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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker,

gleichsam der Fortbestand Deutschlands gewährleistet sei. So allein konnte es
geschehen, daß sich Dalberg willen- und widerstandslos in die wirren Verän¬
derungen und Umwälzungen des napoleonischen Jahrzehnts hineinreißen ließ.
Es läßt sich nicht ermessen, wieviel persönliches schweres Leid der Fürst-Primas
des neuen über Nacht in Paris diktirten "Rheinbundes" seit 1806 innerlich
durchlebte, wie lauge trotz der herrisch despotischen Forme", in denen Napoleon I.
gerade mit Dalberg verkehrte, die fascinirende Wirkung der Persönlichkeit des
Imperators und das Vertrauen auf die Weisheit und Gerechtigkeit des "Pro¬
tektors" in Wahrheit vorhielten, es bleibt gewiß, daß Dalberg bet sich selbst
die Fiktion einer wirklich bestehenden "rheinischen Bundesverfassung," eiuer innern
Notwendigkeit seiner seltsamen, durch und durch ungesund gewordenen politischen
Existenz zu erhalten suchte. Als er im Herbst 1808 zu dem großen Mvnarchen-
kongreß in Erfurt anwesend war, drängten sich die Einwohner der Stadt an
ihren ehemaligen unvergessenen Statthalter mit vielen Liebesbeweisen heran.
Das rein menschliche Wohlwollen, das Dalberg auch in seiner neuen, inzwischen
geradezu trostlos gewordenen Stellung bewährte -- das einzige, was er be¬
währen konnte --, hatte in Erfurt eine halb freudige, halb wehmütige Er¬
innerung hinterlassen. Zugleich huldigte man ihm und schämte sich sür ihn.
Dem Fürsten-Primas aber mußte bei dieser Gelegenheit unwillkürlich die bittere
Wahrheit vor die Seele treten, daß nicht eines seiner einstigen politischen Ideale
erfüllt, nicht einer seiner Träume von einer großen und gesegneten Wirksamkeit
verwirklicht worden sei.

Was wollte es unter solchen Umständen bedeuten, daß Dalberg fortfuhr,
ein lebendiges Interesse an dem Gedeihen der deutschen Literatur zu nehmen,
daß er in Schillers letzten Lebensjahren durch ansehnliche Geschenke bei jedem
neuen Werke, welches ihm der Dichter sandte, die frühern Pensionsversprechungen
wenigstens zum Teil einlöste, daß er späterhin Zacharias Werner, den er
als ein Vermächtnis Schillers betrachten mochte, und Jean Paul durch Jahr¬
gehalte vor der gemeinen Not des Lebens sicherzustellen suchte? Drückte doch
seine politisch zweideutige Stellung schon 1804 in dem Maße auf ihn, daß er
die kostbare Widmung von Schillers Tell nicht anzunehmen wagte. Reinen
Genuß konnte er in seinen persönlichen Umständen auch dem Besten, was die
deutsche Dichtung noch darzubieten hatte, uicht abgewinnen, obschon er gelegent¬
lich die Miene annahm, als seien die Blüte der französischen Fremdherrschaft
und die Blüte der deutschen Literatur ganz vereinbare Dinge.

Es war eine unselige, verworrene, entsetzliche Zeit, durch welche Deutsch¬
land damals hindurchging. Aber eine unglücklichere und haltlosere Rolle, als
sie Karl von Dalberg auferlegt war, spielte niemand. Selbst wenn er den
Egoismus besessen hätte, nur an sich und das kleine Land zu denken, das er
regierte und in dem er mancherlei Gutes zu schaffen versuchte, dürfte er auch
nur das Land als sein ansehen? Offen verkündete Napoleon, den er als "er-


Aus den Tagen der Klassiker,

gleichsam der Fortbestand Deutschlands gewährleistet sei. So allein konnte es
geschehen, daß sich Dalberg willen- und widerstandslos in die wirren Verän¬
derungen und Umwälzungen des napoleonischen Jahrzehnts hineinreißen ließ.
Es läßt sich nicht ermessen, wieviel persönliches schweres Leid der Fürst-Primas
des neuen über Nacht in Paris diktirten „Rheinbundes" seit 1806 innerlich
durchlebte, wie lauge trotz der herrisch despotischen Forme», in denen Napoleon I.
gerade mit Dalberg verkehrte, die fascinirende Wirkung der Persönlichkeit des
Imperators und das Vertrauen auf die Weisheit und Gerechtigkeit des „Pro¬
tektors" in Wahrheit vorhielten, es bleibt gewiß, daß Dalberg bet sich selbst
die Fiktion einer wirklich bestehenden „rheinischen Bundesverfassung," eiuer innern
Notwendigkeit seiner seltsamen, durch und durch ungesund gewordenen politischen
Existenz zu erhalten suchte. Als er im Herbst 1808 zu dem großen Mvnarchen-
kongreß in Erfurt anwesend war, drängten sich die Einwohner der Stadt an
ihren ehemaligen unvergessenen Statthalter mit vielen Liebesbeweisen heran.
Das rein menschliche Wohlwollen, das Dalberg auch in seiner neuen, inzwischen
geradezu trostlos gewordenen Stellung bewährte — das einzige, was er be¬
währen konnte —, hatte in Erfurt eine halb freudige, halb wehmütige Er¬
innerung hinterlassen. Zugleich huldigte man ihm und schämte sich sür ihn.
Dem Fürsten-Primas aber mußte bei dieser Gelegenheit unwillkürlich die bittere
Wahrheit vor die Seele treten, daß nicht eines seiner einstigen politischen Ideale
erfüllt, nicht einer seiner Träume von einer großen und gesegneten Wirksamkeit
verwirklicht worden sei.

