Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Johannes Brcrhms.

gründlich, aber immer in dem Niveau allgcnieiner Verständlichkeit; die sinnigste
Anmut beherrscht das Ganze und sprüht sich in zauberischem Klang und in
einer Fülle eigenartigster Gedankenwendungen aus. Wie reizend ist gleich der
Schluß des ersten kurzen Hauptthemas, so ungesucht originell und freundlich
tief! Auf den ersten Seiten quellen wie aus einer Wunderflasche immer neue
Gebilde aus den wenigen Grundnoten, bald schmeichelnd sanfte, bald riesig kraft¬
volle Tongestalten. Dieses stürmisch liebliche Sehnen in dem chromatischen
Gesicht des zweiten Themas! Wer eine Analyse dieses Werkes schreiben will,
wird zu Verse" gedrängt. Der letzte Satz im Ronäo g, 1a /.ingarsss ist das
feurigste Stück ungarischer Musik, das wir in der eigentlichen Kunstliteratur
besitzen, es entfesselt alle Zauber dieses fremdartigen Genius, auch die rein
klanglichen. Höchst merkwürdig ist mir immer im Schlußteil dieses Satzes die
kleine Kadenz vorgekommen. In ihrem plötzlichen Auftreten und ihrem deutschen
imitativen Charakter erscheint sie wie ein Menetekel, wie der Mahnruf des
Patriotischen Gewissens.

Über das zweite der Klavierquartette (ox. 26, ^-aur) begegnet man einer
auffälligen Meinungsverschiedenheit unter den Freunden des Komponisten.
Hanslick lehnt es ab, Deiters stellt es besonders hoch, die einen nennen es hell,
die andern düster. Wir sind der Ansicht, daß dieses zweite Quartett sich in
der unmittelbaren Frische der Ausführung mit dem in 6-moll nicht messen kann.
Dennoch hat es köstliche Grundmotive und geniale Punkte in der Entwicklung,
z- V. die ersten vier Takte des C-nulli-Abschnittes in der Durchführung des
ersten Satzes. Am höchsten stellen wir das zweite Stück (?vo<) ^ä^lo). Sein
eminent friedlicher Hauptsatz ist mit dem langsamen Satz des D-inoU-Konzerts
ziemlich verwandt. Er wird durch eine großartig pathetische Seitenpartie
flankirt. Eine besonders große Wirkung erreicht hier der Komponist durch den
einfachen Wechsel von Klavier und Streichinstrumenten, ein Jnstrumentations-
mittel, dessen sich Brechens in allen seinen Klavierensemblcs gern und immer
fesselnd bedient.

Das dritte der Klavierqnartctte (ox. 60, 0-moU), eins der bedeutendsten
Werte des Komponisten, steht dem Geist nach der ersten Periode nahe. Der
erste Satz ist voll dämonischer Elemente: dem schwülen Anfang folgen heftige
Gewitterschlüge, fanatische Triller heulen dazwischen -- freundliche Strahlen
kämpfen dagegen; das Düstere bleibt vorwiegend. Auch das Scherzo ist finstrer
Natur. Die Scherze sind grausig und äußern sich in heftigen Rhythmen,
schroffen Modulationen und wilden Klängen. Wunderbar schön wird dies un¬
heimliche Treiben dnrch einen kleinen Dialog zwischen Streichern und Klavier
unterbrochen, der an Beethovens In <zMLta domo osoura anklingt und hier
die Wirkung einer frommen Vision hat. Der dritte Satz ist freundlich breit¬
gesponnen, die Stimmen spielen mit einander um anmutige Motive, im Vorder¬
gründe steht ein inniges Gebetsthema, welches der Komponist auch in einem


Johannes Brcrhms.

gründlich, aber immer in dem Niveau allgcnieiner Verständlichkeit; die sinnigste
Anmut beherrscht das Ganze und sprüht sich in zauberischem Klang und in
einer Fülle eigenartigster Gedankenwendungen aus. Wie reizend ist gleich der
Schluß des ersten kurzen Hauptthemas, so ungesucht originell und freundlich
tief! Auf den ersten Seiten quellen wie aus einer Wunderflasche immer neue
Gebilde aus den wenigen Grundnoten, bald schmeichelnd sanfte, bald riesig kraft¬
volle Tongestalten. Dieses stürmisch liebliche Sehnen in dem chromatischen
Gesicht des zweiten Themas! Wer eine Analyse dieses Werkes schreiben will,
wird zu Verse» gedrängt. Der letzte Satz im Ronäo g, 1a /.ingarsss ist das
feurigste Stück ungarischer Musik, das wir in der eigentlichen Kunstliteratur
besitzen, es entfesselt alle Zauber dieses fremdartigen Genius, auch die rein
klanglichen. Höchst merkwürdig ist mir immer im Schlußteil dieses Satzes die
kleine Kadenz vorgekommen. In ihrem plötzlichen Auftreten und ihrem deutschen
imitativen Charakter erscheint sie wie ein Menetekel, wie der Mahnruf des
Patriotischen Gewissens.

