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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

musik geschrieben hat, nähert sich keine so sichtbar wie dieses L-clur-Quartett
in der Form dem Stile des sogenannten "letzten Beethoven" mit seinem un-
genirter, souveränen Wechsel von Rhythmus und Tempo,

Ein Werk, welches sich sein Terrain Schritt sür Schritt hat erobern
müssen, ist das Klavierquintett (ox. 34, Z?-iuoU). Ich erinnere mich, daß ein
Wiener Kritiker, den man nicht einen schlechten Musiker nennen kann, im Jahre
1870 dieses Werk als ein Beispiel des Ungesunden, Geschraubten und der
grauen Reflexion bezeichnete. Sieben Jahre später war derselbe Kritiker soweit
in der Bekanntschaft mit diesem Werke vorgedrungen, daß er es für die größte
Leistung der Kammerkomposition seit Beethoven erklärte. So geht es sehr oft
mit Brahms, wir werden auf die Gründe später zurückkommen. In der That
gehört das ^-irioU-Quintett nicht zu den am leichtesten verständlichen Schöpfungen
des Meisters, namentlich sind der erste und letzte Satz bei ihrer kühnen Anlage
und reichen Ausstattung schwierig zu übersehen. Aber es ist eines seiner
mächtigsten und gewaltigsten Werke, von einem kühnen Pathos durchdrungen,
kraftvoll und stark, in einzelnen Teilen hart. Die zugänglichsten Sätze sind
die mittleren des Andante mit seiner in stiller Wonne dahinwogenden Melodie
und das Scherzo mit dem triumphirenden Kriegerklang.

In der unmittelbaren Wirkung nach außen ist das Quintett für Streich¬
instrumente (ox. 88) eins der ersten Kammermusikwerke der Neuzeit. Zwei
seiner Hauptthemen sprechen in Beethovens Geist: das des ersten Satzes und
die feierlich ernste Melodie des (^ra,v"z. Sie wird zweimal von freundlichen
Zwischensätzen abgelöst, einem traulich zusprechenden und einem mit entschiedener
Lustigkeit zufahrenden. Ganz unwiderstehlich fortreißend ist das Finale -- im
kräftigen, brausenden Fugensatz einsetzend und im sanften Jubel ausklingcnd wie
ein heiter prächtiger Einzug heimkehrender Krieger, denen alles Volk die
Mützen entgegenschwenkt. Eins der leitenden Themen kommt in Bruchs ZZs-clur-
Symphonie ziemlich ähnlich vor: es wäre möglich, daß der Komponist einen
geistreichen Scherz im Sinne gehabt hätte. Die Einstellung des friedlich und
sinnig singenden zweiten Themas in dieser bacchantischen Szene ist wieder ein
Meisterzug, an dem allein man Brahms erkennen dürfte. Von den zahlreichen
^üizelschöuheiten des Werkes wollen wir nur auf den Ausgang des ersten
Satzes aufmerksam machen. Er stimmt wie schöne Abendzeit und Rückkehr aus
dem Walde.

Die beiden Sextette sind Tongemälde von vorwiegend elegischer Richtung.
Wärme des Ausdrucks und ein schönes Ebenmaß der Empfindung zeichnet sie
"us. Das ältere (L-cor, c>x. 18) hat kräftigere Töne und ist im ganzen das
eindringlichere. Namentlich das Scherzo und das Finale schlagen einen populären
Ton an, wie man ihn seit Haydn so behaglich kaum gehört hat. Der langsame
Satz bringt Variationen über ein harmonisch sehr energisch geführtes Thema,
der erste Satz ist in der Themengruppe sehr breit, in der Durchführung dagegen


Grenzboten III. 1334. 86
Johannes Brahms.

musik geschrieben hat, nähert sich keine so sichtbar wie dieses L-clur-Quartett
in der Form dem Stile des sogenannten „letzten Beethoven" mit seinem un-
genirter, souveränen Wechsel von Rhythmus und Tempo,

Ein Werk, welches sich sein Terrain Schritt sür Schritt hat erobern
müssen, ist das Klavierquintett (ox. 34, Z?-iuoU). Ich erinnere mich, daß ein
Wiener Kritiker, den man nicht einen schlechten Musiker nennen kann, im Jahre
1870 dieses Werk als ein Beispiel des Ungesunden, Geschraubten und der
grauen Reflexion bezeichnete. Sieben Jahre später war derselbe Kritiker soweit
in der Bekanntschaft mit diesem Werke vorgedrungen, daß er es für die größte
Leistung der Kammerkomposition seit Beethoven erklärte. So geht es sehr oft
mit Brahms, wir werden auf die Gründe später zurückkommen. In der That
gehört das ^-irioU-Quintett nicht zu den am leichtesten verständlichen Schöpfungen
des Meisters, namentlich sind der erste und letzte Satz bei ihrer kühnen Anlage
und reichen Ausstattung schwierig zu übersehen. Aber es ist eines seiner
mächtigsten und gewaltigsten Werke, von einem kühnen Pathos durchdrungen,
kraftvoll und stark, in einzelnen Teilen hart. Die zugänglichsten Sätze sind
die mittleren des Andante mit seiner in stiller Wonne dahinwogenden Melodie
und das Scherzo mit dem triumphirenden Kriegerklang.

