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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker.

gebildet und seitdem als Kriegsbeute unter der Verwaltung französischer Mar-
schälle und Generalkvmmissare nach Möglichkeit ausgesogen. Dazu fügte Napoleon
noch das Fürstentum Hauen, welches er von den einstigen Besitzungen des Kur¬
fürsten von Hessen, die sonst alle an seinen Bruder Jerome von Westfalen ge¬
fallen waren, in der eignen Hand behalten hatte. Auf diese Art war die Arrondirung
eines "Staates" von etwas über 90 Quadratmeilen und wenig mehr als 300 000
Einwohnern erreicht. Man darf mit Beaulieu bezweifeln, daß es die ernste Ab¬
sicht des Kaisers gewesen, nach dem Tode Dalbergs diese sonderbare politische
Schöpfung zur Versorgung des Prinzen Eugen anzuwenden. "Wer weiß, ob
nicht ganz im Hintergrunde der Plan verborgen lag, diese Landstriche einstweilen
durch Gesetzgebung und Verwaltung dein französischen Reiche zu assimiliren, die
Gehässigkeit dieser Maßregel dem Regenten aufzubürden und später die reife
Frucht sich in den Schoß fallen zu lassen. Sein Verfahren gegenüber Holland
nud deu norddeutschen Staaten zwischen der Nord- und Ostsee, welches im
Laufe dieses Jahres 1810 an den Tag trat, läßt dergleichen als höchst wahr¬
scheinlich vermuten."

Was auch die letzten Absichten des Weltherrschers gewesen sein mögen,
der neue Staat Dalbergs überlebte nur wenige Monate das dritte Jahr seines
Bestehens und brach mit dem ganzen, seit dem Frühjahr 1813 wankenden Ge¬
bäude des Napoleonischen "Systems" unmittelbar nach der Leipziger Schlacht
zusammen. Die letzten Regentenjahre Dalbergs waren in allem Betracht die
unglücklichsten, er hatte jeden Halt verloren, und der einstige Kurfürst-Erzkanzler
des heiligen tausendjährigen Reiches erblickte seine Hauptaufgabe darin, die
"Verfassung" seines nunmehrigen Großherzogtnms Frankfurt mit der Verfassung
des Nachbarkönigreichs Westfalen in Einklang zu bringen, welche ihm schon
darum eine Musterverfassung schien, weil sie Napoleon dekretirt hatte. Er
konnte, so wenig wie irgend ein andrer, auch der beste Fürst des Rheinbundes,
seine Lande im großen und ganzen vor dem ungeheuern Druck der Zeit schützen
und sah sich auf Äußerungen und Beweise der Privatwohlthätigkeit beschränkt,
die in einem kläglichen Gegensatze zu den unermeßlichen öffentlichen Übeln
standen, welche er zufügen mußte. Und während er der Erhaltung einer
politischen Stellung, die ihm in keiner Weise mehr eine Genugthuung sein
konnte, die Opfer seines wirklich teilnehmenden Herzens, seines so hochgehaltenen
Ruhmes brachte, unterließ er gleichwohl, das Seine aus dem Schiffbruch seines
Protektors zu retten. Durch das ganze Großherzogtnm Frankfurt ging eine
Stimmung, welche Unheil aHute und weissagte. Heinrich König, damals einer
der bescheidensten Unterbeamten in der Verwaltung des Departements Fulda,
hat in seinem Buche "Auch eine Jugend" (Leipzig, 1852) einige sehr inter¬
essante und bezeichnende Züge zur Charakteristik jeuer schwülen Tage mit¬
geteilt. Ganz richtig erkannte Dalbergs kluger Minister Albini, daß es im
August 1813 höchste und letzte Zeit zu rettenden Verhandlungen mit den Ver-


Aus den Tagen der Klassiker.

gebildet und seitdem als Kriegsbeute unter der Verwaltung französischer Mar-
schälle und Generalkvmmissare nach Möglichkeit ausgesogen. Dazu fügte Napoleon
noch das Fürstentum Hauen, welches er von den einstigen Besitzungen des Kur¬
fürsten von Hessen, die sonst alle an seinen Bruder Jerome von Westfalen ge¬
fallen waren, in der eignen Hand behalten hatte. Auf diese Art war die Arrondirung
eines „Staates" von etwas über 90 Quadratmeilen und wenig mehr als 300 000
Einwohnern erreicht. Man darf mit Beaulieu bezweifeln, daß es die ernste Ab¬
sicht des Kaisers gewesen, nach dem Tode Dalbergs diese sonderbare politische
Schöpfung zur Versorgung des Prinzen Eugen anzuwenden. „Wer weiß, ob
nicht ganz im Hintergrunde der Plan verborgen lag, diese Landstriche einstweilen
durch Gesetzgebung und Verwaltung dein französischen Reiche zu assimiliren, die
Gehässigkeit dieser Maßregel dem Regenten aufzubürden und später die reife
Frucht sich in den Schoß fallen zu lassen. Sein Verfahren gegenüber Holland
nud deu norddeutschen Staaten zwischen der Nord- und Ostsee, welches im
Laufe dieses Jahres 1810 an den Tag trat, läßt dergleichen als höchst wahr¬
scheinlich vermuten."

