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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Jetta.

Jetta geht zu den Alemannen über, um mit ihrer Hilfe sich ein den Mördern
ihres Gatten zu rächen. Um aber schließlich den in eine Falle gelockten jungen
Cäsar Gratian zu retten, fällt sie selbst den Wölfen zur Beute, die ihn zer¬
reißen sollten.

Man darf sich über diesen herben Schluß uicht wundern. Taylor ist über¬
haupt pessimistisch gestimmt, und diesen seinen Pessimismus erkennt man bei
einiger Aufmerksamkeit bald aus dem ganzen Orchester von Weltanschauungen,
welches sich in seinen Romanen vernehmen läßt. Sein Humor selbst vermag
einen gewissen sittlichen Rigorismus in ihm nicht zu verbergen. Dies sind,
neben der wissenschaftlichen Bildung natürlich, die im Stil vor allem überall
durchleuchtet, die modernen Züge in ihm, von denen er sich nicht befreien kann,
so sehr er sich auch bestrebt, ganz in der Vergangenheit aufzugehen. Wenn er
sich nur etwas weniger darum bemühte! Wenn er ganz frei poetisch schaffen
wollte und weniger konsequent alles dem Zwecke, ja recht historisch zu sein, unter¬
werfen wollte! Als ob nicht eine reichere Wissenschaft, wie doch sehr wahr¬
scheinlich ist, selbst diese jetzigen historischen Bilder für "Erdichtung" später hin¬
stellen wird! Was hätte die "Jetta" gewinnen müssen, wenn er seinem didaktischen
Triebe etwas weniger Spielraum gelassen hätte! Das ist eben der Fehler des
genial angelegten Buches. Die ausführlichen Schilderungen einer römischen
und einer germanischen Hauseinrichtung, eines römischen und germanischen Kriegs¬
dienstes, Festuugsbaues und so vieles andre dieser Art bringen eine langweilige
Luft in den Roman, der sich ohnehin bei der ganzen Persönlichkeit des Autors
nur langsam und bedächtig lesen läßt. Zudem verschmäht es Taylor nicht,
durch seitenlange, ganz unkünstlerische, unmittelbare Schilderung der Gestalten
der einzig epischen, mittelbaren, durch die Handlung und das Sichgeben der
Figuren selbst wirkenden Darstellungsweise nachzuhelfen. Er zerstört so die
Anschaulichkeit derselben; je geistreicher er in die Psychologie seiner Helden ein¬
führt, umso leerer geht die Phantasie des Lesers aus. Davon, daß man zu
einem naiven Genuß seiner Dichtung nicht kommt, weil mau sich doch immer
um die allgemeinen Ideen in ihr kümmert -- davon soll garnicht gesprochen
werden, das liegt ja im Wesen der didaktischen Gattung überhaupt.

Es ist merkwürdig: die Einseitigkeit einer falschen Kunstrichtung kommt
umsomehr zutage, je konsequenter sie ausgeübt wird. Die "Jetta" ist ein klas¬
sischer Beleg dafür. Soviel Schönheiten sie auch enthält, so wirkt sie im ganzen
doch mehr ermüdend als erfreulich. Wie lange wird wohl diese Kunstrichtung
bei uns noch andauern?




Grenzboten III. 1384.!?7
Jetta.

Jetta geht zu den Alemannen über, um mit ihrer Hilfe sich ein den Mördern
ihres Gatten zu rächen. Um aber schließlich den in eine Falle gelockten jungen
Cäsar Gratian zu retten, fällt sie selbst den Wölfen zur Beute, die ihn zer¬
reißen sollten.

Man darf sich über diesen herben Schluß uicht wundern. Taylor ist über¬
haupt pessimistisch gestimmt, und diesen seinen Pessimismus erkennt man bei
einiger Aufmerksamkeit bald aus dem ganzen Orchester von Weltanschauungen,
welches sich in seinen Romanen vernehmen läßt. Sein Humor selbst vermag
einen gewissen sittlichen Rigorismus in ihm nicht zu verbergen. Dies sind,
neben der wissenschaftlichen Bildung natürlich, die im Stil vor allem überall
durchleuchtet, die modernen Züge in ihm, von denen er sich nicht befreien kann,
so sehr er sich auch bestrebt, ganz in der Vergangenheit aufzugehen. Wenn er
sich nur etwas weniger darum bemühte! Wenn er ganz frei poetisch schaffen
wollte und weniger konsequent alles dem Zwecke, ja recht historisch zu sein, unter¬
werfen wollte! Als ob nicht eine reichere Wissenschaft, wie doch sehr wahr¬
scheinlich ist, selbst diese jetzigen historischen Bilder für „Erdichtung" später hin¬
stellen wird! Was hätte die „Jetta" gewinnen müssen, wenn er seinem didaktischen
Triebe etwas weniger Spielraum gelassen hätte! Das ist eben der Fehler des
genial angelegten Buches. Die ausführlichen Schilderungen einer römischen
und einer germanischen Hauseinrichtung, eines römischen und germanischen Kriegs¬
dienstes, Festuugsbaues und so vieles andre dieser Art bringen eine langweilige
Luft in den Roman, der sich ohnehin bei der ganzen Persönlichkeit des Autors
nur langsam und bedächtig lesen läßt. Zudem verschmäht es Taylor nicht,
durch seitenlange, ganz unkünstlerische, unmittelbare Schilderung der Gestalten
der einzig epischen, mittelbaren, durch die Handlung und das Sichgeben der
Figuren selbst wirkenden Darstellungsweise nachzuhelfen. Er zerstört so die
Anschaulichkeit derselben; je geistreicher er in die Psychologie seiner Helden ein¬
führt, umso leerer geht die Phantasie des Lesers aus. Davon, daß man zu
einem naiven Genuß seiner Dichtung nicht kommt, weil mau sich doch immer
um die allgemeinen Ideen in ihr kümmert — davon soll garnicht gesprochen
werden, das liegt ja im Wesen der didaktischen Gattung überhaupt.

