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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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läßt. Diese aufregenden Szenen werden von Momenten seligen Friedens und
freundlichster Schwärmerei abgelöst, wie sie das zweite zuerst vom Klavier in-
tonirte Thema lF-cor) und die originelle Hornmelodie bietet. Wer das Genie
und die Meisterschaft von Brahms mit einem einzigen Blick übersehen will, hat
an diesem ersten Satze des v-me>11-Konzerts deren imposantesten Ausdruck vor
sich. Ein spezieller Zug von musikalisch technischem und von ästhetischem Inter¬
esse ist die Verwandtschaft dieses Satzes mit Beethoven, namentlich mit dem
ersten Satze der neunten Symphonie. Der zweite Satz ist wie ein heiterer
Morgen nach schweren Träumen, er schlägt kirchlich fromme Töne an. Der
dritte Satz ist in der Erfindung weniger reich, aber von dem kräftig entschiedenen
Hauptthema aus charaktervoll durchgeführt. Ein hier beiläufig berührtes Thema
ist im ersten Satze des zweiten Konzerts wieder aufgenommen.

Das zweite Konzert (L-cor, ox. 83) bewegt sich im allgemeinen auf freund¬
licheren Gebiete als das erste; es gehört aber keineswegs zu den einfach leichten
Werken. Der erste Satz empfängt uns mit einem reizenden, wie eine ermun¬
ternde Frage klingenden Gesang des Hornes. Das Klavier spricht zunächst in
demselben Tone, bald aber bricht es in heftigen Unmut aus, und von da ab ist
der ganze Charakter des Satzes erregt, halb dramatisch zwischen leidenschaft¬
lichem Aufwallen, Klagen und Sehnen auf der einen Seite und begütigenden
Zuspruch und Bildern der Hoffnung und des Trostes auf der andern Seite ge¬
teilt: reich, überreich an wunderschönen, großartigen und sinnigen Zügen, und
für den, der zu folgen versteht, ergreifend und eindrucksvoll als Ganzes, un¬
vergleichlich fast durch die nie unterbrochene Fülle echter und aus erster Quelle
geschöpfter origineller Musikgedanken. Im zweiten Satze <Me,Aro AxM88lang.to),
der die Stelle eines Scherzo vertritt -- das Anfangsmotiv beginnt wie das des
gleichen Satzes der v-aur-Serenade --, haben wir eine Art Fortsetzung von
der Handlung des ersten, die guten Humore bekommen sichtlich die Oberhand.
Im Adagio, das mit einer herrlichen Cellomelodie beginnt, wird es entschieden
hell. In die Mitte dieses Satzes hat der Komponist einen seiner idealsten
Liedgedanken (aus: "Ach, wer nimmt von meiner Seele" in c>x>. 86) auf¬
genommen: er schwebt, xx. von der Klarinette gebracht, wie eine zarte
Himmelsgestalt vorüber. Das Finale setzt mit zarter Grazie ein und schließt
kräftig jubelnd. Es bildet ebenfalls wieder ein Ganzes von ungemein reicher
Bewegung, in dem die originellen Gedanken immer frisch zuströmen. Das
ungarische Element ist hier wieder wunderschön hereingezogen. Wir haben
irgendwo gelesen, daß seit dem Ds-clur-Konzert von Beethoven kein Klavierkonzert
von der Bedeutung dieses zweiten von Brahms geschrieben worden sei. und wir
stimmen dieser Ansicht rückhaltlos zu. Konzerte, in denen die musikalische Idee
immer so entschieden im Vordergründe bleibt wie in diesem zweiten von Brahms,
giebt es nicht. Daß dabei die Virtuosität ihre Aufgaben findet und Triumphe
feiern kann, die allerdings meistens mehr sinniger als glänzender Natur sind,


läßt. Diese aufregenden Szenen werden von Momenten seligen Friedens und
freundlichster Schwärmerei abgelöst, wie sie das zweite zuerst vom Klavier in-
tonirte Thema lF-cor) und die originelle Hornmelodie bietet. Wer das Genie
und die Meisterschaft von Brahms mit einem einzigen Blick übersehen will, hat
an diesem ersten Satze des v-me>11-Konzerts deren imposantesten Ausdruck vor
sich. Ein spezieller Zug von musikalisch technischem und von ästhetischem Inter¬
esse ist die Verwandtschaft dieses Satzes mit Beethoven, namentlich mit dem
ersten Satze der neunten Symphonie. Der zweite Satz ist wie ein heiterer
Morgen nach schweren Träumen, er schlägt kirchlich fromme Töne an. Der
dritte Satz ist in der Erfindung weniger reich, aber von dem kräftig entschiedenen
Hauptthema aus charaktervoll durchgeführt. Ein hier beiläufig berührtes Thema
ist im ersten Satze des zweiten Konzerts wieder aufgenommen.

Das zweite Konzert (L-cor, ox. 83) bewegt sich im allgemeinen auf freund¬
licheren Gebiete als das erste; es gehört aber keineswegs zu den einfach leichten
Werken. Der erste Satz empfängt uns mit einem reizenden, wie eine ermun¬
ternde Frage klingenden Gesang des Hornes. Das Klavier spricht zunächst in
demselben Tone, bald aber bricht es in heftigen Unmut aus, und von da ab ist
der ganze Charakter des Satzes erregt, halb dramatisch zwischen leidenschaft¬
lichem Aufwallen, Klagen und Sehnen auf der einen Seite und begütigenden
Zuspruch und Bildern der Hoffnung und des Trostes auf der andern Seite ge¬
teilt: reich, überreich an wunderschönen, großartigen und sinnigen Zügen, und
für den, der zu folgen versteht, ergreifend und eindrucksvoll als Ganzes, un¬
vergleichlich fast durch die nie unterbrochene Fülle echter und aus erster Quelle
geschöpfter origineller Musikgedanken. Im zweiten Satze <Me,Aro AxM88lang.to),
der die Stelle eines Scherzo vertritt — das Anfangsmotiv beginnt wie das des
gleichen Satzes der v-aur-Serenade —, haben wir eine Art Fortsetzung von
der Handlung des ersten, die guten Humore bekommen sichtlich die Oberhand.
Im Adagio, das mit einer herrlichen Cellomelodie beginnt, wird es entschieden
hell. In die Mitte dieses Satzes hat der Komponist einen seiner idealsten
Liedgedanken (aus: „Ach, wer nimmt von meiner Seele" in c>x>. 86) auf¬
genommen: er schwebt, xx. von der Klarinette gebracht, wie eine zarte
Himmelsgestalt vorüber. Das Finale setzt mit zarter Grazie ein und schließt
kräftig jubelnd. Es bildet ebenfalls wieder ein Ganzes von ungemein reicher
Bewegung, in dem die originellen Gedanken immer frisch zuströmen. Das
ungarische Element ist hier wieder wunderschön hereingezogen. Wir haben
irgendwo gelesen, daß seit dem Ds-clur-Konzert von Beethoven kein Klavierkonzert
von der Bedeutung dieses zweiten von Brahms geschrieben worden sei. und wir
stimmen dieser Ansicht rückhaltlos zu. Konzerte, in denen die musikalische Idee
immer so entschieden im Vordergründe bleibt wie in diesem zweiten von Brahms,
giebt es nicht. Daß dabei die Virtuosität ihre Aufgaben findet und Triumphe
feiern kann, die allerdings meistens mehr sinniger als glänzender Natur sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/291>, abgerufen am 21.06.2024.