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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Line Übersetzung von Goethes Faust.

für die Eltern gleich verloren, für die Engel (transeeudeutale Logik) zum
Gewinn; er nimmt sie in sich und läßt sie durch seiner Augen Welt- und erd¬
gemäß Organ (Zeit und Raum) das Werk der Dichtung betrachten. Das ist
die Ausführung der Forderung Goethes, daß die Gegenstände der praktischen
Vernunft, die trauseendenwlen Ideen, die Kant nicht den Prinzipien der
theoretischen Vernunft unterworfen hatte, auch als Erscheinungen des inneren
Sinnes zu behandeln und denselben Prinzipien zu unterwerfen seien. Daß
Goethe durch seine Nctturstudieu diesen Standpunkt errungen hatte, haben wir
früher ausgeführt, nur konnte er selbst nicht die Philosophie in diesem Sinne
weiterbilden. Darum steigen die Ideen weiter hinauf zu höheren Sphären, wo
die reine Vernunft waltet, aber sie hoffen dabei, den zu schauen, den sie ver¬
ehren, von dem zu lernen, der gelernt hat, nämlich von dem gereinigten Ver¬
stände, der von den Schlacken des Irdischen befreit ist. Die Engel (trcmseendentale
Logik) tragen nun Fausts Unsterbliches in der höhern Atmosphäre schwebend
und sprechen die eigentlich entscheidenden abschließenden Verse:


Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen:
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen;
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teil genommen,
Begegnet ihm die sel'ge Schar
Mit herzlichem Willkommen.

Also der Verstand, vom Egoismus befreit, kann durch rastlose Bethätigung
seiner Kräfte zur reinen Vernunft erhoben werden; und wenn die göttliche
Liebe sich seiner annimmt, so heißen ihn die transcendentalen Ideen will¬
kommen, das höchste Ziel des menschlichen Geistes wird erreicht.

Die jüngern Engel (transcendentale Dialektik) haben um den Faust mit
den Teufeln gctümpft, indem sie Rosen aus den Händen heiliger Büßerinnen
(Glaube, Liebe, Hoffnung) auf die bösen Geister werfen, sodciß selbst der
Egoismus vou einer Art Liebesfeuer durchdrungen wurde. Die vollendeteren
Engel, die transecndentale Analytik, möchten gern das Unsterbliche Fausts
noch weiter trennen in die reine Geisteskraft und in die irdischen Elemente,
die er im Leben an sich gerafft hat. Aber diese Scheidung gelingt nur der
ewigen Liebe. Die seligen Knaben (transcendentale Ideen) empfangen ihn
zunächst im Puppenstand, noch von empirischen Elementen umfangen, aber sie
lösen die Flocken, die ihn umgeben, ab, und er erscheint schön und groß von
heiligem Leben. Der Doktor Marianus in der höchsten, reinlichsten Zelle ist
der transeendentale Idealismus, der Sohn der Maria, der reinen Vernunft; er
schaut die höchste Herrscherin der Welt, die "Jungfrau rein im schönsten Sinn,
Mutter, Ehren würdig, uns erwählte Königin, Göttern ebenbürtig." Um sie


Line Übersetzung von Goethes Faust.

für die Eltern gleich verloren, für die Engel (transeeudeutale Logik) zum
Gewinn; er nimmt sie in sich und läßt sie durch seiner Augen Welt- und erd¬
gemäß Organ (Zeit und Raum) das Werk der Dichtung betrachten. Das ist
die Ausführung der Forderung Goethes, daß die Gegenstände der praktischen
Vernunft, die trauseendenwlen Ideen, die Kant nicht den Prinzipien der
theoretischen Vernunft unterworfen hatte, auch als Erscheinungen des inneren
Sinnes zu behandeln und denselben Prinzipien zu unterwerfen seien. Daß
Goethe durch seine Nctturstudieu diesen Standpunkt errungen hatte, haben wir
früher ausgeführt, nur konnte er selbst nicht die Philosophie in diesem Sinne
weiterbilden. Darum steigen die Ideen weiter hinauf zu höheren Sphären, wo
die reine Vernunft waltet, aber sie hoffen dabei, den zu schauen, den sie ver¬
ehren, von dem zu lernen, der gelernt hat, nämlich von dem gereinigten Ver¬
stände, der von den Schlacken des Irdischen befreit ist. Die Engel (trcmseendentale
Logik) tragen nun Fausts Unsterbliches in der höhern Atmosphäre schwebend
und sprechen die eigentlich entscheidenden abschließenden Verse:


Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen:
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen;
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teil genommen,
Begegnet ihm die sel'ge Schar
Mit herzlichem Willkommen.