Es ist merkwürdig: die Einseitigkeit einer falschen Kunstrichtung kommt
umsomehr zutage, je konsequenter sie ausgeübt wird. Die „Jetta" ist ein klas¬
sischer Beleg dafür. Soviel Schönheiten sie auch enthält, so wirkt sie im ganzen
doch mehr ermüdend als erfreulich. Wie lange wird wohl diese Kunstrichtung
bei uns noch andauern?




Grenzboten III. 1384.!?7
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[0297] Jetta. Jetta geht zu den Alemannen über, um mit ihrer Hilfe sich ein den Mördern ihres Gatten zu rächen. Um aber schließlich den in eine Falle gelockten jungen Cäsar Gratian zu retten, fällt sie selbst den Wölfen zur Beute, die ihn zer¬ reißen sollten. Man darf sich über diesen herben Schluß uicht wundern. Taylor ist über¬ haupt pessimistisch gestimmt, und diesen seinen Pessimismus erkennt man bei einiger Aufmerksamkeit bald aus dem ganzen Orchester von Weltanschauungen, welches sich in seinen Romanen vernehmen läßt. Sein Humor selbst vermag einen gewissen sittlichen Rigorismus in ihm nicht zu verbergen. Dies sind, neben der wissenschaftlichen Bildung natürlich, die im Stil vor allem überall durchleuchtet, die modernen Züge in ihm, von denen er sich nicht befreien kann, so sehr er sich auch bestrebt, ganz in der Vergangenheit aufzugehen. Wenn er sich nur etwas weniger darum bemühte! Wenn er ganz frei poetisch schaffen wollte und weniger konsequent alles dem Zwecke, ja recht historisch zu sein, unter¬ werfen wollte! Als ob nicht eine reichere Wissenschaft, wie doch sehr wahr¬ scheinlich ist, selbst diese jetzigen historischen Bilder für „Erdichtung" später hin¬ stellen wird! Was hätte die „Jetta" gewinnen müssen, wenn er seinem didaktischen Triebe etwas weniger Spielraum gelassen hätte! Das ist eben der Fehler des genial angelegten Buches. Die ausführlichen Schilderungen einer römischen und einer germanischen Hauseinrichtung, eines römischen und germanischen Kriegs¬ dienstes, Festuugsbaues und so vieles andre dieser Art bringen eine langweilige Luft in den Roman, der sich ohnehin bei der ganzen Persönlichkeit des Autors nur langsam und bedächtig lesen läßt. Zudem verschmäht es Taylor nicht, durch seitenlange, ganz unkünstlerische, unmittelbare Schilderung der Gestalten der einzig epischen, mittelbaren, durch die Handlung und das Sichgeben der Figuren selbst wirkenden Darstellungsweise nachzuhelfen. Er zerstört so die Anschaulichkeit derselben; je geistreicher er in die Psychologie seiner Helden ein¬ führt, umso leerer geht die Phantasie des Lesers aus. Davon, daß man zu einem naiven Genuß seiner Dichtung nicht kommt, weil mau sich doch immer um die allgemeinen Ideen in ihr kümmert — davon soll garnicht gesprochen werden, das liegt ja im Wesen der didaktischen Gattung überhaupt. Es ist merkwürdig: die Einseitigkeit einer falschen Kunstrichtung kommt umsomehr zutage, je konsequenter sie ausgeübt wird. Die „Jetta" ist ein klas¬ sischer Beleg dafür. Soviel Schönheiten sie auch enthält, so wirkt sie im ganzen doch mehr ermüdend als erfreulich. Wie lange wird wohl diese Kunstrichtung bei uns noch andauern? Grenzboten III. 1384.!?7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/297>, abgerufen am 21.06.2024.