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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Vrahms.
3.

le Werke für Kammermusik, welche Brechens bis jetzt ver¬
öffentlicht hat, bestehen in zwei Duos, drei Trios, drei Klavier¬
quartetten und drei Quartetten für Streichinstrumente, einem
Klavierquintett, einem Streichquintett und zwei Sextetten für
Streichinstrumente. Die größere Hälfte dieser fünfzehn Werke
gehört der zweiten Periode des Komponisten an, in welcher die Kammermusik
den wichtigsten Teil seiner Leistungen bildet.

Das erste der beiden Duos ist die Sonate für Pianoforte und Cello
(ZZ-moll ox. 38), eine Komposition in drei Sätzen, welche wir zu den bedeu¬
tendsten und charakteristischsten Werken des Komponisten zählen. Schon nach
den ersten acht Takten weiß man, daß man hier durchaus Eigenes zu erwarten
hat: in seinem äußern Aufbau, in den umkleidenden Harmonien, in dem ein¬
dringlichen Gesangton bekundet dieses Hauptthema seine Herkunft aus der vollen
Phantasie eines Meisters. Wer überhaupt musikalisch zu folgen versteht, kommt
in dem ersten Satze dieser Cellosonate aus der Spannung nicht heraus. Un¬
erschöpflich sprudeln frische und gehaltvolle Ideen, jedes dieser Zwischenglieder
trägt die Merkmale des Reichtums, die Entwicklung ist überraschend durch die
Innigkeit und Unmittelbarkeit der Jdeenmodulcition. Am meisten nimmt das
zweite Thema gefangen. Es ist eine Melodie von der prächtigen Ruhe und
Milde, wie sie Brechens allein eigen ist. Sie übernimmt am Schlüsse des
Satzes die Führung und geht allmählich in die Gestalt einer der schönsten
unter den Mageloue-Romanzen über: in die der "Suleima." Diese Anhäng¬
lichkeit an Lieblingsgestalten, die in früheren Tagen seine Phantasie erfüllt
haben, ist ein eigentümlicher und traulich sinnender Zug an Brechens. Leider
können ihn aber uur die Kenner seiner Werke ganz genießen. Der zweite Satz
der Cellosonate klingt etwas Wienerisch an -- das Opus ist ein Zeitgenosse der
vierhändigen Walzer. Das Finale stürmt in voller Kraft dahin -- von den
gebvtncn Plätzchen zum Ruhen und Sinnen macht es nur spärlich und kurz
Gebrauch. Seine Form ist die überaus kunstvolle einer Fuge mit drei Themen.
Eine originelle Nüance, die auch in der Finalfnge des Streichquintetts wieder¬
kehrt, ist die, daß die neu eintretenden Stimmen vom vollen Chor der andern
mit einem kurzen kräftigen Zuruf begrüßt werden.

Das zweite der Duos ist die Sonate für Violine und Klavier (Oclur ox. 78).
Die außerordentliche, kunstvolle Tondichtung hat den Grundzug einer ernst


Johannes Vrahms.
3.

le Werke für Kammermusik, welche Brechens bis jetzt ver¬
öffentlicht hat, bestehen in zwei Duos, drei Trios, drei Klavier¬
quartetten und drei Quartetten für Streichinstrumente, einem
Klavierquintett, einem Streichquintett und zwei Sextetten für
Streichinstrumente. Die größere Hälfte dieser fünfzehn Werke
gehört der zweiten Periode des Komponisten an, in welcher die Kammermusik
den wichtigsten Teil seiner Leistungen bildet.

