Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Börsensteuerdebatte.

kolossale Wachstum einer ziemlichen Zahl jener Bankiers an der Börse (Er¬
langer, Sulzbach ze.) unmittelbar vor Augen gehabt hat, behauptet werden kann,
beweist nicht nur, daß die Börse ihre Gründe haben muß, ihre Verhält¬
nisse zu verschleiern, sondern es bezeichnet auch ebensowohl einen eigentümlichen
moralischen Standpunkt wie das geringe Urteil, das sie sich, leider nicht ohne
Grund, über die allgemeine Einsicht in finanzielle Dinge gebildet hat.

Dies ist jedoch noch keineswegs das ärgste. Es muß in der Fiuanz-
geschichte ganz besonders vermerkt werden, daß die Börse anläßlich ihres Kampfes
gegen das Börsensteuergesetz sich vorwagte bis zu einem Punkte, wo sie glaubte,
die deutsche Reichsregierung unmittelbar verletzen und ihr einen Ärger anthun
zu können. Es war dies, als die Bankfirmen, welche unter dem Vorsitz des
Neichsbankpräsidenten über die Gründung einer deutschen Kolonialbank verhan¬
delten, erklärten, nicht früher weiter verhandeln zu wollen, als bis die deutsche
Rcichsregierung den Vörseusteuereutwurf zurückgezogen haben würde! Diese bis
jetzt für Deutschland beispiellose Keckheit kann auch der obersten Leitung der Reichs¬
politik keinen Zweifel mehr lassen über die Absichten und Ziele der internatio¬
nalen Jobberei, die überall in der Herbeiführung von Zuständen gipfeln, wie sie in
Frankreich, Ungarn, den Vereinigten Staaten :c. bestehen, wo die Machthaber
der Börse die Ministerien, ja das Staatsoberhaupt selbst ernennen. Allerdings
haben die Herren, als sie merkten, daß sie diesmal sehr stark über ihre Macht¬
sphäre hinausgegangen waren, sich beeilt, wieder einzulenken, obgleich ihr lautes
Verlangen, Juden in den Staatsrat zu berufen -- einen, den Berliner Bankier
Mendelssohn, hatte sie sogar ausdrücklich bezeichnet --, keinen Erfolg gehabt hatte.
Dennoch bleibt die Thatsache des Versuchs bestehen, was bei ihrer bekannten
Eigenart, sich selbst durch die stärksten Zurückweisungen nicht verblüffen zu lassen,
weitere Versuche mit Sicherheit in Aussicht stellt.

Unterliegt es doch keinem Zweifel, daß die Gründung der deutschen Ko-
lonialbauk ebenfalls einen großen Erfolg der Börse bezeichnen wird. Gleichviel,
ob die Bank den Erwartungen, die man hinsichtlich der Förderung des über¬
seeischen Handels an sie knüpft, entsprechen wird: sicher ist weiter nichts,
als daß sie zunächst der Börse ein neues Objekt der Agiotage bieten und daß
sie den deutschen Firmen an den überseeischen Plätzen Konkurrenz machen wird.
Davon aber wird die Börse in erster Linie Nutzen ziehen. Daß diese aber
auch den Schein selbst einer nur moralischen Unterstützung der Gründung durch
das Reich insbesondre bei der Emission der Aktien ausnutzen wird, ist gar
nicht zu bezweifeln. Wenn sie dennoch gerade diese Gelegenheit benutzte, um
sich besonders i" ihrer Presse das Ansehen brüsten Auftretens gegen die Neichs-
regierung zu geben, so rechnete sie abermals auf eine völlige Verkennung der
wirtschaftlichen Wechselwirkungen auf feiten der einflußreicheren Kreise; sie gab
sich den Anschein, eine "Gefälligkeit" zu erweisen, wo sie ein Geschenk empfangen
wollte.


