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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

spätern Liede wieder benutzt hat. Dieser dritte Sah steht in I<!-cor; nicht ohne
Zusammenhang mit seiner ideellen Bedeutung ist er in ein fernes, ganz ent¬
legnes Tonartsystem gerückt. Das Finale kehrt nach Li-moll zurück. Es bringt
die Spuren harter Zeit nochmals vor die Phantasie, aber in hoffnungsvoller
Wendung. Das zweite Thema in ihm tritt sehr zurück. In? ganzen ist der
Satz mehr beschwichtigend. Bewundernswert ist, wie der Komponist aus zwei
Noten des Hauptthcmas einen langen, phantasievollcn, hell gestimmten Mittelsalz
entwickelt. In bezug auf idealen Zusammenhang der Sätze, auf strengen und
hohen Plan steht dieses O-moll-Quartett unter den ersten Werken des Künstlers.
Den dramatisch leidenschaftlichen Charakter, den uns die erste Jugend des Kom¬
ponisten wieder vor das Gedächtnis ruft, hat es unter den Kompositionen der
dritten Periode namentlich mit der L-moll-Symphonie gemein.

Die Streichquartette gehöre" alle drei der dritte" Periode des Künstlers
an. Die ersten beiden (Oinoll und ^-nioll) erschienen zu gleicher Zeit als
ox. 51. Sie enthalten einen gemeinsamen Hinweis auf Wien in den wunder¬
schön eingewebten Ländlerthemen. Das erste ist von härterer Natur und nament¬
lich in den Ecksätzcn von einer ungewöhnlichen finstern Energie, abwehrend,
kräftig und stolz. Der zweite Satz (?0Lo ^ÄaZio) besteht aus einer Romanze,
deren erstes Thema ruhig unter Beethovens Namen gehen könnte. Die Perle des
Ganzen ist der dritte Satz ein ^lieg^feto molto nroäörÄto, und in ihm wieder
das die Stelle des Trio vertretende I7n xooo xiu imirrmto. Mau muß diese
naiv einfache und originell instrnmentirte Melodie mit dem stürmisch auf¬
drängenden Hauptthema des ersten Satzes vergleichen, um einen Begriff von
der Vielseitigkeit des Künstlers zu bekommen. Das ^-moll-Quartett ist in der
Stimmung mit dem ersten noch verwandt. Es hat seine wehmütigen Klagen,
der Schmerz zuckt oft und bricht auch heftig aus -- trauernde Fragen werden
vernehmbar. Im allgemeinen aber löst sich hier das Gefühl mehr und ist
weichen Regungen zugänglich. Auch in der Form der Sätze zeigt sich eine
freiere Bewegung. Die in dieser Beziehung merkwürdigste und fesselndste Stelle
bringt das Finale in dem Abschluß des zweiten Themas.

Das dritte Streichquartett (L-cor, op. 67) hat einen heitern, lebensfroher
Grundzug. Namentlich in den Ecksätzen tritt er offen zu tage. Der erste Satz
fängt mit ausgesprochener Vergnügtheit an. Aus einzelnen Gruppen schallen
harmlos fröhliche Motive entgegen, die der ganze Chor jauchzend aufnimmt.
Ein heiteres Bild reiht sich an das andre. Der Dichter ist mit auf dem Plane
und äußert in sinnig freundlichen Worten Wohlgefallen und Behagen. Das
Finale enthält Variationen, die auf einem Thema mit einem herzlich drolligen,
tanzartigen Anfang ruhen. Der Neigen lenkt schließlich in die fröhlichen Motive
des ersten Satzes ein, die nochmals von wärmsten Humor Übergossen vorüber¬
ziehen. Dann senkt sich der Abend hernieder, und in der Ferne verklingen die
reizenden heitern Weisen. Unter allen Kompositionen, die Brahms für Kammer-


Johannes Brahms.

spätern Liede wieder benutzt hat. Dieser dritte Sah steht in I<!-cor; nicht ohne
Zusammenhang mit seiner ideellen Bedeutung ist er in ein fernes, ganz ent¬
legnes Tonartsystem gerückt. Das Finale kehrt nach Li-moll zurück. Es bringt
die Spuren harter Zeit nochmals vor die Phantasie, aber in hoffnungsvoller
Wendung. Das zweite Thema in ihm tritt sehr zurück. In? ganzen ist der
Satz mehr beschwichtigend. Bewundernswert ist, wie der Komponist aus zwei
Noten des Hauptthcmas einen langen, phantasievollcn, hell gestimmten Mittelsalz
entwickelt. In bezug auf idealen Zusammenhang der Sätze, auf strengen und
hohen Plan steht dieses O-moll-Quartett unter den ersten Werken des Künstlers.
Den dramatisch leidenschaftlichen Charakter, den uns die erste Jugend des Kom¬
ponisten wieder vor das Gedächtnis ruft, hat es unter den Kompositionen der
dritten Periode namentlich mit der L-moll-Symphonie gemein.

