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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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le deutsche Wissenschaft ist elegant geworden. Wenn man unter
diesem Gesichtspunkte die "Professoren-Romane" betrachtet, wie
einige Spötter die in der letzten Zeit so stark gewordene Literatur
des historischen Romans bezeichnet haben, so hat man den ver¬
söhnlichsten Standpunkt für sie gefunden. Denn diese Pro¬
duktionen für wirkliche Poesie zu erklären, für die Kunst, welche den Idealen
der Zeit ihren eigentümlichen Ausdruck zu geben strebt und sich dabei Stoff
und Form selbst schafft, fällt auch den so hoch gebildeten Autoren jener Bücher
Wohl selbst nicht ein. Ist es doch gerade im Gegenteil ihr höchstes Streben,
Idealen einer Vergangenheit, einer möglichst fernen, abgeschlossenen Epoche, ganz
ohne Rücksicht auf die Strömungen der Gegenwart dichterischen Ausdruck zu
verleihen. Diese Epoche liegt ihnen infolge der außerordentlichen Fortschritte der
historischen Wissenschaften als offenes Buch vor Augen. Sie haben genaue
Einsicht in die Kultur jener Vergangenheit, und sie erkennen den ganzen Bau
und Zusammenhang ihres Geistes so klar, wie der Naturforscher die Nerven-
Verzweigungen eines mikroskopischen Objekts anschaut. Auf dieser wissenschaft¬
lichen Basis beruhen die -- besseren -- historischen Romane der Gegenwart, und
ganz besonders die George Taylors. Findet man sich einmal darein, daß diese
Bücher, ihres ganzen didaktischen Zweckes wegen, keine wirklich schöpferische Poesie
bieten, so kann man sich nicht der Bewunderung enthalten über die Fülle des
Geistes, der tiefen Einsicht ins menschliche Leben, welche hier ausgebreitet liegt.
Der Erfolg seines ersten Romans, welchen der bekannte Heidelberger Professor
Adolf Hausrath unter dem obigen Pseudonym in die Welt schickte, des vor vier
Jahren erschienenen "Antinous," legt Zeugnis für die Anerkennung ab, die ihm
teil geworden. Die lucicmische Feinheit, mit der jenes Gemälde der merk¬
würdigen Epoche Kaiser Hadrians entworfen wurde, hat auch wirklich diese
Anerkennung verdient. Dem Theologen lagen die religiösen Bewegungen am
nächsten. Seine außerordentliche Kunst in der psychologischen Schilderung
religiöser Gefühle, seine Geschicklichkeit, in der Fabel seines Romans die
religiösen Gegensätze selbst zum Ausdruck zu bringen, die Katastrophen aus
diesen erwachsen zu lassen, die gelungene Verkörperung der verschiednen Richtungen
w erdichteten Typen und dabei doch die große Treue gegen die Geschichte, welche
sich in der Gestalt Kaiser Hadrians selbst bekundete: das waren ebenso viele
Vorzüge seines schnell anerkannten Erstlingswerkes. In der Gestalt des
träumerischen, durch die blasirte Ironie seines Herrn aus der Unschuld frommer


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le deutsche Wissenschaft ist elegant geworden. Wenn man unter
diesem Gesichtspunkte die „Professoren-Romane" betrachtet, wie
einige Spötter die in der letzten Zeit so stark gewordene Literatur
des historischen Romans bezeichnet haben, so hat man den ver¬
söhnlichsten Standpunkt für sie gefunden. Denn diese Pro¬
duktionen für wirkliche Poesie zu erklären, für die Kunst, welche den Idealen
der Zeit ihren eigentümlichen Ausdruck zu geben strebt und sich dabei Stoff
und Form selbst schafft, fällt auch den so hoch gebildeten Autoren jener Bücher
Wohl selbst nicht ein. Ist es doch gerade im Gegenteil ihr höchstes Streben,
Idealen einer Vergangenheit, einer möglichst fernen, abgeschlossenen Epoche, ganz
ohne Rücksicht auf die Strömungen der Gegenwart dichterischen Ausdruck zu
verleihen. Diese Epoche liegt ihnen infolge der außerordentlichen Fortschritte der
historischen Wissenschaften als offenes Buch vor Augen. Sie haben genaue
Einsicht in die Kultur jener Vergangenheit, und sie erkennen den ganzen Bau
und Zusammenhang ihres Geistes so klar, wie der Naturforscher die Nerven-
Verzweigungen eines mikroskopischen Objekts anschaut. Auf dieser wissenschaft¬
lichen Basis beruhen die — besseren — historischen Romane der Gegenwart, und
ganz besonders die George Taylors. Findet man sich einmal darein, daß diese
Bücher, ihres ganzen didaktischen Zweckes wegen, keine wirklich schöpferische Poesie
bieten, so kann man sich nicht der Bewunderung enthalten über die Fülle des
Geistes, der tiefen Einsicht ins menschliche Leben, welche hier ausgebreitet liegt.
