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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

sehen. Die Raumweite und Zeitenweite der großen Kirchengeschichte und die
unübersehbare Mannichfaltigkeit der kirchlichen Erscheinungen schrumpfen in der
Anschauungs- und Kampfweise dieser Konvertiten merkwürdig zusammen; der
Geist der Jahrhunderte und aller großen kirchlichen Bildungen wandelt sich in
den Geist zweier Menschenalter und in den Lebenshauch, der die Schöpfung
der Jesuiten durch Jakob Lainez, Franz Borgia und Aquaviva beseelt hatte.
Wie mit unausweichlicher Notwendigkeit machen die Konvertitendichter, gleich¬
viel, ob sie Vergangenheit oder Gegenwart darstellen, Propaganda für diesen
Geist, selten überkommt sie eine Ahnung des mächtigen innern Lebens, das in
ihrer Kirche neben demselben obgewaltet. Das läßt sich deutlich ersehen an den
Werken zweier so gewaltig durch Lebensläufe nud Schicksale getrennten poetischen
Konvertiten vom Ende der vierziger Jahre, wie Wilhelm Meiuhold und der
Gräfin Jda Hahn-Hahn. Keines Dichters Phantasie hätte weiter ausein¬
anderliegende Lebenswege, Bilduugsmomente und persönliche Anlagen erdenken
können, als die des protestantischen Landpfarrers von Kvserow und Krummin
und des hochgebornen Blaustrumpfs, welcher mit den Romanen "Der Rechte,"
"Gräfin Faustiue" und "Ulrich" die gührende und nach neuen Offen¬
barungen der Leidenschaft durstige deutsche Welt zu Anfang der vierziger
Jahre entzückte. Die Wiegen beider hatten freilich nahe genug beieinander,
an den Ufern der Ostsee, im mecklenburgisch-pommerschen Niederdeutschland ge¬
standen. Aber sonst hätte das schärfste Kombinationsvermögen eines gruppi-
renden Literarhistorikers nichts erdenken können, was diese beiden literarischen
Persönlichkeiten je unter einen Gesichtspunkt gestellt hätte. Der Landpfarrer,
noch im vorigen Jahrhundert (1797) geboren, in der Heimat den Studien ob¬
liegend, in Schul- und Pfarrstellen auf der Insel Usedom und in den Dörfern
von Vorpommern hin- und hergeschoben, ein stilles Landpfcirrcrleben mit mannich-
fachen poetischen Gestalten erfüllend und mancherlei Anläufe zum literarischen
Ruhme nehmend, der ihm nur einmal winkt, als er mit seiner in der Sprache
des siebzehnten Jahrhunderts abgefaßten "Bernsteinhexe" ein Nachfolger der
Chatterton und Ireland, ein Vorläufer des modernen archäologischen Romans
geworden war. Eine kräftige, warme und ehrliche Natur, aber ohne aus¬
gebildeten Sinn für Reinheit und Schönheit der Form, hatte Meinhold sich
in frischen Gedichten und Balladen, im Epos und Roman versucht. Aber so¬
wohl sein "Schill" als sein großes Gedicht "Otto Bischof von Bamberg oder
die Kreuzfahrt nach Pommern" lagen mit ihren Stoffen wie mit ihrer Aus-
führung so außerhalb der Stimmungen, die in den dreißiger und vierziger
Jahren das deutsche Publikum beherrschten, daß sie nur in sehr kleinen Kreisen
beachtet wurden. So entging denn der Aufmerksamkeit ein bemerkenswerter
Zug starrsinniger Opposition gegen die geistige Strömung der Zeit, eine dem
Pommerschen Landpfarrer sicher selbst unbewußte Neigung für hierarchische
Weltordnung! In seiner Landeinsamkeit, zwischen seinen Büchern und Manu-


Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.

