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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

den eigentümlich poetischen Feinheiten, die niemand außer ihm in dieser Weise
hat. Das Adagio fängt in Anlage und Charakter ganz so an, wie der ent¬
sprechende Satz in Beethovens <A-Äur-Konzert, seinen zweiten Teil füllt wilde
Aufregung, und ganz am Schluß erst zieht der Friede noch einmal ein. Auch
das Finale hat einen stark dramatischen Charakter, Partien plötzlicher Auf¬
wallung, deren Kommentar nicht ganz in der Musik gegeben ist. Von der
schönen Stelle, wo in diesen Satz Beethovens Liederkreis hineinklingt, haben
wir schon gesprochen. Wenn man will, kann man auch in dem Oclur-Trio
eins der dem Komponisten eignen Zitate finden. Es ist im ersten Satz ein
Motiv, das mit dem Liede von Brahms "Birg v Veilchen" sehr viel ähnliches hat.

Das dritte der Trios (op. 40 Ds-cor) hat eine ungewöhnliche Besetzung:
Klavier, Violine und Waldhorn. Brahms liebt das romantische Instrument;
er giebt ihm im deutschen Requiem wichtige Stellen, die v-cor-Serenade wie
die v-aur-Symphonie fangen beide mit einer Hornmelodie an. In der eigent¬
lichen Kammermusik ist das Horn auch in der Zeit, wo die Blasinstrumente
viel mehr gepflegt wurden als heute, nur selten benutzt worden, in der Ver¬
bindung mit Pianoforte wohl nur ausnahmsweise. Der bekannten Hornsonate
Beethovens können wir nur ein einziges gleichzeitiges Seitenstück hinzufügen: ein
Pianofortequartett mit Horn aus dem Jahre 1805, geschrieben von einem ganz
unbekannten Komponisten, namens Tcissel. Ein Vorgänger des Brahmsschcn
Klaviertrio mit Horn ist uns überhaupt nicht bekannt geworden. Die Komposition
ist eine der schönsten aus der mittlern Periode des Künstlers, eine der innerlich
bewegtesten, vielleicht aber um deswillen und wegen ihrer kunstvollen knappen
Ausführung nicht zugänglich. Der erste Satz wiegt in weicher Hingebung,
fast Schwärmerei dahin, zur Seite ziehen dunkle Wölkchen mit. Das
Scherzo hat einen schweren Humor: es strebt gleich von Beginn aus der an¬
mutigen Tändelei hinaus und greift fortwährend in unvermutete Sphären von
Kraft und Innigkeit hinüber. Sein Trio klingt wie ein von leiser Melancholie
getragenes Volkslied. Das Adagio stellt beklommene Fragen, eine trauernde
Resignation beherrscht den Satz. Das Finale zeigt den idealen Zusammenhang
mit dem Scherzo auch motivisch. Die Hoffnung rafft sich hier kräftig wieder
auf und behält das Schlußwort. Dieser Satz ist der nach außen hin wirksamste.
Die frischen Naturtöne des Horns fesseln auch solche immer wieder, welche im
übrigen nicht zu folgen verstehen. Wer das Werk näher kennt, wird es unter
diejenigen Arbeiten des Komponisten rechnen, welche den Charakter einer Ge-
legcnheitskomposition in Goethes höchstem Sinne besonders ersichtlich äußern.

Unter den drei Klavierquartetten ist das erste ((l-moll, op. 25) das be¬
kannteste. Es ist vielleicht eines der verbreitetsten Werke der Kammermusik
und verdankt diese Stellung ebensowohl der Einfachheit seiner geistigen Natur
als dem Reichtum an herrlichen und hinreißenden Ideen. Es beginnt nach¬
denklich und schließt in kräftiger Fröhlichkeit, seine Entwicklungen find lang und


Johannes Brahms.

den eigentümlich poetischen Feinheiten, die niemand außer ihm in dieser Weise
hat. Das Adagio fängt in Anlage und Charakter ganz so an, wie der ent¬
sprechende Satz in Beethovens <A-Äur-Konzert, seinen zweiten Teil füllt wilde
Aufregung, und ganz am Schluß erst zieht der Friede noch einmal ein. Auch
das Finale hat einen stark dramatischen Charakter, Partien plötzlicher Auf¬
wallung, deren Kommentar nicht ganz in der Musik gegeben ist. Von der
schönen Stelle, wo in diesen Satz Beethovens Liederkreis hineinklingt, haben
wir schon gesprochen. Wenn man will, kann man auch in dem Oclur-Trio
eins der dem Komponisten eignen Zitate finden. Es ist im ersten Satz ein
Motiv, das mit dem Liede von Brahms „Birg v Veilchen" sehr viel ähnliches hat.

