Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Tagen der Klassiker.

büudeten sei. Dalberg aber war von einem förmlich fatalistischen Glauben an
den "Stern" Napoleons I. beseelt. Seinem Generaldomäncniuspcltor Leonhard
rief er auf ehrerbietige Vorstellungen im Sommer 1813 zu: "Auch Sie erliegen
dem Wahn, auch Sie sind der Meinung verfallen, es werde der Stern des
Ricsengeistes untergehen! Sein baldiger Sturz scheint Ihnen sogar gewiß. Ich
denke nicht so, ich nicht! Ich sage Ihnen nein! ich will nichts davon hören-
In meinem Glauben ans Schicksal bin ich fast -- ein Türke. Aller dieser vor¬
eiligen unnützen Sorgen wollen wir uns entschlagen!"

Nur zu bald rückten die Sorgen in dröhnender, waffenrasselnder Gestalt
unmittelbar heran. Und nun mit jenem jähen Umschlag, der in weichen Naturen
nicht selten ist, erkannte Dalberg mit einemmal die ganze Hoffnungslosigkeit
seiner Lage. Er verließ sein Großhcrzogtum Frankfurt am 30. September 1813,
um sich "zur Ausübung seiner bischöflichen Pflichten" nach Konstanz zu be¬
geben. Selbst in dieser äußersten Bedrängnis aber, in der ihm seine geistliche
Würde nach langen Jahren zum erstenmal wieder als rettende Zuflucht erschien,
versagte er sich einen letzten verhängnisvoll falschen Schritt nicht: er dankte als
Großherzog von Frankfurt -- zu Gunsten Eugen Beauharnais ab und erregte
damit noch einmal Erbitterung und tiefe Verstimmung bei allen Deutschgefinnten.
Mancherlei Unbilligkeit mochte in den bittern Urteilen, die damals und später
über Dalbergs ganze politische Existenz laut wurden, unterlaufen, in der Haupt¬
sache waren sie dennoch richtig! Selbst der milde, versöhnliche Wessenberg,
Dalbergs Generalvikar, mußte zugestehen: "Wohlmeinend, wie Dalberg war,
wollte er allen gerecht sein und ward es niemand, wollte alle befriedigen und
befriedigte niemand, weil er sich in Widersprüche verwickelte, die er nimmer zu
lösen vermochte."

Die verhängnisvollsten Folgen der bonapartistischen Schleppenträgers
Dalbergs machten sich auf dem Wiener Kongreß geltend, zu dem der nunmehrige
Erzbischof von Regensburg und Bischof von Konstanz, der sich noch immer als
Primas der katholischen deutschen Kirche ansehen konnte, den milden und klugen
Wessenberg als seinen Bevollmächtigten entsandte. Aber umsonst mühte sich
Wessenberg ab, eine feste Stellung der deutschen Kirche Rom gegeniiber zu
begründen, umsonst kämpfte er für eine Neuordnung der zerrütteten kirchlichen
Verhältnisse, welche spätern Tagen bis auf die unsern unselige und vergiftende
Kämpfe erspart haben würde. Die Gegenstrebenden, die Partei der Hypcr-
romantiker, welche unbedingte Gefolgschaft sür Rom wünschte und in Wien ihre
Mittelpunkte in den Häusern Friedrich Schlegels und Pilats vom "Österreichischen
Beobachter" hatte, bediente sich des politischen Verrufs Dalbergs mit großem
Geschick und Erfolg, um alle Pläne einer deutschen Kirche auf fester gesetzlicher
Grundlage zu vereiteln. In Becks "Wessenberg" finden sich zwar nur spärliche,
aber immerhin genügende Mitteilungen über die Erfahrungen, die Wessenberg
damals machen mußte und die wenigstens zu einem großen Teile auf das Miß-


Aus den Tagen der Klassiker.