sehen. Die Raumweite und Zeitenweite der großen Kirchengeschichte und die
unübersehbare Mannichfaltigkeit der kirchlichen Erscheinungen schrumpfen in der
Anschauungs- und Kampfweise dieser Konvertiten merkwürdig zusammen; der
Geist der Jahrhunderte und aller großen kirchlichen Bildungen wandelt sich in
den Geist zweier Menschenalter und in den Lebenshauch, der die Schöpfung
der Jesuiten durch Jakob Lainez, Franz Borgia und Aquaviva beseelt hatte.
Wie mit unausweichlicher Notwendigkeit machen die Konvertitendichter, gleich¬
viel, ob sie Vergangenheit oder Gegenwart darstellen, Propaganda für diesen
Geist, selten überkommt sie eine Ahnung des mächtigen innern Lebens, das in
ihrer Kirche neben demselben obgewaltet. Das läßt sich deutlich ersehen an den
Werken zweier so gewaltig durch Lebensläufe nud Schicksale getrennten poetischen
Konvertiten vom Ende der vierziger Jahre, wie Wilhelm Meiuhold und der
Gräfin Jda Hahn-Hahn. Keines Dichters Phantasie hätte weiter ausein¬
anderliegende Lebenswege, Bilduugsmomente und persönliche Anlagen erdenken
können, als die des protestantischen Landpfarrers von Kvserow und Krummin
und des hochgebornen Blaustrumpfs, welcher mit den Romanen „Der Rechte,"
„Gräfin Faustiue" und „Ulrich" die gührende und nach neuen Offen¬
barungen der Leidenschaft durstige deutsche Welt zu Anfang der vierziger
Jahre entzückte. Die Wiegen beider hatten freilich nahe genug beieinander,
an den Ufern der Ostsee, im mecklenburgisch-pommerschen Niederdeutschland ge¬
standen. Aber sonst hätte das schärfste Kombinationsvermögen eines gruppi-
renden Literarhistorikers nichts erdenken können, was diese beiden literarischen
Persönlichkeiten je unter einen Gesichtspunkt gestellt hätte. Der Landpfarrer,
noch im vorigen Jahrhundert (1797) geboren, in der Heimat den Studien ob¬
liegend, in Schul- und Pfarrstellen auf der Insel Usedom und in den Dörfern
von Vorpommern hin- und hergeschoben, ein stilles Landpfcirrcrleben mit mannich-
fachen poetischen Gestalten erfüllend und mancherlei Anläufe zum literarischen
Ruhme nehmend, der ihm nur einmal winkt, als er mit seiner in der Sprache
des siebzehnten Jahrhunderts abgefaßten „Bernsteinhexe" ein Nachfolger der
Chatterton und Ireland, ein Vorläufer des modernen archäologischen Romans
geworden war. Eine kräftige, warme und ehrliche Natur, aber ohne aus¬
gebildeten Sinn für Reinheit und Schönheit der Form, hatte Meinhold sich
in frischen Gedichten und Balladen, im Epos und Roman versucht. Aber so¬
wohl sein „Schill" als sein großes Gedicht „Otto Bischof von Bamberg oder
die Kreuzfahrt nach Pommern" lagen mit ihren Stoffen wie mit ihrer Aus-
führung so außerhalb der Stimmungen, die in den dreißiger und vierziger
Jahren das deutsche Publikum beherrschten, daß sie nur in sehr kleinen Kreisen
beachtet wurden. So entging denn der Aufmerksamkeit ein bemerkenswerter
Zug starrsinniger Opposition gegen die geistige Strömung der Zeit, eine dem
Pommerschen Landpfarrer sicher selbst unbewußte Neigung für hierarchische
Weltordnung! In seiner Landeinsamkeit, zwischen seinen Büchern und Manu-


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[0315] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. sehen. Die Raumweite und Zeitenweite der großen Kirchengeschichte und die unübersehbare Mannichfaltigkeit der kirchlichen Erscheinungen schrumpfen in der Anschauungs- und Kampfweise dieser Konvertiten merkwürdig zusammen; der Geist der Jahrhunderte und aller großen kirchlichen Bildungen wandelt sich in den Geist zweier Menschenalter und in den Lebenshauch, der die Schöpfung der Jesuiten durch Jakob Lainez, Franz Borgia und Aquaviva beseelt hatte. Wie mit unausweichlicher Notwendigkeit machen die Konvertitendichter, gleich¬ viel, ob sie Vergangenheit oder Gegenwart darstellen, Propaganda für diesen Geist, selten überkommt sie eine Ahnung des mächtigen innern Lebens, das in ihrer Kirche neben demselben obgewaltet. Das läßt sich deutlich ersehen an den Werken zweier so gewaltig durch Lebensläufe nud Schicksale getrennten poetischen Konvertiten vom Ende der vierziger Jahre, wie Wilhelm Meiuhold und der Gräfin Jda Hahn-Hahn. Keines Dichters Phantasie hätte weiter ausein¬ anderliegende Lebenswege, Bilduugsmomente und persönliche Anlagen erdenken können, als die des protestantischen Landpfarrers von Kvserow und Krummin und des hochgebornen Blaustrumpfs, welcher mit den Romanen „Der Rechte," „Gräfin Faustiue" und „Ulrich" die gührende und nach neuen Offen¬ barungen der Leidenschaft durstige deutsche Welt zu Anfang der vierziger Jahre entzückte. Die Wiegen beider hatten freilich nahe genug beieinander, an den Ufern der Ostsee, im mecklenburgisch-pommerschen Niederdeutschland ge¬ standen. Aber sonst hätte das schärfste Kombinationsvermögen eines gruppi- renden Literarhistorikers nichts erdenken können, was diese beiden literarischen Persönlichkeiten je unter einen Gesichtspunkt gestellt hätte. Der Landpfarrer, noch im vorigen Jahrhundert (1797) geboren, in der Heimat den Studien ob¬ liegend, in Schul- und Pfarrstellen auf der Insel Usedom und in den Dörfern von Vorpommern hin- und hergeschoben, ein stilles Landpfcirrcrleben mit mannich- fachen poetischen Gestalten erfüllend und mancherlei Anläufe zum literarischen Ruhme nehmend, der ihm nur einmal winkt, als er mit seiner in der Sprache des siebzehnten Jahrhunderts abgefaßten „Bernsteinhexe" ein Nachfolger der Chatterton und Ireland, ein Vorläufer des modernen archäologischen Romans geworden war. Eine kräftige, warme und ehrliche Natur, aber ohne aus¬ gebildeten Sinn für Reinheit und Schönheit der Form, hatte Meinhold sich in frischen Gedichten und Balladen, im Epos und Roman versucht. Aber so¬ wohl sein „Schill" als sein großes Gedicht „Otto Bischof von Bamberg oder die Kreuzfahrt nach Pommern" lagen mit ihren Stoffen wie mit ihrer Aus- führung so außerhalb der Stimmungen, die in den dreißiger und vierziger Jahren das deutsche Publikum beherrschten, daß sie nur in sehr kleinen Kreisen beachtet wurden. So entging denn der Aufmerksamkeit ein bemerkenswerter Zug starrsinniger Opposition gegen die geistige Strömung der Zeit, eine dem Pommerschen Landpfarrer sicher selbst unbewußte Neigung für hierarchische Weltordnung! In seiner Landeinsamkeit, zwischen seinen Büchern und Manu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/315>, abgerufen am 22.06.2024.