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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Jetta.

geworden, aber die Neubekehrten wendeten sich ab von der heitern Lebensfreude
der alten Welt, halfen mit an ihrem Untergänge, ohne selbst minder aber¬
gläubisch als die guten Heiden zu sein. Zudem kam der fanatische Sektengeist
erst recht zur Blüte, Arianer und Nicciner befehdeten sich aufs grimmigste.
Aber die Gegensätze, welche eigentlich die Welt bewegten, waren nicht rein theo¬
retischer Art, sondern gewaltige Machtfragen. Es trat ein neues Element in
die Weltgeschichte, das Germanentum. Mit ihm kämpfte Rom auf Leben und
Tod. Der Mittelpunkt des politischen Lebens verschob sich an die Grenzen
des Reiches, denn dort entschied sich sein Schicksal: am Rhein. Dort weilt
Kaiser Valentinian mit seinem Heere und seiner Familie, da er immer beschäftigt
ist, die Alemannen vom Reiche zurückzuhalten. In diese landschaftlich
reizende Gegend um Heidelberg, an die Ufer des Neckar, verlegte Taylor den
Ort seiner Erzählung. Der Gegensatz von Nömertum und Germanentum ist
das Thema derselben. Aber gemäß seiner tief aufs Innerliche gehenden Wissen¬
schaft der Religionsgeschichte unternimmt es Professor Hausrath nicht so sehr
die äußern politischen Verwicklungen in kriegerisch bewegten Bildern zu ent¬
werfen. Das kriegerische und politische Element überhaupt spielt die geringste
Rolle in der "Jetta." Er geht ganz in die Tiefe. Die bei Römern und
Germanen durchaus verschiedene Gemütswelt, die bis in die äußerlichsten Dinge
grundverschiedenen Lebensformen der beiden unternimmt Taylor in zwei kontra-
stirenden Typen zu veranschaulichen. In der verhängnisvoll sich gestaltenden
Ehe des Germanen Rothari mit der heroischen Römerin Jetta spricht der Dichter
seinen Gedanken von der absoluten Unverträglichkeit der beiden Volkscharaktere
aus, wobei er auch hier eine möglichst historische Unparteilichkeit zu wahren
strebt, nur daß man etwa aus der elegischen Gestalt der Heldin den Ausdruck
der Trauer über die untergehende Kultur entnehmen könnte. Und auch hier
scheint sein Gedanke zu sein, daß in der ungebrochenen Kraft des Naturvolkes,
w seiner durch keine Reflexion zerfaserten sittlichen Energie der Grund seines
Sieges über die Römer lag.

Man wird nicht umhin können, der Geschicklichkeit und Kunst, und der
Taylor die ihm durch die Wissenschaft der Germanistik und klassischen Alter¬
tumskunde gebotenen Anschauungen in bewegtes Leben umsetzt, seine Bewunderung
M zollen. Man könnte seine Methode als eine Art wissenschaftlichen Realismus
bezeichnen, so konstruktiv er im Grunde vorgeht. Und diese Partien seines
Buches, die Schilderung des Verhältnisses zwischen Jetta und Rothari, send
auch die gelungensten darin. In der Jetta spricht sich ein Wesen aus, welches
den ganzen Stolz der Römerin, als Kind eines weltbeherrschenden Volkes, in
sich aufgenommen hat. Die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit giebt
ihr den höchsten Schwung. Sie hat sich erfüllt mit der ganzen schöngeistigen
und philosophischen Bildung ihres Volkes. Sie ist als Geschöpf Taylors na¬
türlich auch religiös gestimmt. Sie hatte die mystische Philosophie des Pytha-


Jetta.

geworden, aber die Neubekehrten wendeten sich ab von der heitern Lebensfreude
der alten Welt, halfen mit an ihrem Untergänge, ohne selbst minder aber¬
gläubisch als die guten Heiden zu sein. Zudem kam der fanatische Sektengeist
erst recht zur Blüte, Arianer und Nicciner befehdeten sich aufs grimmigste.
Aber die Gegensätze, welche eigentlich die Welt bewegten, waren nicht rein theo¬
retischer Art, sondern gewaltige Machtfragen. Es trat ein neues Element in
die Weltgeschichte, das Germanentum. Mit ihm kämpfte Rom auf Leben und
Tod. Der Mittelpunkt des politischen Lebens verschob sich an die Grenzen
des Reiches, denn dort entschied sich sein Schicksal: am Rhein. Dort weilt
Kaiser Valentinian mit seinem Heere und seiner Familie, da er immer beschäftigt
ist, die Alemannen vom Reiche zurückzuhalten. In diese landschaftlich
reizende Gegend um Heidelberg, an die Ufer des Neckar, verlegte Taylor den
Ort seiner Erzählung. Der Gegensatz von Nömertum und Germanentum ist
das Thema derselben. Aber gemäß seiner tief aufs Innerliche gehenden Wissen¬
schaft der Religionsgeschichte unternimmt es Professor Hausrath nicht so sehr
die äußern politischen Verwicklungen in kriegerisch bewegten Bildern zu ent¬
werfen. Das kriegerische und politische Element überhaupt spielt die geringste
Rolle in der „Jetta." Er geht ganz in die Tiefe. Die bei Römern und
Germanen durchaus verschiedene Gemütswelt, die bis in die äußerlichsten Dinge
grundverschiedenen Lebensformen der beiden unternimmt Taylor in zwei kontra-
stirenden Typen zu veranschaulichen. In der verhängnisvoll sich gestaltenden
Ehe des Germanen Rothari mit der heroischen Römerin Jetta spricht der Dichter
seinen Gedanken von der absoluten Unverträglichkeit der beiden Volkscharaktere
aus, wobei er auch hier eine möglichst historische Unparteilichkeit zu wahren
strebt, nur daß man etwa aus der elegischen Gestalt der Heldin den Ausdruck
der Trauer über die untergehende Kultur entnehmen könnte. Und auch hier
scheint sein Gedanke zu sein, daß in der ungebrochenen Kraft des Naturvolkes,
w seiner durch keine Reflexion zerfaserten sittlichen Energie der Grund seines
Sieges über die Römer lag.

