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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Börsensteuerdebatte.

Wir bezweifeln nicht, daß dieser Vorgang auch bemerkenswerte praktische
Folgen haben wird, und -- wenn wir recht verstehen -- hat man dies in den
Börsenkreisen begriffen. Man verbreitete zwar die Nachricht, der Reichskanzler
habe in seiner Unterredung mit dem Bankier Mendelssohn gesagt, es liege ihm
wenig an dem Gesetz, und dasselbe werde schwerlich vom gegenwärtigen Reichs¬
tage erledigt werden. Aber man gab die Nachricht in einem gewissen pessi¬
mistischen Tone, welcher erkennen ließ, daß diesmal das "aufgeschoben" am
allerwenigsten "aufgehoben" bedeuten werde, und daß ein etwaiger neuer Börsen-
steuerentwurf die Börse in ganz andrer Weise und ausschließlicher treffen werde
als der gegenwärtige.

Zugleich verhehlt man sich an der Börse nicht mehr, daß die Stimmung
gegen ihre Institution an den Börsenplätzen selbst sich in neuester Zeit stark
verändert hat. Vor einigen Jahren mochte es wohl noch zahlreichen Spie߬
bürgern, z. B. in Frankfurt a. M., kalt über den Rücken laufen, wenn gedroht
wurde, die Herren Börsianer würden auswandern, und man glaubte wirklich, die
Bevölkerungen der Nachbarländer wären voll Sehnsucht, die Jobber aus Deutsch¬
land zu sich übersiedeln zu sehen. Es gab vor zwei Jahren in den Hanpt-
börscnplätzen noch sehr viele Geschäftsleute, welche glaubten, ohne die Börse
nicht bestehen zu können. Auch gegenwärtig kommt man, doch schon etwas ver¬
schämter, mit jenen Drohungen. Wir sahen Berechnungen, wonach in der ge¬
dachten Vörsenstadt durch die Börse mehr als zweitausend Personen unmittelbar
in Anspruch genommen werden und von ihr leben, was in der That richtig
sein mag; und nun stellt mau in Aussicht, diese zweitausend Personen würden
davonziehen, wodurch Hunderte von Handwerkern ihren Erwerb verlieren müßten.

Was aber vor zwei Jahren noch erheblichen Effekt machte, das bleibt jetzt
wirkungslos. Man zerbricht sich selbst in gelverblichen Kreisen garnicht den
Kopf darüber, ob etwa die Drohung auch wirklich wahr gemacht werden könnte
oder nicht; man glaubt einfach nicht an die Folgen, welche sich angeblich an
den neuen Zug durchs rote Meer anknüpfen sollen. Ohne gerade daran zu
denken, daß die Städte auch ohne Börsen bestanden haben, sagt man sich doch,
daß das Geschäft, das mit der Börse zusammenhängt, stets bestehen bleiben und
daß es keinem reellen Geschäftshaus" einfallen werde, auszuwandern, während
die Auswandernden nur Platz für neue Leute machen könnten. Außerdem sieht
man durch die rohe Jobbcrei die Börsenstädte selbst sehr schwer geschädigt. Der
Bürgerstand Frankfurts z. B. erlitt durch Börscugenossen seit mehreren Jahren
sehr große Verluste; erst in den jüngsten Tagen ereigneten sich zwei Bankerotte,
zusammen mit Passiver von fast einer Million Mark, deren Betrag an der
Börse verspielt wurde, wodurch Hunderte von Personen in sehr schwere Verluste
gebracht wurden.

Unter solchen Umständen ist es fast gleichgiltig, daß man die Drohungen
der Börse selbst belachen kann. Jedermann, der die Verhältnisse kennt, weiß,


Die Börsensteuerdebatte.

Wir bezweifeln nicht, daß dieser Vorgang auch bemerkenswerte praktische
Folgen haben wird, und — wenn wir recht verstehen — hat man dies in den
Börsenkreisen begriffen. Man verbreitete zwar die Nachricht, der Reichskanzler
habe in seiner Unterredung mit dem Bankier Mendelssohn gesagt, es liege ihm
wenig an dem Gesetz, und dasselbe werde schwerlich vom gegenwärtigen Reichs¬
tage erledigt werden. Aber man gab die Nachricht in einem gewissen pessi¬
mistischen Tone, welcher erkennen ließ, daß diesmal das „aufgeschoben" am
allerwenigsten „aufgehoben" bedeuten werde, und daß ein etwaiger neuer Börsen-
steuerentwurf die Börse in ganz andrer Weise und ausschließlicher treffen werde
als der gegenwärtige.

Zugleich verhehlt man sich an der Börse nicht mehr, daß die Stimmung
gegen ihre Institution an den Börsenplätzen selbst sich in neuester Zeit stark
verändert hat. Vor einigen Jahren mochte es wohl noch zahlreichen Spie߬
bürgern, z. B. in Frankfurt a. M., kalt über den Rücken laufen, wenn gedroht
wurde, die Herren Börsianer würden auswandern, und man glaubte wirklich, die
Bevölkerungen der Nachbarländer wären voll Sehnsucht, die Jobber aus Deutsch¬
land zu sich übersiedeln zu sehen. Es gab vor zwei Jahren in den Hanpt-
börscnplätzen noch sehr viele Geschäftsleute, welche glaubten, ohne die Börse
nicht bestehen zu können. Auch gegenwärtig kommt man, doch schon etwas ver¬
schämter, mit jenen Drohungen. Wir sahen Berechnungen, wonach in der ge¬
dachten Vörsenstadt durch die Börse mehr als zweitausend Personen unmittelbar
in Anspruch genommen werden und von ihr leben, was in der That richtig
sein mag; und nun stellt mau in Aussicht, diese zweitausend Personen würden
davonziehen, wodurch Hunderte von Handwerkern ihren Erwerb verlieren müßten.

