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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Jetta.

goms aufgenommen, der die Harmonie der Welt, gleich dem neuern Spinoza,
in mathematischen Formeln auszusprechen suchte. Mit der Schönheit der idealen
Römerin vereinigt sie die Leidenschaftlichkeit einer Medea. Das priefterhafte
Wesen hat sie mit ihr gemeinsam: auch sie vertieft sich in die Künste der Zau¬
berei und sucht die Rätsel der Zukunft durch diese ihre dunkeln Künste zu ent¬
schleiern. Ganz Italienerin, ist sie pathetisch, rhetorisch, erfüllt von der größten
Zuversicht in sich selbst, womit sie nicht zum geringsten ihre Wirkungen auf
ihre Umgebung ausübt. In dem Germanen Nothari glaubt sie nun ihr Ideal
gefunden zu haben. Sie will ihn, der sich, echt germanisch, wegen eines Familien¬
zwistes in den Dienst des Kaisers begeben, ganz zum Römer machen. Aber
die eheliche Vereinigung, in die trotz böser Ahnungen der germanische Held ein¬
geht, gerät beiden zum Unheil. Solange Nothari nur äußerlichen Verkehr mit
dem Römertum hatte, zogen ihn die feinen Formen des zivilisirten Lebens
lebhaft an, und er glaubte wirklich, daß die Welt unter der Herrschaft dieser
hohen Bildung nur gewinnen könnte. Aber die Natur in ihm ist stärker als
seine Reflexion (ein Gegensatz, den Taylor mit Vorliebe hervorhebt). Bei dem
Versuche, sich ganz und gar ins römische Leben einzuwohnen, kommt seine volle
germanische Natur wie eine elementarische Kraft zum Durchbruch. Er kann
nicht wohnen in den bunt und zierlich geschmückten römischen Villen: ihm fehlt
sein germanisches Blockhaus. So wenig er sein Fell als Kleidung gegen die
Toga vertauschen mag, so wenig liebt er die weichen Pfühle der Römer. Ihn
schmerzt die Entweihung gleich der Brautnacht, in der er nach römischem Branche
von der Gattin weg zum Tempel des Mithras geschleppt wird. Das römische
Familienleben ist ihm nicht keusch verborgen genug. Die römischen Götter sind
ihm fremd, und er versteht Jettas Kultus und Religion nicht. Er liebt die
Jagd, die Einsamkeit des Waldes: Jetta klagt über seine Abwesenheit vom
Hause. Und so geht es fort: auf Schritt und Tritt neue, unversöhnliche Gegen¬
sätze. Sie sind beide abergläubisch und halten beide auf die Kunst der Zauberei,
aber jeder auf eine andre. Jetta muß sich fügen und dem Manne ihrer Wahl
aus der heitern, kunstvollen Villa in sein rohes Blockhaus folgen. Sie, die
ihn zum Römer machen wollte, klagt nun, daß er sie zur Barbarin erniedrige.
Selbst die Geburt eines Knciblcins vermag die Kluft zwischen beiden Gatten
nicht mehr zu überbrücken. Wird doch das Kind der zarten Mutter gleich ent¬
rissen und dem Vater auf dem Schilde entgegengetragen.

Diese Schilderungen vom Glück und Ende des Liebes- und Ehelebens
zwischen dem ungleichen Ehepaare sind die Glanzpartien des Romans, die weitere
Handlung deuten wir nur kurz an. Kaiser Valentinian hat Nothari in dem
Verdacht, daß er nach seinem Throne strebe; Grund dazu entsteht ihm daraus,
daß der Germane im Besitz eines Helmes ist, an dessen Eigentum sich die Herr¬
schaft, einer Sage nach, bindet. Nothari wird ermordet, nachdem auch sein
Kind dem abergläubischen Treiben der Kaiserin Justina zum Opfer gefalle".


Jetta.

goms aufgenommen, der die Harmonie der Welt, gleich dem neuern Spinoza,
in mathematischen Formeln auszusprechen suchte. Mit der Schönheit der idealen
Römerin vereinigt sie die Leidenschaftlichkeit einer Medea. Das priefterhafte
Wesen hat sie mit ihr gemeinsam: auch sie vertieft sich in die Künste der Zau¬
berei und sucht die Rätsel der Zukunft durch diese ihre dunkeln Künste zu ent¬
schleiern. Ganz Italienerin, ist sie pathetisch, rhetorisch, erfüllt von der größten
Zuversicht in sich selbst, womit sie nicht zum geringsten ihre Wirkungen auf
ihre Umgebung ausübt. In dem Germanen Nothari glaubt sie nun ihr Ideal
gefunden zu haben. Sie will ihn, der sich, echt germanisch, wegen eines Familien¬
zwistes in den Dienst des Kaisers begeben, ganz zum Römer machen. Aber
die eheliche Vereinigung, in die trotz böser Ahnungen der germanische Held ein¬
geht, gerät beiden zum Unheil. Solange Nothari nur äußerlichen Verkehr mit
dem Römertum hatte, zogen ihn die feinen Formen des zivilisirten Lebens
lebhaft an, und er glaubte wirklich, daß die Welt unter der Herrschaft dieser
hohen Bildung nur gewinnen könnte. Aber die Natur in ihm ist stärker als
seine Reflexion (ein Gegensatz, den Taylor mit Vorliebe hervorhebt). Bei dem
Versuche, sich ganz und gar ins römische Leben einzuwohnen, kommt seine volle
germanische Natur wie eine elementarische Kraft zum Durchbruch. Er kann
nicht wohnen in den bunt und zierlich geschmückten römischen Villen: ihm fehlt
sein germanisches Blockhaus. So wenig er sein Fell als Kleidung gegen die
Toga vertauschen mag, so wenig liebt er die weichen Pfühle der Römer. Ihn
schmerzt die Entweihung gleich der Brautnacht, in der er nach römischem Branche
von der Gattin weg zum Tempel des Mithras geschleppt wird. Das römische
Familienleben ist ihm nicht keusch verborgen genug. Die römischen Götter sind
ihm fremd, und er versteht Jettas Kultus und Religion nicht. Er liebt die
Jagd, die Einsamkeit des Waldes: Jetta klagt über seine Abwesenheit vom
Hause. Und so geht es fort: auf Schritt und Tritt neue, unversöhnliche Gegen¬
sätze. Sie sind beide abergläubisch und halten beide auf die Kunst der Zauberei,
aber jeder auf eine andre. Jetta muß sich fügen und dem Manne ihrer Wahl
aus der heitern, kunstvollen Villa in sein rohes Blockhaus folgen. Sie, die
ihn zum Römer machen wollte, klagt nun, daß er sie zur Barbarin erniedrige.
Selbst die Geburt eines Knciblcins vermag die Kluft zwischen beiden Gatten
nicht mehr zu überbrücken. Wird doch das Kind der zarten Mutter gleich ent¬
rissen und dem Vater auf dem Schilde entgegengetragen.

Diese Schilderungen vom Glück und Ende des Liebes- und Ehelebens
zwischen dem ungleichen Ehepaare sind die Glanzpartien des Romans, die weitere
Handlung deuten wir nur kurz an. Kaiser Valentinian hat Nothari in dem
Verdacht, daß er nach seinem Throne strebe; Grund dazu entsteht ihm daraus,
daß der Germane im Besitz eines Helmes ist, an dessen Eigentum sich die Herr¬
schaft, einer Sage nach, bindet. Nothari wird ermordet, nachdem auch sein
Kind dem abergläubischen Treiben der Kaiserin Justina zum Opfer gefalle».


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/296>, abgerufen am 21.06.2024.