Also der Verstand, vom Egoismus befreit, kann durch rastlose Bethätigung
seiner Kräfte zur reinen Vernunft erhoben werden; und wenn die göttliche
Liebe sich seiner annimmt, so heißen ihn die transcendentalen Ideen will¬
kommen, das höchste Ziel des menschlichen Geistes wird erreicht.

Die jüngern Engel (transcendentale Dialektik) haben um den Faust mit
den Teufeln gctümpft, indem sie Rosen aus den Händen heiliger Büßerinnen
(Glaube, Liebe, Hoffnung) auf die bösen Geister werfen, sodciß selbst der
Egoismus vou einer Art Liebesfeuer durchdrungen wurde. Die vollendeteren
Engel, die transecndentale Analytik, möchten gern das Unsterbliche Fausts
noch weiter trennen in die reine Geisteskraft und in die irdischen Elemente,
die er im Leben an sich gerafft hat. Aber diese Scheidung gelingt nur der
ewigen Liebe. Die seligen Knaben (transcendentale Ideen) empfangen ihn
zunächst im Puppenstand, noch von empirischen Elementen umfangen, aber sie
lösen die Flocken, die ihn umgeben, ab, und er erscheint schön und groß von
heiligem Leben. Der Doktor Marianus in der höchsten, reinlichsten Zelle ist
der transeendentale Idealismus, der Sohn der Maria, der reinen Vernunft; er
schaut die höchste Herrscherin der Welt, die „Jungfrau rein im schönsten Sinn,
Mutter, Ehren würdig, uns erwählte Königin, Göttern ebenbürtig." Um sie


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[0282] Line Übersetzung von Goethes Faust. für die Eltern gleich verloren, für die Engel (transeeudeutale Logik) zum Gewinn; er nimmt sie in sich und läßt sie durch seiner Augen Welt- und erd¬ gemäß Organ (Zeit und Raum) das Werk der Dichtung betrachten. Das ist die Ausführung der Forderung Goethes, daß die Gegenstände der praktischen Vernunft, die trauseendenwlen Ideen, die Kant nicht den Prinzipien der theoretischen Vernunft unterworfen hatte, auch als Erscheinungen des inneren Sinnes zu behandeln und denselben Prinzipien zu unterwerfen seien. Daß Goethe durch seine Nctturstudieu diesen Standpunkt errungen hatte, haben wir früher ausgeführt, nur konnte er selbst nicht die Philosophie in diesem Sinne weiterbilden. Darum steigen die Ideen weiter hinauf zu höheren Sphären, wo die reine Vernunft waltet, aber sie hoffen dabei, den zu schauen, den sie ver¬ ehren, von dem zu lernen, der gelernt hat, nämlich von dem gereinigten Ver¬ stände, der von den Schlacken des Irdischen befreit ist. Die Engel (trcmseendentale Logik) tragen nun Fausts Unsterbliches in der höhern Atmosphäre schwebend und sprechen die eigentlich entscheidenden abschließenden Verse: Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bösen: Wer immer strebend sich bemüht, Den können wir erlösen; Und hat an ihm die Liebe gar Von oben teil genommen, Begegnet ihm die sel'ge Schar Mit herzlichem Willkommen. Also der Verstand, vom Egoismus befreit, kann durch rastlose Bethätigung seiner Kräfte zur reinen Vernunft erhoben werden; und wenn die göttliche Liebe sich seiner annimmt, so heißen ihn die transcendentalen Ideen will¬ kommen, das höchste Ziel des menschlichen Geistes wird erreicht. Die jüngern Engel (transcendentale Dialektik) haben um den Faust mit den Teufeln gctümpft, indem sie Rosen aus den Händen heiliger Büßerinnen (Glaube, Liebe, Hoffnung) auf die bösen Geister werfen, sodciß selbst der Egoismus vou einer Art Liebesfeuer durchdrungen wurde. Die vollendeteren Engel, die transecndentale Analytik, möchten gern das Unsterbliche Fausts noch weiter trennen in die reine Geisteskraft und in die irdischen Elemente, die er im Leben an sich gerafft hat. Aber diese Scheidung gelingt nur der ewigen Liebe. Die seligen Knaben (transcendentale Ideen) empfangen ihn zunächst im Puppenstand, noch von empirischen Elementen umfangen, aber sie lösen die Flocken, die ihn umgeben, ab, und er erscheint schön und groß von heiligem Leben. Der Doktor Marianus in der höchsten, reinlichsten Zelle ist der transeendentale Idealismus, der Sohn der Maria, der reinen Vernunft; er schaut die höchste Herrscherin der Welt, die „Jungfrau rein im schönsten Sinn, Mutter, Ehren würdig, uns erwählte Königin, Göttern ebenbürtig." Um sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/282>, abgerufen am 21.06.2024.