Die Börsensteuerdebatte.

kolossale Wachstum einer ziemlichen Zahl jener Bankiers an der Börse (Er¬
langer, Sulzbach ze.) unmittelbar vor Augen gehabt hat, behauptet werden kann,
beweist nicht nur, daß die Börse ihre Gründe haben muß, ihre Verhält¬
nisse zu verschleiern, sondern es bezeichnet auch ebensowohl einen eigentümlichen
moralischen Standpunkt wie das geringe Urteil, das sie sich, leider nicht ohne
Grund, über die allgemeine Einsicht in finanzielle Dinge gebildet hat.

Dies ist jedoch noch keineswegs das ärgste. Es muß in der Fiuanz-
geschichte ganz besonders vermerkt werden, daß die Börse anläßlich ihres Kampfes
gegen das Börsensteuergesetz sich vorwagte bis zu einem Punkte, wo sie glaubte,
die deutsche Reichsregierung unmittelbar verletzen und ihr einen Ärger anthun
zu können. Es war dies, als die Bankfirmen, welche unter dem Vorsitz des
Neichsbankpräsidenten über die Gründung einer deutschen Kolonialbank verhan¬
delten, erklärten, nicht früher weiter verhandeln zu wollen, als bis die deutsche
Rcichsregierung den Vörseusteuereutwurf zurückgezogen haben würde! Diese bis
jetzt für Deutschland beispiellose Keckheit kann auch der obersten Leitung der Reichs¬
politik keinen Zweifel mehr lassen über die Absichten und Ziele der internatio¬
nalen Jobberei, die überall in der Herbeiführung von Zuständen gipfeln, wie sie in
Frankreich, Ungarn, den Vereinigten Staaten :c. bestehen, wo die Machthaber
der Börse die Ministerien, ja das Staatsoberhaupt selbst ernennen. Allerdings
haben die Herren, als sie merkten, daß sie diesmal sehr stark über ihre Macht¬
sphäre hinausgegangen waren, sich beeilt, wieder einzulenken, obgleich ihr lautes
Verlangen, Juden in den Staatsrat zu berufen — einen, den Berliner Bankier
Mendelssohn, hatte sie sogar ausdrücklich bezeichnet —, keinen Erfolg gehabt hatte.
Dennoch bleibt die Thatsache des Versuchs bestehen, was bei ihrer bekannten
Eigenart, sich selbst durch die stärksten Zurückweisungen nicht verblüffen zu lassen,
weitere Versuche mit Sicherheit in Aussicht stellt.

