Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Johannes Brahms.

haben wir schon früher auseinandergesetzt. Eine andre äußere Erscheinung der
Klavierkonzerte von Brahms ist die, daß das Klavier straffer an das Orchester
herangezogen wird, als dies im allgemeinen der Brauch ist. Man ist sogar
soweit gegangen, dieses Klavierkonzert eine Symphonie mit Klavier zu nennen.
Es kommt wohl auf den Titel nicht soviel an -- genau betrachtet, deutet er be¬
reits auf die neue Phase in der Konzertform, welche die spätere Geschichtschreibung
mit dem Namen Brahms verknüpfen wird. Unter denjenigen Künstlern, welche
zuerst mit dem schwierigen L-aur-Konzert des Komponisten in die Öffentlichkeit
traten, verdient Professor Barth in Berlin, der Joachim des Klaviers, genannt
zu werden.

Den hohen Rang wie die Klavierkonzerte behauptet das Violinkonzert
(ox. 77, v-clur) nicht. Man muß es uuter den großen Werken des Kompo¬
nisten in die zweite Linie stellen. Es ist, als habe die Phantasie sich ihrer
vollen Freiheit nicht bedient, als sei der Musiker dem Geiger zuliebe zuweilen auf
einen Augenblick stillgestanden und überhaupt nicht in der gewohnten Größe
des Schrittes vorwärts gegangen. Trotz dieses kleinen Abzugs muß man dieses
Konzert für eine hochbedeutende Komposition erklären, für dasjenige unter den
neuern Violinkonzerten, welches dem Ideal des Beethovenschen, wenn nicht an
äußerm Effekt, so doch an innerm Gehalte am nächsten steht. Die weniger
vollen Partien sind die Durchführungen; die Themcngruppen sind lauter köst¬
liche Musik. Die ersten beiden Sätze siud vorwiegend lieblicher Natur. Der
Gesang der Bläser im Adagio klingt wie die reinste Unschuld, im ersten Satze
mischen sich in die zarte Melodie heroische Elemente. Der Schlußsatz ist von
einem kräftig heitern Charakter, in seinem letzten Teil ergreift ausgesprochener
Humor die Zügel, die Vorschläge des Fagotts, mit denen diese Partie beginnt,
wirken äußerst drollig. In allen Sätzen des Konzerts, namentlich aber im
ersten, hat die Solovioline sehr schwere Aufgaben, aber auch sehr dankbare:
einer der klanglich schönsten Züge ist der erste Eintritt der Solovivline, die,
Geist und Sinn gleichmäßig fesselnd, sich näher und näher an das Thema heran¬
schmeichelt. Der erste Meister, durch welchen das Violinkonzert in die Öffent¬
lichkeit eingeführt wurde, ist Josef Joachim, dem das Werk gewidmet ist; nach
ihm haben sich der Frankfurter Heermann und der Leipziger Brodsky der hohen
Aufgabe mit schönstem Erfolge bemächtigt.

(Schluß folgt.)




Johannes Brahms.

haben wir schon früher auseinandergesetzt. Eine andre äußere Erscheinung der
Klavierkonzerte von Brahms ist die, daß das Klavier straffer an das Orchester
herangezogen wird, als dies im allgemeinen der Brauch ist. Man ist sogar
soweit gegangen, dieses Klavierkonzert eine Symphonie mit Klavier zu nennen.
Es kommt wohl auf den Titel nicht soviel an — genau betrachtet, deutet er be¬
reits auf die neue Phase in der Konzertform, welche die spätere Geschichtschreibung
mit dem Namen Brahms verknüpfen wird. Unter denjenigen Künstlern, welche
zuerst mit dem schwierigen L-aur-Konzert des Komponisten in die Öffentlichkeit
traten, verdient Professor Barth in Berlin, der Joachim des Klaviers, genannt
zu werden.

