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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Line Übersetzung von Goethes Faust.

giebt ihm nach einigem Wählen tus <M Iniouitz? mit, welcher nun den Pug
ganz ähnlich durch alle Abenteuer schleppt wie Mephisto deu Faust, er verspricht
ihm, ihn dnrch London zu führen, er soll mit den Deutschen trinken lernen, er
bietet ihm Karten- und Würfelspiel, dann und wann das Vergnügen, jemand
totzustcchen, er will ihn neu kleiden, ihm ein Mädchen schaffen, das ihn mit
Kraftbrühe füttern soll und andres mehr. Er ist überall schnell im Augen¬
blick hie und da, es geht ihm "wie der Katze mit der Maus." Dies Urbild
der Mephistomaske wurde vom Verfasser dadurch gefunden, daß er die Antwort,
welche Mephisto der Sphinx giebt, genauer verfolgte: Briten könnten es be¬
zeugen, "im alten Bühnenspiel sah man mich dort als via Imi<mit^." Das
innere Wesen des Mephisto wird darauf von der Sphinx in dem Rätsel aus¬
gesprochen:


Sprich nur dich selbst aus, wird schon, Rätsel sein,
Versuch' einmal, dich innigst aufzulösen:
Dem frommen Manne nötig wie dein Bösen,
Dem ein Plastron, asketisch zu rapiren,
Kumpan dem andern, Tolles zu vollführen,
Und beides nur, um Zeus zu cnnüsireu.

Was den asketisch Frommen wie ein Brustharnisch gegen die Geißelhiebe schützt,
daß er sich nicht zu tief verletzt, ist die Eigenliebe, der Egoismus, und was
dem Bösen zu allen schlechten Streichen hilft, ist dasselbe. In beiden Fällen
ist es für die Gottheit (Zeus) mit Rücksicht auf die geschlossene Wette ein
Schauspiel zum Lachen. Dies Rätsel war das wichtigste Motiv für den Ver¬
fasser, den eigentlichen Inhalt der Mephistofigur präzis als Eigenliebe zu be¬
stimmen. Das ganze Streben des Mephisto geht darauf hinaus, zuletzt
den Faust für sich zu gewinnen. Er macht mit dem Herrn, der die ewige Liebe
reprüsentirt, die Wette, den strebenden Verstand des Menschen von seinem rechten
Wege zur Vernunft und zu Gott abzulenken, und die Liebe geht siegesgewiß
auf die Wette ein, weil sie auf die ursprünglich guten Eigenschaften des Ver¬
standes vertraut. Daß der Egoismus zugleich das negirende Prinzip ist wie
in der Moral so in der Wissenschaft und in der Politik, ist zuzugeben.

Die Jrrgänge des Verstandes sind nun der Reihe nach folgende. In allen
Wissenschaften findet er keine Befriedigung, weil sie ihm die Erkenntnis des
letzten Grundes der Dinge nicht erschließen, am wenigsten in der Form der
Scholastik, welche Wagner personifizirt. Sein Versuch, mit Hilfe der Magie
direkt den übersinnlichen Grund aller irdischen Dinge zu erkennen, findet die
Antwort des Erdgeistes: "Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir,"
d. h. der Verstand kann nur irdische Dinge erkennen, die auf sinnlicher An¬
schauung beruhen. Wie nun in der griechischen Tragödie ein Orakelspruch das
Schicksal des Helden bestimmt und der Kampf gegen den Willen der Götter
die tragische Schuld erzeugt, so erscheint im "Faust" orakelähnlich die Stelle


Line Übersetzung von Goethes Faust.

giebt ihm nach einigem Wählen tus <M Iniouitz? mit, welcher nun den Pug
ganz ähnlich durch alle Abenteuer schleppt wie Mephisto deu Faust, er verspricht
ihm, ihn dnrch London zu führen, er soll mit den Deutschen trinken lernen, er
bietet ihm Karten- und Würfelspiel, dann und wann das Vergnügen, jemand
totzustcchen, er will ihn neu kleiden, ihm ein Mädchen schaffen, das ihn mit
Kraftbrühe füttern soll und andres mehr. Er ist überall schnell im Augen¬
blick hie und da, es geht ihm „wie der Katze mit der Maus." Dies Urbild
der Mephistomaske wurde vom Verfasser dadurch gefunden, daß er die Antwort,
welche Mephisto der Sphinx giebt, genauer verfolgte: Briten könnten es be¬
zeugen, „im alten Bühnenspiel sah man mich dort als via Imi<mit^." Das
innere Wesen des Mephisto wird darauf von der Sphinx in dem Rätsel aus¬
gesprochen:


Sprich nur dich selbst aus, wird schon, Rätsel sein,
Versuch' einmal, dich innigst aufzulösen:
Dem frommen Manne nötig wie dein Bösen,
Dem ein Plastron, asketisch zu rapiren,
Kumpan dem andern, Tolles zu vollführen,
Und beides nur, um Zeus zu cnnüsireu.

Was den asketisch Frommen wie ein Brustharnisch gegen die Geißelhiebe schützt,
daß er sich nicht zu tief verletzt, ist die Eigenliebe, der Egoismus, und was
dem Bösen zu allen schlechten Streichen hilft, ist dasselbe. In beiden Fällen
ist es für die Gottheit (Zeus) mit Rücksicht auf die geschlossene Wette ein
Schauspiel zum Lachen. Dies Rätsel war das wichtigste Motiv für den Ver¬
fasser, den eigentlichen Inhalt der Mephistofigur präzis als Eigenliebe zu be¬
stimmen. Das ganze Streben des Mephisto geht darauf hinaus, zuletzt
den Faust für sich zu gewinnen. Er macht mit dem Herrn, der die ewige Liebe
reprüsentirt, die Wette, den strebenden Verstand des Menschen von seinem rechten
Wege zur Vernunft und zu Gott abzulenken, und die Liebe geht siegesgewiß
auf die Wette ein, weil sie auf die ursprünglich guten Eigenschaften des Ver¬
standes vertraut. Daß der Egoismus zugleich das negirende Prinzip ist wie
in der Moral so in der Wissenschaft und in der Politik, ist zuzugeben.

Die Jrrgänge des Verstandes sind nun der Reihe nach folgende. In allen
Wissenschaften findet er keine Befriedigung, weil sie ihm die Erkenntnis des
letzten Grundes der Dinge nicht erschließen, am wenigsten in der Form der
Scholastik, welche Wagner personifizirt. Sein Versuch, mit Hilfe der Magie
direkt den übersinnlichen Grund aller irdischen Dinge zu erkennen, findet die
Antwort des Erdgeistes: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir,"
d. h. der Verstand kann nur irdische Dinge erkennen, die auf sinnlicher An¬
schauung beruhen. Wie nun in der griechischen Tragödie ein Orakelspruch das
Schicksal des Helden bestimmt und der Kampf gegen den Willen der Götter
die tragische Schuld erzeugt, so erscheint im „Faust" orakelähnlich die Stelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/276>, abgerufen am 21.06.2024.