Der Erfolg seines ersten Romans, welchen der bekannte Heidelberger Professor
Adolf Hausrath unter dem obigen Pseudonym in die Welt schickte, des vor vier
Jahren erschienenen „Antinous," legt Zeugnis für die Anerkennung ab, die ihm
teil geworden. Die lucicmische Feinheit, mit der jenes Gemälde der merk¬
würdigen Epoche Kaiser Hadrians entworfen wurde, hat auch wirklich diese
Anerkennung verdient. Dem Theologen lagen die religiösen Bewegungen am
nächsten. Seine außerordentliche Kunst in der psychologischen Schilderung
religiöser Gefühle, seine Geschicklichkeit, in der Fabel seines Romans die
religiösen Gegensätze selbst zum Ausdruck zu bringen, die Katastrophen aus
diesen erwachsen zu lassen, die gelungene Verkörperung der verschiednen Richtungen
w erdichteten Typen und dabei doch die große Treue gegen die Geschichte, welche
sich in der Gestalt Kaiser Hadrians selbst bekundete: das waren ebenso viele
Vorzüge seines schnell anerkannten Erstlingswerkes. In der Gestalt des
träumerischen, durch die blasirte Ironie seines Herrn aus der Unschuld frommer


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[0293] >tea. le deutsche Wissenschaft ist elegant geworden. Wenn man unter diesem Gesichtspunkte die „Professoren-Romane" betrachtet, wie einige Spötter die in der letzten Zeit so stark gewordene Literatur des historischen Romans bezeichnet haben, so hat man den ver¬ söhnlichsten Standpunkt für sie gefunden. Denn diese Pro¬ duktionen für wirkliche Poesie zu erklären, für die Kunst, welche den Idealen der Zeit ihren eigentümlichen Ausdruck zu geben strebt und sich dabei Stoff und Form selbst schafft, fällt auch den so hoch gebildeten Autoren jener Bücher Wohl selbst nicht ein. Ist es doch gerade im Gegenteil ihr höchstes Streben, Idealen einer Vergangenheit, einer möglichst fernen, abgeschlossenen Epoche, ganz ohne Rücksicht auf die Strömungen der Gegenwart dichterischen Ausdruck zu verleihen. Diese Epoche liegt ihnen infolge der außerordentlichen Fortschritte der historischen Wissenschaften als offenes Buch vor Augen. Sie haben genaue Einsicht in die Kultur jener Vergangenheit, und sie erkennen den ganzen Bau und Zusammenhang ihres Geistes so klar, wie der Naturforscher die Nerven- Verzweigungen eines mikroskopischen Objekts anschaut. Auf dieser wissenschaft¬ lichen Basis beruhen die — besseren — historischen Romane der Gegenwart, und ganz besonders die George Taylors. Findet man sich einmal darein, daß diese Bücher, ihres ganzen didaktischen Zweckes wegen, keine wirklich schöpferische Poesie bieten, so kann man sich nicht der Bewunderung enthalten über die Fülle des Geistes, der tiefen Einsicht ins menschliche Leben, welche hier ausgebreitet liegt. Der Erfolg seines ersten Romans, welchen der bekannte Heidelberger Professor Adolf Hausrath unter dem obigen Pseudonym in die Welt schickte, des vor vier Jahren erschienenen „Antinous," legt Zeugnis für die Anerkennung ab, die ihm teil geworden. Die lucicmische Feinheit, mit der jenes Gemälde der merk¬ würdigen Epoche Kaiser Hadrians entworfen wurde, hat auch wirklich diese Anerkennung verdient. Dem Theologen lagen die religiösen Bewegungen am nächsten. Seine außerordentliche Kunst in der psychologischen Schilderung religiöser Gefühle, seine Geschicklichkeit, in der Fabel seines Romans die religiösen Gegensätze selbst zum Ausdruck zu bringen, die Katastrophen aus diesen erwachsen zu lassen, die gelungene Verkörperung der verschiednen Richtungen w erdichteten Typen und dabei doch die große Treue gegen die Geschichte, welche sich in der Gestalt Kaiser Hadrians selbst bekundete: das waren ebenso viele Vorzüge seines schnell anerkannten Erstlingswerkes. In der Gestalt des träumerischen, durch die blasirte Ironie seines Herrn aus der Unschuld frommer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/293>, abgerufen am 21.06.2024.