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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Börsensteuerdebatte.

Die leichtsinnigen Spiele, aus denen sich zu gewissen Zeiten fast das
ganze Börsengeschäft zusammensetzt, haben jenen gefährlichen Einfluß auf die
Kursgestaltung, der über die Börse weit hinaus sich auf den gesamten mobilen
Wertbesitz erstreckt und der in kritischen Momenten die Vermögensverhältnisse der
weitesten Kreise, die mit dem Börsenspiel auch nicht das geringste zu thun haben,
in der härtesten Weise berührt. Auch die vielfachen geschäftlichen Bankerotte,
welche eintreten, weil die Besitzer sich in Differenzspielen, sei es an der Fonds-,
sei es an der Waren- oder Produktenbörse festgerannt haben, und welche ge¬
wöhnlich eine ganze Schar kleiner Geschäfts- und Privatleute in Mitleidenschaft
ziehen, sind wesentlich auf die Gewissenlosigkeit -- denn milder kann man wohl
den fortgesetzten Eidbruch nicht bezeichnen -- der Makler zurückzuführen. Das¬
selbe gilt auch von den großen und kleinen Veruntreuungen, welche für die
Zwecke des Börsenspiels gemacht werden, welche sich immer mehr häufen und
welche besonders im Kreditgenosfenschaftswesen zu einer stehenden Einrichtung
zu werden drohen. Die Summen, welche auf diese Weise ihren rechtmäßigen
Besitzern entzogen worden und im Schlund der internationalen Börse ver¬
schwunden sind, beziffern sich auf viele Millionen. Hier trifft man den Schwer¬
punkt des Börseneinflusscs auf das nationale Vermögen, und die Gemeingefähr¬
lichkeit der Börse für den Volkswohlstand wird hier am auffälligsten bemerkt.

Dergleichen läßt sich, wie man am Beispiel Frankreichs erkennt, nicht be¬
kämpfen durch bloße Steuermaßregeln, wenn diese auch, wie dort, sehr gute finan¬
zielle Ergebnisse bringen. Den Gegnern der Börsensteuer ans moralischen Gründen,
welche in der Besteuerung der Differeuzgeschcifte nur eine Teilnahme des Staates
an einer staatsgefährlichen Handlung erkennen, ist die Berechtigung keineswegs
abzustreiten. Aber auch wenn man, wie dies schon öfters geschehen ist, das
unbedingte Verbot der Differenzgcschäfte fordern wollte, so würde man kein
praktisches Ergebnis davontragen. Vor allen Dingen ist es Thatsache, daß die
meisten Leute, welche in der Börsenfrage das Wort nehmen, garnicht wissen,
was eigentlich Differenzgeschäft ist. Meist wird es mit dem Lieferungsgeschüft
verwechselt. Thatsächlich erscheint das Disferenzgcschcift in sehr verschiednen,
oft sehr verwickelten Formen; Lieferungsgeschäft mit Kreditgewährung ist es
niemals, denn eine wirkliche Lieferung erfolgt an der Börse stets nur
gegen Barzcchluug. Ebensowenig ist zur Abwicklung eines Disferenzgcschäftes
ein längerer Zeitraum nötig. Es genügt dazu vollkommen ein einziger Börsen¬
tag. Die monatlichen Abrechnungen, die an vielen Börsen üblich sind -- keines¬
wegs an allen --, dienen in erster Linie zur Bequemlichkeit und Sicherheit der
Jobber; dagegen läßt sich die Lage bei täglicher Liquidation an der Börse vou
der Jobbcrei ebenso scharf ausnutzen wie bei monatlicher Liquidation. Doch
bietet die monatliche Liquidation den Jobbern selbst mehr Sicherheit, weil sie
Zeit haben, die Verhältnisse besser zu übersehen und sich zu decken. Für die
Börsenspieler außerhalb aber find beide Liquidationsformen gleich gefährlich; sie


Die Börsensteuerdebatte.