Unterliegt es doch keinem Zweifel, daß die Gründung der deutschen Ko-
lonialbauk ebenfalls einen großen Erfolg der Börse bezeichnen wird. Gleichviel,
ob die Bank den Erwartungen, die man hinsichtlich der Förderung des über¬
seeischen Handels an sie knüpft, entsprechen wird: sicher ist weiter nichts,
als daß sie zunächst der Börse ein neues Objekt der Agiotage bieten und daß
sie den deutschen Firmen an den überseeischen Plätzen Konkurrenz machen wird.
Davon aber wird die Börse in erster Linie Nutzen ziehen. Daß diese aber
auch den Schein selbst einer nur moralischen Unterstützung der Gründung durch
das Reich insbesondre bei der Emission der Aktien ausnutzen wird, ist gar
nicht zu bezweifeln. Wenn sie dennoch gerade diese Gelegenheit benutzte, um
sich besonders i» ihrer Presse das Ansehen brüsten Auftretens gegen die Neichs-
regierung zu geben, so rechnete sie abermals auf eine völlige Verkennung der
wirtschaftlichen Wechselwirkungen auf feiten der einflußreicheren Kreise; sie gab
sich den Anschein, eine „Gefälligkeit" zu erweisen, wo sie ein Geschenk empfangen
wollte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156541"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Börsensteuerdebatte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1196" prev="#ID_1195"> kolossale Wachstum einer ziemlichen Zahl jener Bankiers an der Börse (Er¬<lb/>
langer, Sulzbach ze.) unmittelbar vor Augen gehabt hat, behauptet werden kann,<lb/>
beweist nicht nur, daß die Börse ihre Gründe haben muß, ihre Verhält¬<lb/>
nisse zu verschleiern, sondern es bezeichnet auch ebensowohl einen eigentümlichen<lb/>
moralischen Standpunkt wie das geringe Urteil, das sie sich, leider nicht ohne<lb/>
Grund, über die allgemeine Einsicht in finanzielle Dinge gebildet hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1197"> Dies ist jedoch noch keineswegs das ärgste. Es muß in der Fiuanz-<lb/>
geschichte ganz besonders vermerkt werden, daß die Börse anläßlich ihres Kampfes<lb/>
gegen das Börsensteuergesetz sich vorwagte bis zu einem Punkte, wo sie glaubte,<lb/>
die deutsche Reichsregierung unmittelbar verletzen und ihr einen Ärger anthun<lb/>
zu können. Es war dies, als die Bankfirmen, welche unter dem Vorsitz des<lb/>
Neichsbankpräsidenten über die Gründung einer deutschen Kolonialbank verhan¬<lb/>
delten, erklärten, nicht früher weiter verhandeln zu wollen, als bis die deutsche<lb/>
Rcichsregierung den Vörseusteuereutwurf zurückgezogen haben würde! Diese bis<lb/>
jetzt für Deutschland beispiellose Keckheit kann auch der obersten Leitung der Reichs¬<lb/>
politik keinen Zweifel mehr lassen über die Absichten und Ziele der internatio¬<lb/>
nalen Jobberei, die überall in der Herbeiführung von Zuständen gipfeln, wie sie in<lb/>
Frankreich, Ungarn, den Vereinigten Staaten :c. bestehen, wo die Machthaber<lb/>
der Börse die Ministerien, ja das Staatsoberhaupt selbst ernennen. Allerdings<lb/>
haben die Herren, als sie merkten, daß sie diesmal sehr stark über ihre Macht¬<lb/>
sphäre hinausgegangen waren, sich beeilt, wieder einzulenken, obgleich ihr lautes<lb/>
Verlangen, Juden in den Staatsrat zu berufen &#x2014; einen, den Berliner Bankier<lb/>
Mendelssohn, hatte sie sogar ausdrücklich bezeichnet &#x2014;, keinen Erfolg gehabt hatte.<lb/>
Dennoch bleibt die Thatsache des Versuchs bestehen, was bei ihrer bekannten<lb/>
Eigenart, sich selbst durch die stärksten Zurückweisungen nicht verblüffen zu lassen,<lb/>
weitere Versuche mit Sicherheit in Aussicht stellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1198"> Unterliegt es doch keinem Zweifel, daß die Gründung der deutschen Ko-<lb/>
lonialbauk ebenfalls einen großen Erfolg der Börse bezeichnen wird. Gleichviel,<lb/>
ob die Bank den Erwartungen, die man hinsichtlich der Förderung des über¬<lb/>
seeischen Handels an sie knüpft, entsprechen wird: sicher ist weiter nichts,<lb/>
als daß sie zunächst der Börse ein neues Objekt der Agiotage bieten und daß<lb/>