büudeten sei. Dalberg aber war von einem förmlich fatalistischen Glauben an
den „Stern" Napoleons I. beseelt. Seinem Generaldomäncniuspcltor Leonhard
rief er auf ehrerbietige Vorstellungen im Sommer 1813 zu: „Auch Sie erliegen
dem Wahn, auch Sie sind der Meinung verfallen, es werde der Stern des
Ricsengeistes untergehen! Sein baldiger Sturz scheint Ihnen sogar gewiß. Ich
denke nicht so, ich nicht! Ich sage Ihnen nein! ich will nichts davon hören-
In meinem Glauben ans Schicksal bin ich fast — ein Türke. Aller dieser vor¬
eiligen unnützen Sorgen wollen wir uns entschlagen!"

Nur zu bald rückten die Sorgen in dröhnender, waffenrasselnder Gestalt
unmittelbar heran. Und nun mit jenem jähen Umschlag, der in weichen Naturen
nicht selten ist, erkannte Dalberg mit einemmal die ganze Hoffnungslosigkeit
seiner Lage. Er verließ sein Großhcrzogtum Frankfurt am 30. September 1813,
um sich „zur Ausübung seiner bischöflichen Pflichten" nach Konstanz zu be¬
geben. Selbst in dieser äußersten Bedrängnis aber, in der ihm seine geistliche
Würde nach langen Jahren zum erstenmal wieder als rettende Zuflucht erschien,
versagte er sich einen letzten verhängnisvoll falschen Schritt nicht: er dankte als
Großherzog von Frankfurt — zu Gunsten Eugen Beauharnais ab und erregte
damit noch einmal Erbitterung und tiefe Verstimmung bei allen Deutschgefinnten.
Mancherlei Unbilligkeit mochte in den bittern Urteilen, die damals und später
über Dalbergs ganze politische Existenz laut wurden, unterlaufen, in der Haupt¬
sache waren sie dennoch richtig! Selbst der milde, versöhnliche Wessenberg,
Dalbergs Generalvikar, mußte zugestehen: „Wohlmeinend, wie Dalberg war,
wollte er allen gerecht sein und ward es niemand, wollte alle befriedigen und
befriedigte niemand, weil er sich in Widersprüche verwickelte, die er nimmer zu
lösen vermochte."