Man wird nicht umhin können, der Geschicklichkeit und Kunst, und der
Taylor die ihm durch die Wissenschaft der Germanistik und klassischen Alter¬
tumskunde gebotenen Anschauungen in bewegtes Leben umsetzt, seine Bewunderung
M zollen. Man könnte seine Methode als eine Art wissenschaftlichen Realismus
bezeichnen, so konstruktiv er im Grunde vorgeht. Und diese Partien seines
Buches, die Schilderung des Verhältnisses zwischen Jetta und Rothari, send
auch die gelungensten darin. In der Jetta spricht sich ein Wesen aus, welches
den ganzen Stolz der Römerin, als Kind eines weltbeherrschenden Volkes, in
sich aufgenommen hat. Die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit giebt
ihr den höchsten Schwung. Sie hat sich erfüllt mit der ganzen schöngeistigen
und philosophischen Bildung ihres Volkes. Sie ist als Geschöpf Taylors na¬
türlich auch religiös gestimmt. Sie hatte die mystische Philosophie des Pytha-


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[0295] Jetta. geworden, aber die Neubekehrten wendeten sich ab von der heitern Lebensfreude der alten Welt, halfen mit an ihrem Untergänge, ohne selbst minder aber¬ gläubisch als die guten Heiden zu sein. Zudem kam der fanatische Sektengeist erst recht zur Blüte, Arianer und Nicciner befehdeten sich aufs grimmigste. Aber die Gegensätze, welche eigentlich die Welt bewegten, waren nicht rein theo¬ retischer Art, sondern gewaltige Machtfragen. Es trat ein neues Element in die Weltgeschichte, das Germanentum. Mit ihm kämpfte Rom auf Leben und Tod. Der Mittelpunkt des politischen Lebens verschob sich an die Grenzen des Reiches, denn dort entschied sich sein Schicksal: am Rhein. Dort weilt Kaiser Valentinian mit seinem Heere und seiner Familie, da er immer beschäftigt ist, die Alemannen vom Reiche zurückzuhalten. In diese landschaftlich reizende Gegend um Heidelberg, an die Ufer des Neckar, verlegte Taylor den Ort seiner Erzählung. Der Gegensatz von Nömertum und Germanentum ist das Thema derselben. Aber gemäß seiner tief aufs Innerliche gehenden Wissen¬ schaft der Religionsgeschichte unternimmt es Professor Hausrath nicht so sehr die äußern politischen Verwicklungen in kriegerisch bewegten Bildern zu ent¬ werfen. Das kriegerische und politische Element überhaupt spielt die geringste Rolle in der „Jetta." Er geht ganz in die Tiefe. Die bei Römern und Germanen durchaus verschiedene Gemütswelt, die bis in die äußerlichsten Dinge grundverschiedenen Lebensformen der beiden unternimmt Taylor in zwei kontra- stirenden Typen zu veranschaulichen. In der verhängnisvoll sich gestaltenden Ehe des Germanen Rothari mit der heroischen Römerin Jetta spricht der Dichter seinen Gedanken von der absoluten Unverträglichkeit der beiden Volkscharaktere aus, wobei er auch hier eine möglichst historische Unparteilichkeit zu wahren strebt, nur daß man etwa aus der elegischen Gestalt der Heldin den Ausdruck der Trauer über die untergehende Kultur entnehmen könnte. Und auch hier scheint sein Gedanke zu sein, daß in der ungebrochenen Kraft des Naturvolkes, w seiner durch keine Reflexion zerfaserten sittlichen Energie der Grund seines Sieges über die Römer lag. Man wird nicht umhin können, der Geschicklichkeit und Kunst, und der Taylor die ihm durch die Wissenschaft der Germanistik und klassischen Alter¬ tumskunde gebotenen Anschauungen in bewegtes Leben umsetzt, seine Bewunderung M zollen. Man könnte seine Methode als eine Art wissenschaftlichen Realismus bezeichnen, so konstruktiv er im Grunde vorgeht. Und diese Partien seines Buches, die Schilderung des Verhältnisses zwischen Jetta und Rothari, send auch die gelungensten darin. In der Jetta spricht sich ein Wesen aus, welches den ganzen Stolz der Römerin, als Kind eines weltbeherrschenden Volkes, in sich aufgenommen hat. Die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit giebt ihr den höchsten Schwung. Sie hat sich erfüllt mit der ganzen schöngeistigen und philosophischen Bildung ihres Volkes. Sie ist als Geschöpf Taylors na¬ türlich auch religiös gestimmt. Sie hatte die mystische Philosophie des Pytha-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/295>, abgerufen am 21.06.2024.