Was aber vor zwei Jahren noch erheblichen Effekt machte, das bleibt jetzt
wirkungslos. Man zerbricht sich selbst in gelverblichen Kreisen garnicht den
Kopf darüber, ob etwa die Drohung auch wirklich wahr gemacht werden könnte
oder nicht; man glaubt einfach nicht an die Folgen, welche sich angeblich an
den neuen Zug durchs rote Meer anknüpfen sollen. Ohne gerade daran zu
denken, daß die Städte auch ohne Börsen bestanden haben, sagt man sich doch,
daß das Geschäft, das mit der Börse zusammenhängt, stets bestehen bleiben und
daß es keinem reellen Geschäftshaus« einfallen werde, auszuwandern, während
die Auswandernden nur Platz für neue Leute machen könnten. Außerdem sieht
man durch die rohe Jobbcrei die Börsenstädte selbst sehr schwer geschädigt. Der
Bürgerstand Frankfurts z. B. erlitt durch Börscugenossen seit mehreren Jahren
sehr große Verluste; erst in den jüngsten Tagen ereigneten sich zwei Bankerotte,
zusammen mit Passiver von fast einer Million Mark, deren Betrag an der
Börse verspielt wurde, wodurch Hunderte von Personen in sehr schwere Verluste
gebracht wurden.

Unter solchen Umständen ist es fast gleichgiltig, daß man die Drohungen
der Börse selbst belachen kann. Jedermann, der die Verhältnisse kennt, weiß,


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[0271] Die Börsensteuerdebatte. Wir bezweifeln nicht, daß dieser Vorgang auch bemerkenswerte praktische Folgen haben wird, und — wenn wir recht verstehen — hat man dies in den Börsenkreisen begriffen. Man verbreitete zwar die Nachricht, der Reichskanzler habe in seiner Unterredung mit dem Bankier Mendelssohn gesagt, es liege ihm wenig an dem Gesetz, und dasselbe werde schwerlich vom gegenwärtigen Reichs¬ tage erledigt werden. Aber man gab die Nachricht in einem gewissen pessi¬ mistischen Tone, welcher erkennen ließ, daß diesmal das „aufgeschoben" am allerwenigsten „aufgehoben" bedeuten werde, und daß ein etwaiger neuer Börsen- steuerentwurf die Börse in ganz andrer Weise und ausschließlicher treffen werde als der gegenwärtige. Zugleich verhehlt man sich an der Börse nicht mehr, daß die Stimmung gegen ihre Institution an den Börsenplätzen selbst sich in neuester Zeit stark verändert hat. Vor einigen Jahren mochte es wohl noch zahlreichen Spie߬ bürgern, z. B. in Frankfurt a. M., kalt über den Rücken laufen, wenn gedroht wurde, die Herren Börsianer würden auswandern, und man glaubte wirklich, die Bevölkerungen der Nachbarländer wären voll Sehnsucht, die Jobber aus Deutsch¬ land zu sich übersiedeln zu sehen. Es gab vor zwei Jahren in den Hanpt- börscnplätzen noch sehr viele Geschäftsleute, welche glaubten, ohne die Börse nicht bestehen zu können. Auch gegenwärtig kommt man, doch schon etwas ver¬ schämter, mit jenen Drohungen. Wir sahen Berechnungen, wonach in der ge¬ dachten Vörsenstadt durch die Börse mehr als zweitausend Personen unmittelbar in Anspruch genommen werden und von ihr leben, was in der That richtig sein mag; und nun stellt mau in Aussicht, diese zweitausend Personen würden davonziehen, wodurch Hunderte von Handwerkern ihren Erwerb verlieren müßten. Was aber vor zwei Jahren noch erheblichen Effekt machte, das bleibt jetzt wirkungslos. Man zerbricht sich selbst in gelverblichen Kreisen garnicht den Kopf darüber, ob etwa die Drohung auch wirklich wahr gemacht werden könnte oder nicht; man glaubt einfach nicht an die Folgen, welche sich angeblich an den neuen Zug durchs rote Meer anknüpfen sollen. Ohne gerade daran zu denken, daß die Städte auch ohne Börsen bestanden haben, sagt man sich doch, daß das Geschäft, das mit der Börse zusammenhängt, stets bestehen bleiben und daß es keinem reellen Geschäftshaus« einfallen werde, auszuwandern, während die Auswandernden nur Platz für neue Leute machen könnten. Außerdem sieht man durch die rohe Jobbcrei die Börsenstädte selbst sehr schwer geschädigt. Der Bürgerstand Frankfurts z. B. erlitt durch Börscugenossen seit mehreren Jahren sehr große Verluste; erst in den jüngsten Tagen ereigneten sich zwei Bankerotte, zusammen mit Passiver von fast einer Million Mark, deren Betrag an der Börse verspielt wurde, wodurch Hunderte von Personen in sehr schwere Verluste gebracht wurden. Unter solchen Umständen ist es fast gleichgiltig, daß man die Drohungen der Börse selbst belachen kann. Jedermann, der die Verhältnisse kennt, weiß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/271>, abgerufen am 21.06.2024.