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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Line Übersetzung von Goethes Faust.

schweben heilige Büßerinnen: magn^ xsvog-trix, die Liebe im irdischen Sinne,
nmlisr LaniMiMg,, der Glaube, da sie im Evangelium von Christus auf die
Lebensquelle des Glaubens hingewiesen wird, und Alarm ^,os/vt>me,a>, die
Hoffnung (aus den ^otg. Wirowrum zu erklären). Alle drei sind Sünderinnen
gegen die reine Vernunft, weil sie dem Irdischen zugewandt waren. Aber sie
konnten nicht anders, darum verzeiht ihnen die reine Vernunft, und sie bitten
weiter, daß auch der Naivetät, sonst Gretchen genannt, die nicht ahnte, daß sie
fehle, verziehen werde. Diese jubelt über den früh Geliebten, nicht mehr Ge¬
trübten, der von der alten Hülle befreit, wie in erster Jugendkraft neugeboren
hervortritt; sie bittet um die Erlaubnis, ihn belehren zu dürfen, d. h. in höherm
Sinne ihn naiv zu machen, etwa so wie das wahre Genie naiv sein muß. Die
irmlsr glorioss. spricht nur zwei Verse: "Komm! hebe dich zu höhern Sphären,
wenn er dich ahnet, folgt er nach." Und so wird der gereinigte, von empirischen
Schlacken befreite Verstand wie ein neugebornes Kind in Gegenwart der reinen
Vernunft in den Himmel gezogen:


Das Unbeschreiblich e,
Hier ist es gethan;
DaS Ewig Weibliche
Zieht uns hinan.

Diesem kursorischen Referate ist nur noch hinzuzufügen, daß man nicht
glauben darf, es seien die übergangnen Szenen nicht auch erklärt oder, wie der
Verfasser es lieber ausdrückt, übersetzt. Im Gegenteil, es ist nicht ein einziges
Rätsel von Bedeutung übrig geblieben. Aber weder alle Lösungen aufzuzählen,
noch die Gründe für dieselben anzugeben, kann an dieser Stelle unsre Aufgabe sein.

Eine andre Frage ist es, ob die Deutung der Übersetzung in allen Fällen
jeder Kritik stand hält. Das bin ich bis jetzt nicht imstande zu entscheiden, und
muß nur darauf hinweisen, daß in einigen Wochen, wenn das Werk erschienen
sein wird, der Leser wird urteilen können. Goethe nennt den "Faust" im Brief¬
wechsel mit Schiller ein nordisches Phantom und glaubt, daß er seiner nordischen
Natur uach ein ungeheures nordisches Publikum finden müsst. Wenn die vor¬
getragene Lösung die richtige ist, so würde sich der nordische Charakter nicht
allein durch den Schauplatz der Walpurgisnacht, sondern auch gerade dadurch
bewähren, daß keine Dichtung so vorzugsweise allegorische Formen aufweist wie
der Kreis der Edda und der nordischen Sagen. Und wenn man schließlich
fragt, warum deun Goethe den Inhalt so tief habe verkleiden und verbergen
aussen, so ist die Antwort die, weil das Ganze eine großartige Ketzerei
gegenüber allen falschen und morschen Autoritäten ist, die noch heute zum Teil
die Welt regieren, in viel höherm Maße, als man für gewöhnlich anzunehmen
geneigt ist.




Line Übersetzung von Goethes Faust.

schweben heilige Büßerinnen: magn^ xsvog-trix, die Liebe im irdischen Sinne,
nmlisr LaniMiMg,, der Glaube, da sie im Evangelium von Christus auf die
Lebensquelle des Glaubens hingewiesen wird, und Alarm ^,os/vt>me,a>, die
Hoffnung (aus den ^otg. Wirowrum zu erklären). Alle drei sind Sünderinnen
gegen die reine Vernunft, weil sie dem Irdischen zugewandt waren. Aber sie
konnten nicht anders, darum verzeiht ihnen die reine Vernunft, und sie bitten
weiter, daß auch der Naivetät, sonst Gretchen genannt, die nicht ahnte, daß sie
fehle, verziehen werde. Diese jubelt über den früh Geliebten, nicht mehr Ge¬
trübten, der von der alten Hülle befreit, wie in erster Jugendkraft neugeboren
hervortritt; sie bittet um die Erlaubnis, ihn belehren zu dürfen, d. h. in höherm
Sinne ihn naiv zu machen, etwa so wie das wahre Genie naiv sein muß. Die
irmlsr glorioss. spricht nur zwei Verse: „Komm! hebe dich zu höhern Sphären,
wenn er dich ahnet, folgt er nach." Und so wird der gereinigte, von empirischen
Schlacken befreite Verstand wie ein neugebornes Kind in Gegenwart der reinen
Vernunft in den Himmel gezogen:


Das Unbeschreiblich e,
Hier ist es gethan;
DaS Ewig Weibliche
Zieht uns hinan.

Diesem kursorischen Referate ist nur noch hinzuzufügen, daß man nicht
glauben darf, es seien die übergangnen Szenen nicht auch erklärt oder, wie der
Verfasser es lieber ausdrückt, übersetzt. Im Gegenteil, es ist nicht ein einziges
Rätsel von Bedeutung übrig geblieben. Aber weder alle Lösungen aufzuzählen,
noch die Gründe für dieselben anzugeben, kann an dieser Stelle unsre Aufgabe sein.

Eine andre Frage ist es, ob die Deutung der Übersetzung in allen Fällen
jeder Kritik stand hält. Das bin ich bis jetzt nicht imstande zu entscheiden, und
muß nur darauf hinweisen, daß in einigen Wochen, wenn das Werk erschienen
sein wird, der Leser wird urteilen können. Goethe nennt den „Faust" im Brief¬
wechsel mit Schiller ein nordisches Phantom und glaubt, daß er seiner nordischen
Natur uach ein ungeheures nordisches Publikum finden müsst. Wenn die vor¬
getragene Lösung die richtige ist, so würde sich der nordische Charakter nicht
allein durch den Schauplatz der Walpurgisnacht, sondern auch gerade dadurch
bewähren, daß keine Dichtung so vorzugsweise allegorische Formen aufweist wie
der Kreis der Edda und der nordischen Sagen. Und wenn man schließlich
fragt, warum deun Goethe den Inhalt so tief habe verkleiden und verbergen
aussen, so ist die Antwort die, weil das Ganze eine großartige Ketzerei
gegenüber allen falschen und morschen Autoritäten ist, die noch heute zum Teil
die Welt regieren, in viel höherm Maße, als man für gewöhnlich anzunehmen
geneigt ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/283>, abgerufen am 21.06.2024.