Das erste der beiden Duos ist die Sonate für Pianoforte und Cello
(ZZ-moll ox. 38), eine Komposition in drei Sätzen, welche wir zu den bedeu¬
tendsten und charakteristischsten Werken des Komponisten zählen. Schon nach
den ersten acht Takten weiß man, daß man hier durchaus Eigenes zu erwarten
hat: in seinem äußern Aufbau, in den umkleidenden Harmonien, in dem ein¬
dringlichen Gesangton bekundet dieses Hauptthema seine Herkunft aus der vollen
Phantasie eines Meisters. Wer überhaupt musikalisch zu folgen versteht, kommt
in dem ersten Satze dieser Cellosonate aus der Spannung nicht heraus. Un¬
erschöpflich sprudeln frische und gehaltvolle Ideen, jedes dieser Zwischenglieder
trägt die Merkmale des Reichtums, die Entwicklung ist überraschend durch die
Innigkeit und Unmittelbarkeit der Jdeenmodulcition. Am meisten nimmt das
zweite Thema gefangen. Es ist eine Melodie von der prächtigen Ruhe und
Milde, wie sie Brechens allein eigen ist. Sie übernimmt am Schlüsse des
Satzes die Führung und geht allmählich in die Gestalt einer der schönsten
unter den Mageloue-Romanzen über: in die der „Suleima." Diese Anhäng¬
lichkeit an Lieblingsgestalten, die in früheren Tagen seine Phantasie erfüllt
haben, ist ein eigentümlicher und traulich sinnender Zug an Brechens. Leider
können ihn aber uur die Kenner seiner Werke ganz genießen. Der zweite Satz
der Cellosonate klingt etwas Wienerisch an — das Opus ist ein Zeitgenosse der
vierhändigen Walzer. Das Finale stürmt in voller Kraft dahin — von den
gebvtncn Plätzchen zum Ruhen und Sinnen macht es nur spärlich und kurz
Gebrauch. Seine Form ist die überaus kunstvolle einer Fuge mit drei Themen.
Eine originelle Nüance, die auch in der Finalfnge des Streichquintetts wieder¬
kehrt, ist die, daß die neu eintretenden Stimmen vom vollen Chor der andern
mit einem kurzen kräftigen Zuruf begrüßt werden.

Das zweite der Duos ist die Sonate für Violine und Klavier (Oclur ox. 78).
Die außerordentliche, kunstvolle Tondichtung hat den Grundzug einer ernst


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[0284] Johannes Vrahms. 3. le Werke für Kammermusik, welche Brechens bis jetzt ver¬ öffentlicht hat, bestehen in zwei Duos, drei Trios, drei Klavier¬ quartetten und drei Quartetten für Streichinstrumente, einem Klavierquintett, einem Streichquintett und zwei Sextetten für Streichinstrumente. Die größere Hälfte dieser fünfzehn Werke gehört der zweiten Periode des Komponisten an, in welcher die Kammermusik den wichtigsten Teil seiner Leistungen bildet. Das erste der beiden Duos ist die Sonate für Pianoforte und Cello (ZZ-moll ox. 38), eine Komposition in drei Sätzen, welche wir zu den bedeu¬ tendsten und charakteristischsten Werken des Komponisten zählen. Schon nach den ersten acht Takten weiß man, daß man hier durchaus Eigenes zu erwarten hat: in seinem äußern Aufbau, in den umkleidenden Harmonien, in dem ein¬ dringlichen Gesangton bekundet dieses Hauptthema seine Herkunft aus der vollen Phantasie eines Meisters. Wer überhaupt musikalisch zu folgen versteht, kommt in dem ersten Satze dieser Cellosonate aus der Spannung nicht heraus. Un¬ erschöpflich sprudeln frische und gehaltvolle Ideen, jedes dieser Zwischenglieder trägt die Merkmale des Reichtums, die Entwicklung ist überraschend durch die Innigkeit und Unmittelbarkeit der Jdeenmodulcition. Am meisten nimmt das zweite Thema gefangen. Es ist eine Melodie von der prächtigen Ruhe und Milde, wie sie Brechens allein eigen ist. Sie übernimmt am Schlüsse des Satzes die Führung und geht allmählich in die Gestalt einer der schönsten unter den Mageloue-Romanzen über: in die der „Suleima." Diese Anhäng¬ lichkeit an Lieblingsgestalten, die in früheren Tagen seine Phantasie erfüllt haben, ist ein eigentümlicher und traulich sinnender Zug an Brechens. Leider können ihn aber uur die Kenner seiner Werke ganz genießen. Der zweite Satz der Cellosonate klingt etwas Wienerisch an — das Opus ist ein Zeitgenosse der vierhändigen Walzer. Das Finale stürmt in voller Kraft dahin — von den gebvtncn Plätzchen zum Ruhen und Sinnen macht es nur spärlich und kurz Gebrauch. Seine Form ist die überaus kunstvolle einer Fuge mit drei Themen. Eine originelle Nüance, die auch in der Finalfnge des Streichquintetts wieder¬ kehrt, ist die, daß die neu eintretenden Stimmen vom vollen Chor der andern mit einem kurzen kräftigen Zuruf begrüßt werden. Das zweite der Duos ist die Sonate für Violine und Klavier (Oclur ox. 78). Die außerordentliche, kunstvolle Tondichtung hat den Grundzug einer ernst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/284>, abgerufen am 21.06.2024.