Die Streichquartette gehöre» alle drei der dritte» Periode des Künstlers
an. Die ersten beiden (Oinoll und ^-nioll) erschienen zu gleicher Zeit als
ox. 51. Sie enthalten einen gemeinsamen Hinweis auf Wien in den wunder¬
schön eingewebten Ländlerthemen. Das erste ist von härterer Natur und nament¬
lich in den Ecksätzcn von einer ungewöhnlichen finstern Energie, abwehrend,
kräftig und stolz. Der zweite Satz (?0Lo ^ÄaZio) besteht aus einer Romanze,
deren erstes Thema ruhig unter Beethovens Namen gehen könnte. Die Perle des
Ganzen ist der dritte Satz ein ^lieg^feto molto nroäörÄto, und in ihm wieder
das die Stelle des Trio vertretende I7n xooo xiu imirrmto. Mau muß diese
naiv einfache und originell instrnmentirte Melodie mit dem stürmisch auf¬
drängenden Hauptthema des ersten Satzes vergleichen, um einen Begriff von
der Vielseitigkeit des Künstlers zu bekommen. Das ^-moll-Quartett ist in der
Stimmung mit dem ersten noch verwandt. Es hat seine wehmütigen Klagen,
der Schmerz zuckt oft und bricht auch heftig aus — trauernde Fragen werden
vernehmbar. Im allgemeinen aber löst sich hier das Gefühl mehr und ist
weichen Regungen zugänglich. Auch in der Form der Sätze zeigt sich eine
freiere Bewegung. Die in dieser Beziehung merkwürdigste und fesselndste Stelle
bringt das Finale in dem Abschluß des zweiten Themas.

Das dritte Streichquartett (L-cor, op. 67) hat einen heitern, lebensfroher
Grundzug. Namentlich in den Ecksätzen tritt er offen zu tage. Der erste Satz
fängt mit ausgesprochener Vergnügtheit an. Aus einzelnen Gruppen schallen
harmlos fröhliche Motive entgegen, die der ganze Chor jauchzend aufnimmt.
Ein heiteres Bild reiht sich an das andre. Der Dichter ist mit auf dem Plane
und äußert in sinnig freundlichen Worten Wohlgefallen und Behagen. Das
Finale enthält Variationen, die auf einem Thema mit einem herzlich drolligen,
tanzartigen Anfang ruhen. Der Neigen lenkt schließlich in die fröhlichen Motive
des ersten Satzes ein, die nochmals von wärmsten Humor Übergossen vorüber¬
ziehen. Dann senkt sich der Abend hernieder, und in der Ferne verklingen die
reizenden heitern Weisen. Unter allen Kompositionen, die Brahms für Kammer-


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[0288] Johannes Brahms. spätern Liede wieder benutzt hat. Dieser dritte Sah steht in I<!-cor; nicht ohne Zusammenhang mit seiner ideellen Bedeutung ist er in ein fernes, ganz ent¬ legnes Tonartsystem gerückt. Das Finale kehrt nach Li-moll zurück. Es bringt die Spuren harter Zeit nochmals vor die Phantasie, aber in hoffnungsvoller Wendung. Das zweite Thema in ihm tritt sehr zurück. In? ganzen ist der Satz mehr beschwichtigend. Bewundernswert ist, wie der Komponist aus zwei Noten des Hauptthcmas einen langen, phantasievollcn, hell gestimmten Mittelsalz entwickelt. In bezug auf idealen Zusammenhang der Sätze, auf strengen und hohen Plan steht dieses O-moll-Quartett unter den ersten Werken des Künstlers. Den dramatisch leidenschaftlichen Charakter, den uns die erste Jugend des Kom¬ ponisten wieder vor das Gedächtnis ruft, hat es unter den Kompositionen der dritten Periode namentlich mit der L-moll-Symphonie gemein. Die Streichquartette gehöre» alle drei der dritte» Periode des Künstlers an. Die ersten beiden (Oinoll und ^-nioll) erschienen zu gleicher Zeit als ox. 51. Sie enthalten einen gemeinsamen Hinweis auf Wien in den wunder¬ schön eingewebten Ländlerthemen. Das erste ist von härterer Natur und nament¬ lich in den Ecksätzcn von einer ungewöhnlichen finstern Energie, abwehrend, kräftig und stolz. Der zweite Satz (?0Lo ^ÄaZio) besteht aus einer Romanze, deren erstes Thema ruhig unter Beethovens Namen gehen könnte. Die Perle des Ganzen ist der dritte Satz ein ^lieg^feto molto nroäörÄto, und in ihm wieder das die Stelle des Trio vertretende I7n xooo xiu imirrmto. Mau muß diese naiv einfache und originell instrnmentirte Melodie mit dem stürmisch auf¬ drängenden Hauptthema des ersten Satzes vergleichen, um einen Begriff von der Vielseitigkeit des Künstlers zu bekommen. Das ^-moll-Quartett ist in der Stimmung mit dem ersten noch verwandt. Es hat seine wehmütigen Klagen, der Schmerz zuckt oft und bricht auch heftig aus — trauernde Fragen werden vernehmbar. Im allgemeinen aber löst sich hier das Gefühl mehr und ist weichen Regungen zugänglich. Auch in der Form der Sätze zeigt sich eine freiere Bewegung. Die in dieser Beziehung merkwürdigste und fesselndste Stelle bringt das Finale in dem Abschluß des zweiten Themas. Das dritte Streichquartett (L-cor, op. 67) hat einen heitern, lebensfroher Grundzug. Namentlich in den Ecksätzen tritt er offen zu tage. Der erste Satz fängt mit ausgesprochener Vergnügtheit an. Aus einzelnen Gruppen schallen harmlos fröhliche Motive entgegen, die der ganze Chor jauchzend aufnimmt. Ein heiteres Bild reiht sich an das andre. Der Dichter ist mit auf dem Plane und äußert in sinnig freundlichen Worten Wohlgefallen und Behagen. Das Finale enthält Variationen, die auf einem Thema mit einem herzlich drolligen, tanzartigen Anfang ruhen. Der Neigen lenkt schließlich in die fröhlichen Motive des ersten Satzes ein, die nochmals von wärmsten Humor Übergossen vorüber¬ ziehen. Dann senkt sich der Abend hernieder, und in der Ferne verklingen die reizenden heitern Weisen. Unter allen Kompositionen, die Brahms für Kammer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/288>, abgerufen am 21.06.2024.