Was auch die letzten Absichten des Weltherrschers gewesen sein mögen,
der neue Staat Dalbergs überlebte nur wenige Monate das dritte Jahr seines
Bestehens und brach mit dem ganzen, seit dem Frühjahr 1813 wankenden Ge¬
bäude des Napoleonischen „Systems" unmittelbar nach der Leipziger Schlacht
zusammen. Die letzten Regentenjahre Dalbergs waren in allem Betracht die
unglücklichsten, er hatte jeden Halt verloren, und der einstige Kurfürst-Erzkanzler
des heiligen tausendjährigen Reiches erblickte seine Hauptaufgabe darin, die
„Verfassung" seines nunmehrigen Großherzogtnms Frankfurt mit der Verfassung
des Nachbarkönigreichs Westfalen in Einklang zu bringen, welche ihm schon
darum eine Musterverfassung schien, weil sie Napoleon dekretirt hatte. Er
konnte, so wenig wie irgend ein andrer, auch der beste Fürst des Rheinbundes,
seine Lande im großen und ganzen vor dem ungeheuern Druck der Zeit schützen
und sah sich auf Äußerungen und Beweise der Privatwohlthätigkeit beschränkt,
die in einem kläglichen Gegensatze zu den unermeßlichen öffentlichen Übeln
standen, welche er zufügen mußte. Und während er der Erhaltung einer
politischen Stellung, die ihm in keiner Weise mehr eine Genugthuung sein
konnte, die Opfer seines wirklich teilnehmenden Herzens, seines so hochgehaltenen
Ruhmes brachte, unterließ er gleichwohl, das Seine aus dem Schiffbruch seines
Protektors zu retten. Durch das ganze Großherzogtnm Frankfurt ging eine
Stimmung, welche Unheil aHute und weissagte. Heinrich König, damals einer
der bescheidensten Unterbeamten in der Verwaltung des Departements Fulda,
hat in seinem Buche „Auch eine Jugend" (Leipzig, 1852) einige sehr inter¬
essante und bezeichnende Züge zur Charakteristik jeuer schwülen Tage mit¬
geteilt. Ganz richtig erkannte Dalbergs kluger Minister Albini, daß es im
August 1813 höchste und letzte Zeit zu rettenden Verhandlungen mit den Ver-


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[0087] Aus den Tagen der Klassiker. gebildet und seitdem als Kriegsbeute unter der Verwaltung französischer Mar- schälle und Generalkvmmissare nach Möglichkeit ausgesogen. Dazu fügte Napoleon noch das Fürstentum Hauen, welches er von den einstigen Besitzungen des Kur¬ fürsten von Hessen, die sonst alle an seinen Bruder Jerome von Westfalen ge¬ fallen waren, in der eignen Hand behalten hatte. Auf diese Art war die Arrondirung eines „Staates" von etwas über 90 Quadratmeilen und wenig mehr als 300 000 Einwohnern erreicht. Man darf mit Beaulieu bezweifeln, daß es die ernste Ab¬ sicht des Kaisers gewesen, nach dem Tode Dalbergs diese sonderbare politische Schöpfung zur Versorgung des Prinzen Eugen anzuwenden. „Wer weiß, ob nicht ganz im Hintergrunde der Plan verborgen lag, diese Landstriche einstweilen durch Gesetzgebung und Verwaltung dein französischen Reiche zu assimiliren, die Gehässigkeit dieser Maßregel dem Regenten aufzubürden und später die reife Frucht sich in den Schoß fallen zu lassen. Sein Verfahren gegenüber Holland nud deu norddeutschen Staaten zwischen der Nord- und Ostsee, welches im Laufe dieses Jahres 1810 an den Tag trat, läßt dergleichen als höchst wahr¬ scheinlich vermuten." Was auch die letzten Absichten des Weltherrschers gewesen sein mögen, der neue Staat Dalbergs überlebte nur wenige Monate das dritte Jahr seines Bestehens und brach mit dem ganzen, seit dem Frühjahr 1813 wankenden Ge¬ bäude des Napoleonischen „Systems" unmittelbar nach der Leipziger Schlacht zusammen. Die letzten Regentenjahre Dalbergs waren in allem Betracht die unglücklichsten, er hatte jeden Halt verloren, und der einstige Kurfürst-Erzkanzler des heiligen tausendjährigen Reiches erblickte seine Hauptaufgabe darin, die „Verfassung" seines nunmehrigen Großherzogtnms Frankfurt mit der Verfassung des Nachbarkönigreichs Westfalen in Einklang zu bringen, welche ihm schon darum eine Musterverfassung schien, weil sie Napoleon dekretirt hatte. Er konnte, so wenig wie irgend ein andrer, auch der beste Fürst des Rheinbundes, seine Lande im großen und ganzen vor dem ungeheuern Druck der Zeit schützen und sah sich auf Äußerungen und Beweise der Privatwohlthätigkeit beschränkt, die in einem kläglichen Gegensatze zu den unermeßlichen öffentlichen Übeln standen, welche er zufügen mußte. Und während er der Erhaltung einer politischen Stellung, die ihm in keiner Weise mehr eine Genugthuung sein konnte, die Opfer seines wirklich teilnehmenden Herzens, seines so hochgehaltenen Ruhmes brachte, unterließ er gleichwohl, das Seine aus dem Schiffbruch seines Protektors zu retten. Durch das ganze Großherzogtnm Frankfurt ging eine Stimmung, welche Unheil aHute und weissagte. Heinrich König, damals einer der bescheidensten Unterbeamten in der Verwaltung des Departements Fulda, hat in seinem Buche „Auch eine Jugend" (Leipzig, 1852) einige sehr inter¬ essante und bezeichnende Züge zur Charakteristik jeuer schwülen Tage mit¬ geteilt. Ganz richtig erkannte Dalbergs kluger Minister Albini, daß es im August 1813 höchste und letzte Zeit zu rettenden Verhandlungen mit den Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/87>, abgerufen am 27.07.2024.