Das dritte der Trios (op. 40 Ds-cor) hat eine ungewöhnliche Besetzung:
Klavier, Violine und Waldhorn. Brahms liebt das romantische Instrument;
er giebt ihm im deutschen Requiem wichtige Stellen, die v-cor-Serenade wie
die v-aur-Symphonie fangen beide mit einer Hornmelodie an. In der eigent¬
lichen Kammermusik ist das Horn auch in der Zeit, wo die Blasinstrumente
viel mehr gepflegt wurden als heute, nur selten benutzt worden, in der Ver¬
bindung mit Pianoforte wohl nur ausnahmsweise. Der bekannten Hornsonate
Beethovens können wir nur ein einziges gleichzeitiges Seitenstück hinzufügen: ein
Pianofortequartett mit Horn aus dem Jahre 1805, geschrieben von einem ganz
unbekannten Komponisten, namens Tcissel. Ein Vorgänger des Brahmsschcn
Klaviertrio mit Horn ist uns überhaupt nicht bekannt geworden. Die Komposition
ist eine der schönsten aus der mittlern Periode des Künstlers, eine der innerlich
bewegtesten, vielleicht aber um deswillen und wegen ihrer kunstvollen knappen
Ausführung nicht zugänglich. Der erste Satz wiegt in weicher Hingebung,
fast Schwärmerei dahin, zur Seite ziehen dunkle Wölkchen mit. Das
Scherzo hat einen schweren Humor: es strebt gleich von Beginn aus der an¬
mutigen Tändelei hinaus und greift fortwährend in unvermutete Sphären von
Kraft und Innigkeit hinüber. Sein Trio klingt wie ein von leiser Melancholie
getragenes Volkslied. Das Adagio stellt beklommene Fragen, eine trauernde
Resignation beherrscht den Satz. Das Finale zeigt den idealen Zusammenhang
mit dem Scherzo auch motivisch. Die Hoffnung rafft sich hier kräftig wieder
auf und behält das Schlußwort. Dieser Satz ist der nach außen hin wirksamste.
Die frischen Naturtöne des Horns fesseln auch solche immer wieder, welche im
übrigen nicht zu folgen verstehen. Wer das Werk näher kennt, wird es unter
diejenigen Arbeiten des Komponisten rechnen, welche den Charakter einer Ge-
legcnheitskomposition in Goethes höchstem Sinne besonders ersichtlich äußern.

Unter den drei Klavierquartetten ist das erste ((l-moll, op. 25) das be¬
kannteste. Es ist vielleicht eines der verbreitetsten Werke der Kammermusik
und verdankt diese Stellung ebensowohl der Einfachheit seiner geistigen Natur
als dem Reichtum an herrlichen und hinreißenden Ideen. Es beginnt nach¬
denklich und schließt in kräftiger Fröhlichkeit, seine Entwicklungen find lang und


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[0286] Johannes Brahms. den eigentümlich poetischen Feinheiten, die niemand außer ihm in dieser Weise hat. Das Adagio fängt in Anlage und Charakter ganz so an, wie der ent¬ sprechende Satz in Beethovens <A-Äur-Konzert, seinen zweiten Teil füllt wilde Aufregung, und ganz am Schluß erst zieht der Friede noch einmal ein. Auch das Finale hat einen stark dramatischen Charakter, Partien plötzlicher Auf¬ wallung, deren Kommentar nicht ganz in der Musik gegeben ist. Von der schönen Stelle, wo in diesen Satz Beethovens Liederkreis hineinklingt, haben wir schon gesprochen. Wenn man will, kann man auch in dem Oclur-Trio eins der dem Komponisten eignen Zitate finden. Es ist im ersten Satz ein Motiv, das mit dem Liede von Brahms „Birg v Veilchen" sehr viel ähnliches hat. Das dritte der Trios (op. 40 Ds-cor) hat eine ungewöhnliche Besetzung: Klavier, Violine und Waldhorn. Brahms liebt das romantische Instrument; er giebt ihm im deutschen Requiem wichtige Stellen, die v-cor-Serenade wie die v-aur-Symphonie fangen beide mit einer Hornmelodie an. In der eigent¬ lichen Kammermusik ist das Horn auch in der Zeit, wo die Blasinstrumente viel mehr gepflegt wurden als heute, nur selten benutzt worden, in der Ver¬ bindung mit Pianoforte wohl nur ausnahmsweise. Der bekannten Hornsonate Beethovens können wir nur ein einziges gleichzeitiges Seitenstück hinzufügen: ein Pianofortequartett mit Horn aus dem Jahre 1805, geschrieben von einem ganz unbekannten Komponisten, namens Tcissel. Ein Vorgänger des Brahmsschcn Klaviertrio mit Horn ist uns überhaupt nicht bekannt geworden. Die Komposition ist eine der schönsten aus der mittlern Periode des Künstlers, eine der innerlich bewegtesten, vielleicht aber um deswillen und wegen ihrer kunstvollen knappen Ausführung nicht zugänglich. Der erste Satz wiegt in weicher Hingebung, fast Schwärmerei dahin, zur Seite ziehen dunkle Wölkchen mit. Das Scherzo hat einen schweren Humor: es strebt gleich von Beginn aus der an¬ mutigen Tändelei hinaus und greift fortwährend in unvermutete Sphären von Kraft und Innigkeit hinüber. Sein Trio klingt wie ein von leiser Melancholie getragenes Volkslied. Das Adagio stellt beklommene Fragen, eine trauernde Resignation beherrscht den Satz. Das Finale zeigt den idealen Zusammenhang mit dem Scherzo auch motivisch. Die Hoffnung rafft sich hier kräftig wieder auf und behält das Schlußwort. Dieser Satz ist der nach außen hin wirksamste. Die frischen Naturtöne des Horns fesseln auch solche immer wieder, welche im übrigen nicht zu folgen verstehen. Wer das Werk näher kennt, wird es unter diejenigen Arbeiten des Komponisten rechnen, welche den Charakter einer Ge- legcnheitskomposition in Goethes höchstem Sinne besonders ersichtlich äußern. Unter den drei Klavierquartetten ist das erste ((l-moll, op. 25) das be¬ kannteste. Es ist vielleicht eines der verbreitetsten Werke der Kammermusik und verdankt diese Stellung ebensowohl der Einfachheit seiner geistigen Natur als dem Reichtum an herrlichen und hinreißenden Ideen. Es beginnt nach¬ denklich und schließt in kräftiger Fröhlichkeit, seine Entwicklungen find lang und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/286>, abgerufen am 21.06.2024.