Die leichtsinnigen Spiele, aus denen sich zu gewissen Zeiten fast das
ganze Börsengeschäft zusammensetzt, haben jenen gefährlichen Einfluß auf die
Kursgestaltung, der über die Börse weit hinaus sich auf den gesamten mobilen
Wertbesitz erstreckt und der in kritischen Momenten die Vermögensverhältnisse der
weitesten Kreise, die mit dem Börsenspiel auch nicht das geringste zu thun haben,
in der härtesten Weise berührt. Auch die vielfachen geschäftlichen Bankerotte,
welche eintreten, weil die Besitzer sich in Differenzspielen, sei es an der Fonds-,
sei es an der Waren- oder Produktenbörse festgerannt haben, und welche ge¬
wöhnlich eine ganze Schar kleiner Geschäfts- und Privatleute in Mitleidenschaft
ziehen, sind wesentlich auf die Gewissenlosigkeit — denn milder kann man wohl
den fortgesetzten Eidbruch nicht bezeichnen — der Makler zurückzuführen. Das¬
selbe gilt auch von den großen und kleinen Veruntreuungen, welche für die
Zwecke des Börsenspiels gemacht werden, welche sich immer mehr häufen und
welche besonders im Kreditgenosfenschaftswesen zu einer stehenden Einrichtung
zu werden drohen. Die Summen, welche auf diese Weise ihren rechtmäßigen
Besitzern entzogen worden und im Schlund der internationalen Börse ver¬
schwunden sind, beziffern sich auf viele Millionen. Hier trifft man den Schwer¬
punkt des Börseneinflusscs auf das nationale Vermögen, und die Gemeingefähr¬
lichkeit der Börse für den Volkswohlstand wird hier am auffälligsten bemerkt.

Dergleichen läßt sich, wie man am Beispiel Frankreichs erkennt, nicht be¬
kämpfen durch bloße Steuermaßregeln, wenn diese auch, wie dort, sehr gute finan¬
zielle Ergebnisse bringen. Den Gegnern der Börsensteuer ans moralischen Gründen,
welche in der Besteuerung der Differeuzgeschcifte nur eine Teilnahme des Staates
an einer staatsgefährlichen Handlung erkennen, ist die Berechtigung keineswegs
abzustreiten. Aber auch wenn man, wie dies schon öfters geschehen ist, das
unbedingte Verbot der Differenzgcschäfte fordern wollte, so würde man kein
praktisches Ergebnis davontragen. Vor allen Dingen ist es Thatsache, daß die
meisten Leute, welche in der Börsenfrage das Wort nehmen, garnicht wissen,
was eigentlich Differenzgeschäft ist. Meist wird es mit dem Lieferungsgeschüft
verwechselt. Thatsächlich erscheint das Disferenzgcschcift in sehr verschiednen,
oft sehr verwickelten Formen; Lieferungsgeschäft mit Kreditgewährung ist es
niemals, denn eine wirkliche Lieferung erfolgt an der Börse stets nur
gegen Barzcchluug. Ebensowenig ist zur Abwicklung eines Disferenzgcschäftes
ein längerer Zeitraum nötig. Es genügt dazu vollkommen ein einziger Börsen¬
tag. Die monatlichen Abrechnungen, die an vielen Börsen üblich sind — keines¬
wegs an allen —, dienen in erster Linie zur Bequemlichkeit und Sicherheit der
Jobber; dagegen läßt sich die Lage bei täglicher Liquidation an der Börse vou
der Jobbcrei ebenso scharf ausnutzen wie bei monatlicher Liquidation. Doch
bietet die monatliche Liquidation den Jobbern selbst mehr Sicherheit, weil sie
Zeit haben, die Verhältnisse besser zu übersehen und sich zu decken. Für die
Börsenspieler außerhalb aber find beide Liquidationsformen gleich gefährlich; sie