Was wollte es unter solchen Umständen bedeuten, daß Dalberg fortfuhr,
ein lebendiges Interesse an dem Gedeihen der deutschen Literatur zu nehmen,
daß er in Schillers letzten Lebensjahren durch ansehnliche Geschenke bei jedem
neuen Werke, welches ihm der Dichter sandte, die frühern Pensionsversprechungen
wenigstens zum Teil einlöste, daß er späterhin Zacharias Werner, den er
als ein Vermächtnis Schillers betrachten mochte, und Jean Paul durch Jahr¬
gehalte vor der gemeinen Not des Lebens sicherzustellen suchte? Drückte doch
seine politisch zweideutige Stellung schon 1804 in dem Maße auf ihn, daß er
die kostbare Widmung von Schillers Tell nicht anzunehmen wagte. Reinen
Genuß konnte er in seinen persönlichen Umständen auch dem Besten, was die
deutsche Dichtung noch darzubieten hatte, uicht abgewinnen, obschon er gelegent¬
lich die Miene annahm, als seien die Blüte der französischen Fremdherrschaft
und die Blüte der deutschen Literatur ganz vereinbare Dinge.

Es war eine unselige, verworrene, entsetzliche Zeit, durch welche Deutsch¬
land damals hindurchging. Aber eine unglücklichere und haltlosere Rolle, als
sie Karl von Dalberg auferlegt war, spielte niemand. Selbst wenn er den
Egoismus besessen hätte, nur an sich und das kleine Land zu denken, das er
regierte und in dem er mancherlei Gutes zu schaffen versuchte, dürfte er auch
nur das Land als sein ansehen? Offen verkündete Napoleon, den er als „er-


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[0085] Aus den Tagen der Klassiker, gleichsam der Fortbestand Deutschlands gewährleistet sei. So allein konnte es geschehen, daß sich Dalberg willen- und widerstandslos in die wirren Verän¬ derungen und Umwälzungen des napoleonischen Jahrzehnts hineinreißen ließ. Es läßt sich nicht ermessen, wieviel persönliches schweres Leid der Fürst-Primas des neuen über Nacht in Paris diktirten „Rheinbundes" seit 1806 innerlich durchlebte, wie lauge trotz der herrisch despotischen Forme», in denen Napoleon I. gerade mit Dalberg verkehrte, die fascinirende Wirkung der Persönlichkeit des Imperators und das Vertrauen auf die Weisheit und Gerechtigkeit des „Pro¬ tektors" in Wahrheit vorhielten, es bleibt gewiß, daß Dalberg bet sich selbst die Fiktion einer wirklich bestehenden „rheinischen Bundesverfassung," eiuer innern Notwendigkeit seiner seltsamen, durch und durch ungesund gewordenen politischen Existenz zu erhalten suchte. Als er im Herbst 1808 zu dem großen Mvnarchen- kongreß in Erfurt anwesend war, drängten sich die Einwohner der Stadt an ihren ehemaligen unvergessenen Statthalter mit vielen Liebesbeweisen heran. Das rein menschliche Wohlwollen, das Dalberg auch in seiner neuen, inzwischen geradezu trostlos gewordenen Stellung bewährte — das einzige, was er be¬ währen konnte —, hatte in Erfurt eine halb freudige, halb wehmütige Er¬ innerung hinterlassen. Zugleich huldigte man ihm und schämte sich sür ihn. Dem Fürsten-Primas aber mußte bei dieser Gelegenheit unwillkürlich die bittere Wahrheit vor die Seele treten, daß nicht eines seiner einstigen politischen Ideale erfüllt, nicht einer seiner Träume von einer großen und gesegneten Wirksamkeit verwirklicht worden sei. Was wollte es unter solchen Umständen bedeuten, daß Dalberg fortfuhr, ein lebendiges Interesse an dem Gedeihen der deutschen Literatur zu nehmen, daß er in Schillers letzten Lebensjahren durch ansehnliche Geschenke bei jedem neuen Werke, welches ihm der Dichter sandte, die frühern Pensionsversprechungen wenigstens zum Teil einlöste, daß er späterhin Zacharias Werner, den er als ein Vermächtnis Schillers betrachten mochte, und Jean Paul durch Jahr¬ gehalte vor der gemeinen Not des Lebens sicherzustellen suchte? Drückte doch seine politisch zweideutige Stellung schon 1804 in dem Maße auf ihn, daß er die kostbare Widmung von Schillers Tell nicht anzunehmen wagte. Reinen Genuß konnte er in seinen persönlichen Umständen auch dem Besten, was die deutsche Dichtung noch darzubieten hatte, uicht abgewinnen, obschon er gelegent¬ lich die Miene annahm, als seien die Blüte der französischen Fremdherrschaft und die Blüte der deutschen Literatur ganz vereinbare Dinge. Es war eine unselige, verworrene, entsetzliche Zeit, durch welche Deutsch¬ land damals hindurchging. Aber eine unglücklichere und haltlosere Rolle, als sie Karl von Dalberg auferlegt war, spielte niemand. Selbst wenn er den Egoismus besessen hätte, nur an sich und das kleine Land zu denken, das er regierte und in dem er mancherlei Gutes zu schaffen versuchte, dürfte er auch nur das Land als sein ansehen? Offen verkündete Napoleon, den er als „er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/85>, abgerufen am 27.07.2024.