Die verhängnisvollsten Folgen der bonapartistischen Schleppenträgers
Dalbergs machten sich auf dem Wiener Kongreß geltend, zu dem der nunmehrige
Erzbischof von Regensburg und Bischof von Konstanz, der sich noch immer als
Primas der katholischen deutschen Kirche ansehen konnte, den milden und klugen
Wessenberg als seinen Bevollmächtigten entsandte. Aber umsonst mühte sich
Wessenberg ab, eine feste Stellung der deutschen Kirche Rom gegeniiber zu
begründen, umsonst kämpfte er für eine Neuordnung der zerrütteten kirchlichen
Verhältnisse, welche spätern Tagen bis auf die unsern unselige und vergiftende
Kämpfe erspart haben würde. Die Gegenstrebenden, die Partei der Hypcr-
romantiker, welche unbedingte Gefolgschaft sür Rom wünschte und in Wien ihre
Mittelpunkte in den Häusern Friedrich Schlegels und Pilats vom „Österreichischen
Beobachter" hatte, bediente sich des politischen Verrufs Dalbergs mit großem
Geschick und Erfolg, um alle Pläne einer deutschen Kirche auf fester gesetzlicher
Grundlage zu vereiteln. In Becks „Wessenberg" finden sich zwar nur spärliche,
aber immerhin genügende Mitteilungen über die Erfahrungen, die Wessenberg
damals machen mußte und die wenigstens zu einem großen Teile auf das Miß-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154253"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Tagen der Klassiker.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_246" prev="#ID_245"> büudeten sei. Dalberg aber war von einem förmlich fatalistischen Glauben an<lb/>
den &#x201E;Stern" Napoleons I. beseelt. Seinem Generaldomäncniuspcltor Leonhard<lb/>
rief er auf ehrerbietige Vorstellungen im Sommer 1813 zu: &#x201E;Auch Sie erliegen<lb/>
dem Wahn, auch Sie sind der Meinung verfallen, es werde der Stern des<lb/>
Ricsengeistes untergehen! Sein baldiger Sturz scheint Ihnen sogar gewiß. Ich<lb/>
denke nicht so, ich nicht! Ich sage Ihnen nein! ich will nichts davon hören-<lb/>
In meinem Glauben ans Schicksal bin ich fast &#x2014; ein Türke. Aller dieser vor¬<lb/>
eiligen unnützen Sorgen wollen wir uns entschlagen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_247"> Nur zu bald rückten die Sorgen in dröhnender, waffenrasselnder Gestalt<lb/>
unmittelbar heran. Und nun mit jenem jähen Umschlag, der in weichen Naturen<lb/>
nicht selten ist, erkannte Dalberg mit einemmal die ganze Hoffnungslosigkeit<lb/>
seiner Lage. Er verließ sein Großhcrzogtum Frankfurt am 30. September 1813,<lb/>
um sich &#x201E;zur Ausübung seiner bischöflichen Pflichten" nach Konstanz zu be¬<lb/>
geben. Selbst in dieser äußersten Bedrängnis aber, in der ihm seine geistliche<lb/>
Würde nach langen Jahren zum erstenmal wieder als rettende Zuflucht erschien,<lb/>
versagte er sich einen letzten verhängnisvoll falschen Schritt nicht: er dankte als<lb/>
Großherzog von Frankfurt &#x2014; zu Gunsten Eugen Beauharnais ab und erregte<lb/>
damit noch einmal Erbitterung und tiefe Verstimmung bei allen Deutschgefinnten.<lb/>
Mancherlei Unbilligkeit mochte in den bittern Urteilen, die damals und später<lb/>
über Dalbergs ganze politische Existenz laut wurden, unterlaufen, in der Haupt¬<lb/>
sache waren sie dennoch richtig! Selbst der milde, versöhnliche Wessenberg,<lb/>
Dalbergs Generalvikar, mußte zugestehen: &#x201E;Wohlmeinend, wie Dalberg war,<lb/>
wollte er allen gerecht sein und ward es niemand, wollte alle befriedigen und<lb/>
befriedigte niemand, weil er sich in Widersprüche verwickelte, die er nimmer zu<lb/>
lösen vermochte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_248" next="#ID_249"> Die verhängnisvollsten Folgen der bonapartistischen Schleppenträgers<lb/>
Dalbergs machten sich auf dem Wiener Kongreß geltend, zu dem der nunmehrige<lb/>
Erzbischof von Regensburg und Bischof von Konstanz, der sich noch immer als<lb/>
Primas der katholischen deutschen Kirche ansehen konnte, den milden und klugen<lb/>
Wessenberg als seinen Bevollmächtigten entsandte. Aber umsonst mühte sich<lb/>
Wessenberg ab, eine feste Stellung der deutschen Kirche Rom gegeniiber zu<lb/>