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[0274] Die Börsensteuerdebatte. Die leichtsinnigen Spiele, aus denen sich zu gewissen Zeiten fast das ganze Börsengeschäft zusammensetzt, haben jenen gefährlichen Einfluß auf die Kursgestaltung, der über die Börse weit hinaus sich auf den gesamten mobilen Wertbesitz erstreckt und der in kritischen Momenten die Vermögensverhältnisse der weitesten Kreise, die mit dem Börsenspiel auch nicht das geringste zu thun haben, in der härtesten Weise berührt. Auch die vielfachen geschäftlichen Bankerotte, welche eintreten, weil die Besitzer sich in Differenzspielen, sei es an der Fonds-, sei es an der Waren- oder Produktenbörse festgerannt haben, und welche ge¬ wöhnlich eine ganze Schar kleiner Geschäfts- und Privatleute in Mitleidenschaft ziehen, sind wesentlich auf die Gewissenlosigkeit — denn milder kann man wohl den fortgesetzten Eidbruch nicht bezeichnen — der Makler zurückzuführen. Das¬ selbe gilt auch von den großen und kleinen Veruntreuungen, welche für die Zwecke des Börsenspiels gemacht werden, welche sich immer mehr häufen und welche besonders im Kreditgenosfenschaftswesen zu einer stehenden Einrichtung zu werden drohen. Die Summen, welche auf diese Weise ihren rechtmäßigen Besitzern entzogen worden und im Schlund der internationalen Börse ver¬ schwunden sind, beziffern sich auf viele Millionen. Hier trifft man den Schwer¬ punkt des Börseneinflusscs auf das nationale Vermögen, und die Gemeingefähr¬ lichkeit der Börse für den Volkswohlstand wird hier am auffälligsten bemerkt. Dergleichen läßt sich, wie man am Beispiel Frankreichs erkennt, nicht be¬ kämpfen durch bloße Steuermaßregeln, wenn diese auch, wie dort, sehr gute finan¬ zielle Ergebnisse bringen. Den Gegnern der Börsensteuer ans moralischen Gründen, welche in der Besteuerung der Differeuzgeschcifte nur eine Teilnahme des Staates an einer staatsgefährlichen Handlung erkennen, ist die Berechtigung keineswegs abzustreiten. Aber auch wenn man, wie dies schon öfters geschehen ist, das unbedingte Verbot der Differenzgcschäfte fordern wollte, so würde man kein praktisches Ergebnis davontragen. Vor allen Dingen ist es Thatsache, daß die meisten Leute, welche in der Börsenfrage das Wort nehmen, garnicht wissen, was eigentlich Differenzgeschäft ist. Meist wird es mit dem Lieferungsgeschüft verwechselt. Thatsächlich erscheint das Disferenzgcschcift in sehr verschiednen, oft sehr verwickelten Formen; Lieferungsgeschäft mit Kreditgewährung ist es niemals, denn eine wirkliche Lieferung erfolgt an der Börse stets nur gegen Barzcchluug. Ebensowenig ist zur Abwicklung eines Disferenzgcschäftes ein längerer Zeitraum nötig. Es genügt dazu vollkommen ein einziger Börsen¬ tag. Die monatlichen Abrechnungen, die an vielen Börsen üblich sind — keines¬ wegs an allen —, dienen in erster Linie zur Bequemlichkeit und Sicherheit der Jobber; dagegen läßt sich die Lage bei täglicher Liquidation an der Börse vou der Jobbcrei ebenso scharf ausnutzen wie bei monatlicher Liquidation. Doch bietet die monatliche Liquidation den Jobbern selbst mehr Sicherheit, weil sie Zeit haben, die Verhältnisse besser zu übersehen und sich zu decken. Für die Börsenspieler außerhalb aber find beide Liquidationsformen gleich gefährlich; sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/274>, abgerufen am 21.06.2024.