Den hohen Rang wie die Klavierkonzerte behauptet das Violinkonzert
(ox. 77, v-clur) nicht. Man muß es uuter den großen Werken des Kompo¬
nisten in die zweite Linie stellen. Es ist, als habe die Phantasie sich ihrer
vollen Freiheit nicht bedient, als sei der Musiker dem Geiger zuliebe zuweilen auf
einen Augenblick stillgestanden und überhaupt nicht in der gewohnten Größe
des Schrittes vorwärts gegangen. Trotz dieses kleinen Abzugs muß man dieses
Konzert für eine hochbedeutende Komposition erklären, für dasjenige unter den
neuern Violinkonzerten, welches dem Ideal des Beethovenschen, wenn nicht an
äußerm Effekt, so doch an innerm Gehalte am nächsten steht. Die weniger
vollen Partien sind die Durchführungen; die Themcngruppen sind lauter köst¬
liche Musik. Die ersten beiden Sätze siud vorwiegend lieblicher Natur. Der
Gesang der Bläser im Adagio klingt wie die reinste Unschuld, im ersten Satze
mischen sich in die zarte Melodie heroische Elemente. Der Schlußsatz ist von
einem kräftig heitern Charakter, in seinem letzten Teil ergreift ausgesprochener
Humor die Zügel, die Vorschläge des Fagotts, mit denen diese Partie beginnt,
wirken äußerst drollig. In allen Sätzen des Konzerts, namentlich aber im
ersten, hat die Solovioline sehr schwere Aufgaben, aber auch sehr dankbare:
einer der klanglich schönsten Züge ist der erste Eintritt der Solovivline, die,
Geist und Sinn gleichmäßig fesselnd, sich näher und näher an das Thema heran¬
schmeichelt. Der erste Meister, durch welchen das Violinkonzert in die Öffent¬
lichkeit eingeführt wurde, ist Josef Joachim, dem das Werk gewidmet ist; nach
ihm haben sich der Frankfurter Heermann und der Leipziger Brodsky der hohen
Aufgabe mit schönstem Erfolge bemächtigt.