begründen, umsonst kämpfte er für eine Neuordnung der zerrütteten kirchlichen<lb/>
Verhältnisse, welche spätern Tagen bis auf die unsern unselige und vergiftende<lb/>
Kämpfe erspart haben würde. Die Gegenstrebenden, die Partei der Hypcr-<lb/>
romantiker, welche unbedingte Gefolgschaft sür Rom wünschte und in Wien ihre<lb/>
Mittelpunkte in den Häusern Friedrich Schlegels und Pilats vom &#x201E;Österreichischen<lb/>
Beobachter" hatte, bediente sich des politischen Verrufs Dalbergs mit großem<lb/>
Geschick und Erfolg, um alle Pläne einer deutschen Kirche auf fester gesetzlicher<lb/>
Grundlage zu vereiteln. In Becks &#x201E;Wessenberg" finden sich zwar nur spärliche,<lb/>
aber immerhin genügende Mitteilungen über die Erfahrungen, die Wessenberg<lb/>
damals machen mußte und die wenigstens zu einem großen Teile auf das Miß-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] Aus den Tagen der Klassiker. büudeten sei. Dalberg aber war von einem förmlich fatalistischen Glauben an den „Stern" Napoleons I. beseelt. Seinem Generaldomäncniuspcltor Leonhard rief er auf ehrerbietige Vorstellungen im Sommer 1813 zu: „Auch Sie erliegen dem Wahn, auch Sie sind der Meinung verfallen, es werde der Stern des Ricsengeistes untergehen! Sein baldiger Sturz scheint Ihnen sogar gewiß. Ich denke nicht so, ich nicht! Ich sage Ihnen nein! ich will nichts davon hören- In meinem Glauben ans Schicksal bin ich fast — ein Türke. Aller dieser vor¬ eiligen unnützen Sorgen wollen wir uns entschlagen!" Nur zu bald rückten die Sorgen in dröhnender, waffenrasselnder Gestalt unmittelbar heran. Und nun mit jenem jähen Umschlag, der in weichen Naturen nicht selten ist, erkannte Dalberg mit einemmal die ganze Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Er verließ sein Großhcrzogtum Frankfurt am 30. September 1813, um sich „zur Ausübung seiner bischöflichen Pflichten" nach Konstanz zu be¬ geben. Selbst in dieser äußersten Bedrängnis aber, in der ihm seine geistliche Würde nach langen Jahren zum erstenmal wieder als rettende Zuflucht erschien, versagte er sich einen letzten verhängnisvoll falschen Schritt nicht: er dankte als Großherzog von Frankfurt — zu Gunsten Eugen Beauharnais ab und erregte damit noch einmal Erbitterung und tiefe Verstimmung bei allen Deutschgefinnten. Mancherlei Unbilligkeit mochte in den bittern Urteilen, die damals und später über Dalbergs ganze politische Existenz laut wurden, unterlaufen, in der Haupt¬ sache waren sie dennoch richtig! Selbst der milde, versöhnliche Wessenberg, Dalbergs Generalvikar, mußte zugestehen: „Wohlmeinend, wie Dalberg war, wollte er allen gerecht sein und ward es niemand, wollte alle befriedigen und befriedigte niemand, weil er sich in Widersprüche verwickelte, die er nimmer zu lösen vermochte." Die verhängnisvollsten Folgen der bonapartistischen Schleppenträgers Dalbergs machten sich auf dem Wiener Kongreß geltend, zu dem der nunmehrige Erzbischof von Regensburg und Bischof von Konstanz, der sich noch immer als Primas der katholischen deutschen Kirche ansehen konnte, den milden und klugen Wessenberg als seinen Bevollmächtigten entsandte. Aber umsonst mühte sich Wessenberg ab, eine feste Stellung der deutschen Kirche Rom gegeniiber zu begründen, umsonst kämpfte er für eine Neuordnung der zerrütteten kirchlichen Verhältnisse, welche spätern Tagen bis auf die unsern unselige und vergiftende Kämpfe erspart haben würde. Die Gegenstrebenden, die Partei der Hypcr- romantiker, welche unbedingte Gefolgschaft sür Rom wünschte und in Wien ihre Mittelpunkte in den Häusern Friedrich Schlegels und Pilats vom „Österreichischen Beobachter" hatte, bediente sich des politischen Verrufs Dalbergs mit großem Geschick und Erfolg, um alle Pläne einer deutschen Kirche auf fester gesetzlicher Grundlage zu vereiteln. In Becks „Wessenberg" finden sich zwar nur spärliche, aber immerhin genügende Mitteilungen über die Erfahrungen, die Wessenberg damals machen mußte und die wenigstens zu einem großen Teile auf das Miß-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/88>, abgerufen am 27.07.2024.