Über das zweite der Klavierquartette (ox. 26, ^-aur) begegnet man einer
auffälligen Meinungsverschiedenheit unter den Freunden des Komponisten.
Hanslick lehnt es ab, Deiters stellt es besonders hoch, die einen nennen es hell,
die andern düster. Wir sind der Ansicht, daß dieses zweite Quartett sich in
der unmittelbaren Frische der Ausführung mit dem in 6-moll nicht messen kann.
Dennoch hat es köstliche Grundmotive und geniale Punkte in der Entwicklung,
z- V. die ersten vier Takte des C-nulli-Abschnittes in der Durchführung des
ersten Satzes. Am höchsten stellen wir das zweite Stück (?vo<) ^ä^lo). Sein
eminent friedlicher Hauptsatz ist mit dem langsamen Satz des D-inoU-Konzerts
ziemlich verwandt. Er wird durch eine großartig pathetische Seitenpartie
flankirt. Eine besonders große Wirkung erreicht hier der Komponist durch den
einfachen Wechsel von Klavier und Streichinstrumenten, ein Jnstrumentations-
mittel, dessen sich Brechens in allen seinen Klavierensemblcs gern und immer
fesselnd bedient.

Das dritte der Klavierqnartctte (ox. 60, 0-moU), eins der bedeutendsten
Werte des Komponisten, steht dem Geist nach der ersten Periode nahe. Der
erste Satz ist voll dämonischer Elemente: dem schwülen Anfang folgen heftige
Gewitterschlüge, fanatische Triller heulen dazwischen — freundliche Strahlen
kämpfen dagegen; das Düstere bleibt vorwiegend. Auch das Scherzo ist finstrer
Natur. Die Scherze sind grausig und äußern sich in heftigen Rhythmen,
schroffen Modulationen und wilden Klängen. Wunderbar schön wird dies un¬
heimliche Treiben dnrch einen kleinen Dialog zwischen Streichern und Klavier
unterbrochen, der an Beethovens In <zMLta domo osoura anklingt und hier
die Wirkung einer frommen Vision hat. Der dritte Satz ist freundlich breit¬
gesponnen, die Stimmen spielen mit einander um anmutige Motive, im Vorder¬
gründe steht ein inniges Gebetsthema, welches der Komponist auch in einem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156558"/>
          <fw type="header" place="top"> Johannes Brcrhms.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1246" prev="#ID_1245"> gründlich, aber immer in dem Niveau allgcnieiner Verständlichkeit; die sinnigste<lb/>
Anmut beherrscht das Ganze und sprüht sich in zauberischem Klang und in<lb/>
einer Fülle eigenartigster Gedankenwendungen aus. Wie reizend ist gleich der<lb/>
Schluß des ersten kurzen Hauptthemas, so ungesucht originell und freundlich<lb/>
tief! Auf den ersten Seiten quellen wie aus einer Wunderflasche immer neue<lb/>
Gebilde aus den wenigen Grundnoten, bald schmeichelnd sanfte, bald riesig kraft¬<lb/>
volle Tongestalten. Dieses stürmisch liebliche Sehnen in dem chromatischen<lb/>
Gesicht des zweiten Themas! Wer eine Analyse dieses Werkes schreiben will,<lb/>
wird zu Verse» gedrängt. Der letzte Satz im Ronäo g, 1a /.ingarsss ist das<lb/>
feurigste Stück ungarischer Musik, das wir in der eigentlichen Kunstliteratur<lb/>
besitzen, es entfesselt alle Zauber dieses fremdartigen Genius, auch die rein<lb/>
klanglichen. Höchst merkwürdig ist mir immer im Schlußteil dieses Satzes die<lb/>
kleine Kadenz vorgekommen. In ihrem plötzlichen Auftreten und ihrem deutschen<lb/>
imitativen Charakter erscheint sie wie ein Menetekel, wie der Mahnruf des<lb/>
Patriotischen Gewissens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1247"> Über das zweite der Klavierquartette (ox. 26, ^-aur) begegnet man einer<lb/>
auffälligen Meinungsverschiedenheit unter den Freunden des Komponisten.<lb/>
Hanslick lehnt es ab, Deiters stellt es besonders hoch, die einen nennen es hell,<lb/>
die andern düster. Wir sind der Ansicht, daß dieses zweite Quartett sich in<lb/>
der unmittelbaren Frische der Ausführung mit dem in 6-moll nicht messen kann.<lb/>
Dennoch hat es köstliche Grundmotive und geniale Punkte in der Entwicklung,<lb/>
z- V. die ersten vier Takte des C-nulli-Abschnittes in der Durchführung des<lb/>
ersten Satzes. Am höchsten stellen wir das zweite Stück (?vo&lt;) ^ä^lo). Sein<lb/>
eminent friedlicher Hauptsatz ist mit dem langsamen Satz des D-inoU-Konzerts<lb/>
ziemlich verwandt. Er wird durch eine großartig pathetische Seitenpartie<lb/>
flankirt. Eine besonders große Wirkung erreicht hier der Komponist durch den<lb/>
einfachen Wechsel von Klavier und Streichinstrumenten, ein Jnstrumentations-<lb/>
