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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus bon Tagen der Klassiker.

habcnen Protektor" zu verehren fortfuhr, daß die "Grundsätze des Reichs" einer
Vereinigung des Priestertums mit irgend einer weltlichen Souveränetät ent¬
gegenstünden, und betrachtete, wie er es mit allen seinen Bundesgenossen that,
die ihm nicht einen Jahrhunderte alten Besitz entgegenzustellen hatten, die Ge¬
biete Dalbergs als Teile des großen üiuxirci. Umsonst versuchten der Fürst-
Primas und seine Minister irgend ein festes Verhältnis zu begründen, Dalberg
demütigte sich soweit, daß er den Kardinal Fesch, den korsischen Oheim des
Kaisers, dem Deutschland ungefähr so fern lag wie der Mond, zu seinem Koad-
jutor ernannte. Die Ernennung selbst ward in Paris niemals anerkannt; der
kaum gegründete und durch Dalbergs Organisutionsstatut vom 18. Juli 1803
einigermaßen geordnete Staat wurde durch die sreie Stadt Frankfurt und die ohne
weiteres mediatisirten Lande des Fürsten von Löwenstein-Wertheim vergrößert
und wieder umgestaltet. Dafür strebte andrerseits Baiern nach dem Besitze von
Dalbergs Winterresidenz Regensburg, und das Gefühl der Unsicherheit von
einem Tage zum andern war im primatischen Staate stärker vorhanden und
weiter verbreitet, als irgendwo in demi damaligen zerrütteten Deutschland. Im Jahre
1809 ward zudem Regensburg von allen Schrecknissen des Krieges betroffen,
am 19. April von den Österreichern, am 23. April von den Franzosen erstürmt.
Dalberg fand abermals Gelegenheit, sein nie versiegendes Erbarmen mit den
Hilflosen und Bedrängten, den besten Grundzug seines Wesens, wieder zu be¬
thätigen. Kurze Zeit darauf hörte er auf, über Regensburg und sein Gebiet
zu regieren. Höchst bezeichnend für die Zustände der Zeit und die "Fürsten¬
würde" Dalbergs, an die er sich so eisern klammerte, verwandelte sich der Fürst-
Primas durch kaiserlich französisches Dekret vom 1. März 1810 in einen "Gro߬
herzog von Frankfurt," die letzte Phase seiner unerfreulichen politischen Ent¬
wicklung.

Das "Großherzogtnm Frankfurt," eine der Willkürschöpfungen, in denen
sich die napoleonische Staatskunst gefiel, ward in demselben Augenblicke errichtet,
wo der Imperator durch seine Vermählung mit der Erzherzogin Marie Louise
die Erbfolgehoffnungen, welche sein Stief- und Adoptivsvhn Eugen Beauharnais
wenigstens für das von ihm verwaltete Königreich Italien gehegt haben mochte,
gründlich zerstörte. Der Vizekönig von Italien ward infolge dessen zum Erbprinzen
des neugebackenen Staates ernannt, eines Staates, der sich wunderlich aus den ver¬
schiedensten Reichstrümmern zusammensetzte. Da war nach wie vor das Fürstentum
Aschaffenburg, der letzte Rest des Mainzer Erzstifts, da waren die Reichsstädte Wetz-
lar und das stolze Frankfurt, wo die reichsstädtische Gesinnung von vornherein die
Ehre, als großherzogliche Residenz zu dienen, für einen vorübergehenden Mummen¬
schanz erachtete. Da war das einstige Fürstbistnm Fulda, die uralte Abtei
des heiligen Bonifazius, das "Vuchenlcmd," das ein Jahrtausend unter der
Herrschaft des Krummstabes gestanden hatte, zwischen 1803 und 1306 mit
hastigem Eifer in ein weltliches Fürstentum des Prinzen von Oranien um-


Aus bon Tagen der Klassiker.

habcnen Protektor" zu verehren fortfuhr, daß die „Grundsätze des Reichs" einer
Vereinigung des Priestertums mit irgend einer weltlichen Souveränetät ent¬
gegenstünden, und betrachtete, wie er es mit allen seinen Bundesgenossen that,
die ihm nicht einen Jahrhunderte alten Besitz entgegenzustellen hatten, die Ge¬
biete Dalbergs als Teile des großen üiuxirci. Umsonst versuchten der Fürst-
Primas und seine Minister irgend ein festes Verhältnis zu begründen, Dalberg
demütigte sich soweit, daß er den Kardinal Fesch, den korsischen Oheim des
Kaisers, dem Deutschland ungefähr so fern lag wie der Mond, zu seinem Koad-
jutor ernannte. Die Ernennung selbst ward in Paris niemals anerkannt; der
kaum gegründete und durch Dalbergs Organisutionsstatut vom 18. Juli 1803
einigermaßen geordnete Staat wurde durch die sreie Stadt Frankfurt und die ohne
weiteres mediatisirten Lande des Fürsten von Löwenstein-Wertheim vergrößert
und wieder umgestaltet. Dafür strebte andrerseits Baiern nach dem Besitze von
Dalbergs Winterresidenz Regensburg, und das Gefühl der Unsicherheit von
einem Tage zum andern war im primatischen Staate stärker vorhanden und
weiter verbreitet, als irgendwo in demi damaligen zerrütteten Deutschland. Im Jahre
1809 ward zudem Regensburg von allen Schrecknissen des Krieges betroffen,
am 19. April von den Österreichern, am 23. April von den Franzosen erstürmt.
Dalberg fand abermals Gelegenheit, sein nie versiegendes Erbarmen mit den
Hilflosen und Bedrängten, den besten Grundzug seines Wesens, wieder zu be¬
thätigen. Kurze Zeit darauf hörte er auf, über Regensburg und sein Gebiet
zu regieren. Höchst bezeichnend für die Zustände der Zeit und die „Fürsten¬
würde" Dalbergs, an die er sich so eisern klammerte, verwandelte sich der Fürst-
Primas durch kaiserlich französisches Dekret vom 1. März 1810 in einen „Gro߬
herzog von Frankfurt," die letzte Phase seiner unerfreulichen politischen Ent¬
wicklung.

Das „Großherzogtnm Frankfurt," eine der Willkürschöpfungen, in denen
sich die napoleonische Staatskunst gefiel, ward in demselben Augenblicke errichtet,
wo der Imperator durch seine Vermählung mit der Erzherzogin Marie Louise
die Erbfolgehoffnungen, welche sein Stief- und Adoptivsvhn Eugen Beauharnais
wenigstens für das von ihm verwaltete Königreich Italien gehegt haben mochte,
gründlich zerstörte. Der Vizekönig von Italien ward infolge dessen zum Erbprinzen
des neugebackenen Staates ernannt, eines Staates, der sich wunderlich aus den ver¬
schiedensten Reichstrümmern zusammensetzte. Da war nach wie vor das Fürstentum
Aschaffenburg, der letzte Rest des Mainzer Erzstifts, da waren die Reichsstädte Wetz-
lar und das stolze Frankfurt, wo die reichsstädtische Gesinnung von vornherein die
Ehre, als großherzogliche Residenz zu dienen, für einen vorübergehenden Mummen¬
schanz erachtete. Da war das einstige Fürstbistnm Fulda, die uralte Abtei
des heiligen Bonifazius, das „Vuchenlcmd," das ein Jahrtausend unter der
Herrschaft des Krummstabes gestanden hatte, zwischen 1803 und 1306 mit
hastigem Eifer in ein weltliches Fürstentum des Prinzen von Oranien um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/86>, abgerufen am 27.07.2024.