In der unmittelbaren Wirkung nach außen ist das Quintett für Streich¬
instrumente (ox. 88) eins der ersten Kammermusikwerke der Neuzeit. Zwei
seiner Hauptthemen sprechen in Beethovens Geist: das des ersten Satzes und
die feierlich ernste Melodie des (^ra,v«z. Sie wird zweimal von freundlichen
Zwischensätzen abgelöst, einem traulich zusprechenden und einem mit entschiedener
Lustigkeit zufahrenden. Ganz unwiderstehlich fortreißend ist das Finale — im
kräftigen, brausenden Fugensatz einsetzend und im sanften Jubel ausklingcnd wie
ein heiter prächtiger Einzug heimkehrender Krieger, denen alles Volk die
Mützen entgegenschwenkt. Eins der leitenden Themen kommt in Bruchs ZZs-clur-
Symphonie ziemlich ähnlich vor: es wäre möglich, daß der Komponist einen
geistreichen Scherz im Sinne gehabt hätte. Die Einstellung des friedlich und
sinnig singenden zweiten Themas in dieser bacchantischen Szene ist wieder ein
Meisterzug, an dem allein man Brahms erkennen dürfte. Von den zahlreichen
^üizelschöuheiten des Werkes wollen wir nur auf den Ausgang des ersten
Satzes aufmerksam machen. Er stimmt wie schöne Abendzeit und Rückkehr aus
dem Walde.

Die beiden Sextette sind Tongemälde von vorwiegend elegischer Richtung.
Wärme des Ausdrucks und ein schönes Ebenmaß der Empfindung zeichnet sie
"us. Das ältere (L-cor, c>x. 18) hat kräftigere Töne und ist im ganzen das
eindringlichere. Namentlich das Scherzo und das Finale schlagen einen populären
Ton an, wie man ihn seit Haydn so behaglich kaum gehört hat. Der langsame
Satz bringt Variationen über ein harmonisch sehr energisch geführtes Thema,
der erste Satz ist in der Themengruppe sehr breit, in der Durchführung dagegen


Grenzboten III. 1334. 86
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[0289] Johannes Brahms. musik geschrieben hat, nähert sich keine so sichtbar wie dieses L-clur-Quartett in der Form dem Stile des sogenannten „letzten Beethoven" mit seinem un- genirter, souveränen Wechsel von Rhythmus und Tempo, Ein Werk, welches sich sein Terrain Schritt sür Schritt hat erobern müssen, ist das Klavierquintett (ox. 34, Z?-iuoU). Ich erinnere mich, daß ein Wiener Kritiker, den man nicht einen schlechten Musiker nennen kann, im Jahre 1870 dieses Werk als ein Beispiel des Ungesunden, Geschraubten und der grauen Reflexion bezeichnete. Sieben Jahre später war derselbe Kritiker soweit in der Bekanntschaft mit diesem Werke vorgedrungen, daß er es für die größte Leistung der Kammerkomposition seit Beethoven erklärte. So geht es sehr oft mit Brahms, wir werden auf die Gründe später zurückkommen. In der That gehört das ^-irioU-Quintett nicht zu den am leichtesten verständlichen Schöpfungen des Meisters, namentlich sind der erste und letzte Satz bei ihrer kühnen Anlage und reichen Ausstattung schwierig zu übersehen. Aber es ist eines seiner mächtigsten und gewaltigsten Werke, von einem kühnen Pathos durchdrungen, kraftvoll und stark, in einzelnen Teilen hart. Die zugänglichsten Sätze sind die mittleren des Andante mit seiner in stiller Wonne dahinwogenden Melodie und das Scherzo mit dem triumphirenden Kriegerklang. In der unmittelbaren Wirkung nach außen ist das Quintett für Streich¬ instrumente (ox. 88) eins der ersten Kammermusikwerke der Neuzeit. Zwei seiner Hauptthemen sprechen in Beethovens Geist: das des ersten Satzes und die feierlich ernste Melodie des (^ra,v«z. Sie wird zweimal von freundlichen Zwischensätzen abgelöst, einem traulich zusprechenden und einem mit entschiedener Lustigkeit zufahrenden. Ganz unwiderstehlich fortreißend ist das Finale — im kräftigen, brausenden Fugensatz einsetzend und im sanften Jubel ausklingcnd wie ein heiter prächtiger Einzug heimkehrender Krieger, denen alles Volk die Mützen entgegenschwenkt. Eins der leitenden Themen kommt in Bruchs ZZs-clur- Symphonie ziemlich ähnlich vor: es wäre möglich, daß der Komponist einen geistreichen Scherz im Sinne gehabt hätte. Die Einstellung des friedlich und sinnig singenden zweiten Themas in dieser bacchantischen Szene ist wieder ein Meisterzug, an dem allein man Brahms erkennen dürfte. Von den zahlreichen ^üizelschöuheiten des Werkes wollen wir nur auf den Ausgang des ersten Satzes aufmerksam machen. Er stimmt wie schöne Abendzeit und Rückkehr aus dem Walde. Die beiden Sextette sind Tongemälde von vorwiegend elegischer Richtung. Wärme des Ausdrucks und ein schönes Ebenmaß der Empfindung zeichnet sie "us. Das ältere (L-cor, c>x. 18) hat kräftigere Töne und ist im ganzen das eindringlichere. Namentlich das Scherzo und das Finale schlagen einen populären Ton an, wie man ihn seit Haydn so behaglich kaum gehört hat. Der langsame Satz bringt Variationen über ein harmonisch sehr energisch geführtes Thema, der erste Satz ist in der Themengruppe sehr breit, in der Durchführung dagegen Grenzboten III. 1334. 86

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/289>, abgerufen am 21.06.2024.