert, sie wirft sich mit dem unverminderten Bedürfnis nach „Emotionen," nach Bewegung und neuer Lebenserfahrung, der Kirche in die Arme und schreibt im Büßerinnen¬ kloster und im Nonnengewand Romane, Romane und wieder Romane, um die alten Insolenzen gegen alles, was verhängnisvoller Weise bürgerlich geboren ist oder gar von seiner Hände Arbeit leben muß, mit neuen Phrasen vorzu¬ tragen. Während die Wendung Wilhelm Meinholds zur katholischen Kirche auf einem verschlungnen Pfade erfolgt, der sich den Blicken und dem Urteil vielfach entzieht, schreitet die Gräfin Jda Hahn-Hahn auf dem breiten, keinerlei Geheimnisse darbietenden Magdalenenwege „von Babylon nach Jerusalem." Aber um, wo die beiden grundvcrschiednen, im Leben soweit getrennten Menschen bei ihrem Ziel angekommen sind, nun tritt die merkwürdige Überein¬ stimmung ein, auf welche wir oben hindeuteten. Wohl schreibt Meinhold seiner literarischen Vergangenheit getreu eine Art historischen Romans „Der getreue Ritter oder Sigismund Hager und die Reformation," wohl hält sich die Gräfin Hahn-Hahn in ihren Romanen Maria Regina," „Doralice," „Zwei Schwestern," „Peregrin," „Die Geschichte eines armen Fräuleins," „Nirwana," „Der breite Weg und die enge Straße," „Wahl und Führung" u. s. w. in den Kreisen der modernen Welt, aber die geistige Grundstimmung wird jetzt einheitlich. Nichts wissen beide von ihrer neuen Kirche zu rühmen, als daß sie Autorität sei, daß sie die (politischen oder sinnlichen) Leidenschaften der Menschen zahme, daß sie Schranken aufrichte gegen unbequeme Neuerungslust und wildaufwallende Ge¬ lüste. Da quillt nirgends der Brunnen des Heils, nach welchem die ver¬ schmachtende Seele lechzt, da ist nichts von dem ewigen Frühling, welchen Angelus Silesius geschaut, in welchem die Rose des Herzens Gott entgegenblüht, nichts von der Ruhe des Gemüts, die sich mit Gott vollkommen eins weiß, nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/316>, abgerufen am 22.06.2024.