(Schluß folgt.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0292" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156563"/>
          <fw type="header" place="top"> Johannes Brahms.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1260" prev="#ID_1259"> haben wir schon früher auseinandergesetzt. Eine andre äußere Erscheinung der<lb/>
Klavierkonzerte von Brahms ist die, daß das Klavier straffer an das Orchester<lb/>
herangezogen wird, als dies im allgemeinen der Brauch ist. Man ist sogar<lb/>
soweit gegangen, dieses Klavierkonzert eine Symphonie mit Klavier zu nennen.<lb/>
Es kommt wohl auf den Titel nicht soviel an &#x2014; genau betrachtet, deutet er be¬<lb/>
reits auf die neue Phase in der Konzertform, welche die spätere Geschichtschreibung<lb/>
mit dem Namen Brahms verknüpfen wird. Unter denjenigen Künstlern, welche<lb/>
zuerst mit dem schwierigen L-aur-Konzert des Komponisten in die Öffentlichkeit<lb/>
traten, verdient Professor Barth in Berlin, der Joachim des Klaviers, genannt<lb/>
zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1261"> Den hohen Rang wie die Klavierkonzerte behauptet das Violinkonzert<lb/>
(ox. 77, v-clur) nicht. Man muß es uuter den großen Werken des Kompo¬<lb/>
nisten in die zweite Linie stellen. Es ist, als habe die Phantasie sich ihrer<lb/>
vollen Freiheit nicht bedient, als sei der Musiker dem Geiger zuliebe zuweilen auf<lb/>
einen Augenblick stillgestanden und überhaupt nicht in der gewohnten Größe<lb/>
des Schrittes vorwärts gegangen. Trotz dieses kleinen Abzugs muß man dieses<lb/>
Konzert für eine hochbedeutende Komposition erklären, für dasjenige unter den<lb/>
neuern Violinkonzerten, welches dem Ideal des Beethovenschen, wenn nicht an<lb/>
äußerm Effekt, so doch an innerm Gehalte am nächsten steht. Die weniger<lb/>
vollen Partien sind die Durchführungen; die Themcngruppen sind lauter köst¬<lb/>
liche Musik. Die ersten beiden Sätze siud vorwiegend lieblicher Natur. Der<lb/>
Gesang der Bläser im Adagio klingt wie die reinste Unschuld, im ersten Satze<lb/>
mischen sich in die zarte Melodie heroische Elemente. Der Schlußsatz ist von<lb/>
einem kräftig heitern Charakter, in seinem letzten Teil ergreift ausgesprochener<lb/>
Humor die Zügel, die Vorschläge des Fagotts, mit denen diese Partie beginnt,<lb/>
wirken äußerst drollig. In allen Sätzen des Konzerts, namentlich aber im<lb/>
ersten, hat die Solovioline sehr schwere Aufgaben, aber auch sehr dankbare:<lb/>
einer der klanglich schönsten Züge ist der erste Eintritt der Solovivline, die,<lb/>
Geist und Sinn gleichmäßig fesselnd, sich näher und näher an das Thema heran¬<lb/>
schmeichelt. Der erste Meister, durch welchen das Violinkonzert in die Öffent¬<lb/>
lichkeit eingeführt wurde, ist Josef Joachim, dem das Werk gewidmet ist; nach<lb/>
ihm haben sich der Frankfurter Heermann und der Leipziger Brodsky der hohen<lb/>
Aufgabe mit schönstem Erfolge bemächtigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1262"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0292] Johannes Brahms. haben wir schon früher auseinandergesetzt. Eine andre äußere Erscheinung der Klavierkonzerte von Brahms ist die, daß das Klavier straffer an das Orchester herangezogen wird, als dies im allgemeinen der Brauch ist. Man ist sogar soweit gegangen, dieses Klavierkonzert eine Symphonie mit Klavier zu nennen. Es kommt wohl auf den Titel nicht soviel an — genau betrachtet, deutet er be¬ reits auf die neue Phase in der Konzertform, welche die spätere Geschichtschreibung mit dem Namen Brahms verknüpfen wird. Unter denjenigen Künstlern, welche zuerst mit dem schwierigen L-aur-Konzert des Komponisten in die Öffentlichkeit traten, verdient Professor Barth in Berlin, der Joachim des Klaviers, genannt zu werden. Den hohen Rang wie die Klavierkonzerte behauptet das Violinkonzert (ox. 77, v-clur) nicht. Man muß es uuter den großen Werken des Kompo¬ nisten in die zweite Linie stellen. Es ist, als habe die Phantasie sich ihrer vollen Freiheit nicht bedient, als sei der Musiker dem Geiger zuliebe zuweilen auf einen Augenblick stillgestanden und überhaupt nicht in der gewohnten Größe des Schrittes vorwärts gegangen. Trotz dieses kleinen Abzugs muß man dieses Konzert für eine hochbedeutende Komposition erklären, für dasjenige unter den neuern Violinkonzerten, welches dem Ideal des Beethovenschen, wenn nicht an äußerm Effekt, so doch an innerm Gehalte am nächsten steht. Die weniger vollen Partien sind die Durchführungen; die Themcngruppen sind lauter köst¬ liche Musik. Die ersten beiden Sätze siud vorwiegend lieblicher Natur. Der Gesang der Bläser im Adagio klingt wie die reinste Unschuld, im ersten Satze mischen sich in die zarte Melodie heroische Elemente. Der Schlußsatz ist von einem kräftig heitern Charakter, in seinem letzten Teil ergreift ausgesprochener Humor die Zügel, die Vorschläge des Fagotts, mit denen diese Partie beginnt, wirken äußerst drollig. In allen Sätzen des Konzerts, namentlich aber im ersten, hat die Solovioline sehr schwere Aufgaben, aber auch sehr dankbare: einer der klanglich schönsten Züge ist der erste Eintritt der Solovivline, die, Geist und Sinn gleichmäßig fesselnd, sich näher und näher an das Thema heran¬ schmeichelt. Der erste Meister, durch welchen das Violinkonzert in die Öffent¬ lichkeit eingeführt wurde, ist Josef Joachim, dem das Werk gewidmet ist; nach ihm haben sich der Frankfurter Heermann und der Leipziger Brodsky der hohen Aufgabe mit schönstem Erfolge bemächtigt. (Schluß folgt.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/292
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/292>, abgerufen am 21.06.2024.