sie den deutschen Firmen an den überseeischen Plätzen Konkurrenz machen wird.<lb/>
Davon aber wird die Börse in erster Linie Nutzen ziehen. Daß diese aber<lb/>
auch den Schein selbst einer nur moralischen Unterstützung der Gründung durch<lb/>
das Reich insbesondre bei der Emission der Aktien ausnutzen wird, ist gar<lb/>
nicht zu bezweifeln. Wenn sie dennoch gerade diese Gelegenheit benutzte, um<lb/>
sich besonders i» ihrer Presse das Ansehen brüsten Auftretens gegen die Neichs-<lb/>
regierung zu geben, so rechnete sie abermals auf eine völlige Verkennung der<lb/>
wirtschaftlichen Wechselwirkungen auf feiten der einflußreicheren Kreise; sie gab<lb/>
sich den Anschein, eine &#x201E;Gefälligkeit" zu erweisen, wo sie ein Geschenk empfangen<lb/>
wollte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Die Börsensteuerdebatte. kolossale Wachstum einer ziemlichen Zahl jener Bankiers an der Börse (Er¬ langer, Sulzbach ze.) unmittelbar vor Augen gehabt hat, behauptet werden kann, beweist nicht nur, daß die Börse ihre Gründe haben muß, ihre Verhält¬ nisse zu verschleiern, sondern es bezeichnet auch ebensowohl einen eigentümlichen moralischen Standpunkt wie das geringe Urteil, das sie sich, leider nicht ohne Grund, über die allgemeine Einsicht in finanzielle Dinge gebildet hat. Dies ist jedoch noch keineswegs das ärgste. Es muß in der Fiuanz- geschichte ganz besonders vermerkt werden, daß die Börse anläßlich ihres Kampfes gegen das Börsensteuergesetz sich vorwagte bis zu einem Punkte, wo sie glaubte, die deutsche Reichsregierung unmittelbar verletzen und ihr einen Ärger anthun zu können. Es war dies, als die Bankfirmen, welche unter dem Vorsitz des Neichsbankpräsidenten über die Gründung einer deutschen Kolonialbank verhan¬ delten, erklärten, nicht früher weiter verhandeln zu wollen, als bis die deutsche Rcichsregierung den Vörseusteuereutwurf zurückgezogen haben würde! Diese bis jetzt für Deutschland beispiellose Keckheit kann auch der obersten Leitung der Reichs¬ politik keinen Zweifel mehr lassen über die Absichten und Ziele der internatio¬ nalen Jobberei, die überall in der Herbeiführung von Zuständen gipfeln, wie sie in Frankreich, Ungarn, den Vereinigten Staaten :c. bestehen, wo die Machthaber der Börse die Ministerien, ja das Staatsoberhaupt selbst ernennen. Allerdings haben die Herren, als sie merkten, daß sie diesmal sehr stark über ihre Macht¬ sphäre hinausgegangen waren, sich beeilt, wieder einzulenken, obgleich ihr lautes Verlangen, Juden in den Staatsrat zu berufen — einen, den Berliner Bankier Mendelssohn, hatte sie sogar ausdrücklich bezeichnet —, keinen Erfolg gehabt hatte. Dennoch bleibt die Thatsache des Versuchs bestehen, was bei ihrer bekannten Eigenart, sich selbst durch die stärksten Zurückweisungen nicht verblüffen zu lassen, weitere Versuche mit Sicherheit in Aussicht stellt. Unterliegt es doch keinem Zweifel, daß die Gründung der deutschen Ko- lonialbauk ebenfalls einen großen Erfolg der Börse bezeichnen wird. Gleichviel, ob die Bank den Erwartungen, die man hinsichtlich der Förderung des über¬ seeischen Handels an sie knüpft, entsprechen wird: sicher ist weiter nichts, als daß sie zunächst der Börse ein neues Objekt der Agiotage bieten und daß sie den deutschen Firmen an den überseeischen Plätzen Konkurrenz machen wird. Davon aber wird die Börse in erster Linie Nutzen ziehen. Daß diese aber auch den Schein selbst einer nur moralischen Unterstützung der Gründung durch das Reich insbesondre bei der Emission der Aktien ausnutzen wird, ist gar nicht zu bezweifeln. Wenn sie dennoch gerade diese Gelegenheit benutzte, um sich besonders i» ihrer Presse das Ansehen brüsten Auftretens gegen die Neichs- regierung zu geben, so rechnete sie abermals auf eine völlige Verkennung der wirtschaftlichen Wechselwirkungen auf feiten der einflußreicheren Kreise; sie gab sich den Anschein, eine „Gefälligkeit" zu erweisen, wo sie ein Geschenk empfangen wollte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/270>, abgerufen am 21.06.2024.