mittel, dessen sich Brechens in allen seinen Klavierensemblcs gern und immer<lb/>
fesselnd bedient.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1248" next="#ID_1249"> Das dritte der Klavierqnartctte (ox. 60, 0-moU), eins der bedeutendsten<lb/>
Werte des Komponisten, steht dem Geist nach der ersten Periode nahe. Der<lb/>
erste Satz ist voll dämonischer Elemente: dem schwülen Anfang folgen heftige<lb/>
Gewitterschlüge, fanatische Triller heulen dazwischen &#x2014; freundliche Strahlen<lb/>
kämpfen dagegen; das Düstere bleibt vorwiegend. Auch das Scherzo ist finstrer<lb/>
Natur. Die Scherze sind grausig und äußern sich in heftigen Rhythmen,<lb/>
schroffen Modulationen und wilden Klängen. Wunderbar schön wird dies un¬<lb/>
heimliche Treiben dnrch einen kleinen Dialog zwischen Streichern und Klavier<lb/>
unterbrochen, der an Beethovens In &lt;zMLta domo osoura anklingt und hier<lb/>
die Wirkung einer frommen Vision hat. Der dritte Satz ist freundlich breit¬<lb/>
gesponnen, die Stimmen spielen mit einander um anmutige Motive, im Vorder¬<lb/>
gründe steht ein inniges Gebetsthema, welches der Komponist auch in einem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Johannes Brcrhms. gründlich, aber immer in dem Niveau allgcnieiner Verständlichkeit; die sinnigste Anmut beherrscht das Ganze und sprüht sich in zauberischem Klang und in einer Fülle eigenartigster Gedankenwendungen aus. Wie reizend ist gleich der Schluß des ersten kurzen Hauptthemas, so ungesucht originell und freundlich tief! Auf den ersten Seiten quellen wie aus einer Wunderflasche immer neue Gebilde aus den wenigen Grundnoten, bald schmeichelnd sanfte, bald riesig kraft¬ volle Tongestalten. Dieses stürmisch liebliche Sehnen in dem chromatischen Gesicht des zweiten Themas! Wer eine Analyse dieses Werkes schreiben will, wird zu Verse» gedrängt. Der letzte Satz im Ronäo g, 1a /.ingarsss ist das feurigste Stück ungarischer Musik, das wir in der eigentlichen Kunstliteratur besitzen, es entfesselt alle Zauber dieses fremdartigen Genius, auch die rein klanglichen. Höchst merkwürdig ist mir immer im Schlußteil dieses Satzes die kleine Kadenz vorgekommen. In ihrem plötzlichen Auftreten und ihrem deutschen imitativen Charakter erscheint sie wie ein Menetekel, wie der Mahnruf des Patriotischen Gewissens. Über das zweite der Klavierquartette (ox. 26, ^-aur) begegnet man einer auffälligen Meinungsverschiedenheit unter den Freunden des Komponisten. Hanslick lehnt es ab, Deiters stellt es besonders hoch, die einen nennen es hell, die andern düster. Wir sind der Ansicht, daß dieses zweite Quartett sich in der unmittelbaren Frische der Ausführung mit dem in 6-moll nicht messen kann. Dennoch hat es köstliche Grundmotive und geniale Punkte in der Entwicklung, z- V. die ersten vier Takte des C-nulli-Abschnittes in der Durchführung des ersten Satzes. Am höchsten stellen wir das zweite Stück (?vo<) ^ä^lo). Sein eminent friedlicher Hauptsatz ist mit dem langsamen Satz des D-inoU-Konzerts ziemlich verwandt. Er wird durch eine großartig pathetische Seitenpartie flankirt. Eine besonders große Wirkung erreicht hier der Komponist durch den einfachen Wechsel von Klavier und Streichinstrumenten, ein Jnstrumentations- mittel, dessen sich Brechens in allen seinen Klavierensemblcs gern und immer fesselnd bedient. Das dritte der Klavierqnartctte (ox. 60, 0-moU), eins der bedeutendsten Werte des Komponisten, steht dem Geist nach der ersten Periode nahe. Der erste Satz ist voll dämonischer Elemente: dem schwülen Anfang folgen heftige Gewitterschlüge, fanatische Triller heulen dazwischen — freundliche Strahlen kämpfen dagegen; das Düstere bleibt vorwiegend. Auch das Scherzo ist finstrer Natur. Die Scherze sind grausig und äußern sich in heftigen Rhythmen, schroffen Modulationen und wilden Klängen. Wunderbar schön wird dies un¬ heimliche Treiben dnrch einen kleinen Dialog zwischen Streichern und Klavier unterbrochen, der an Beethovens In <zMLta domo osoura anklingt und hier die Wirkung einer frommen Vision hat. Der dritte Satz ist freundlich breit¬ gesponnen, die Stimmen spielen mit einander um anmutige Motive, im Vorder¬ gründe steht ein inniges Gebetsthema, welches der Komponist auch in einem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/287>, abgerufen am 21.06.2024.