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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker,

zuhalten, und nahezu jeder suchte an sich zu raffen, was ihm zunächst unter
der Hand war. Nur die kleinern norddeutschen Staaten und alten Dynastien
mit altständischen Verfassungen hielten sich von dem allgemeinen Wettlauf um
die Beute aus dem großen Zusammensturz fern. Die sämtliche" geistlichen
Staaten, die Reichsstädte wurden zur reichlich bemessenen "Entschädigung" aller
jener weltlichen Fürsten, die auf dem linken Rheinufer Gebiete verloren hatten,
säkularisirt. Über hundert geistliche Staaten und kleine Gebiete, Erzbistümer,
Bistümer, gefürstete Abteien und Probsteien, dazu 720 Domherrnpfründen ver¬
schwanden auf einmal, Dnlberg aber, welcher fünfzehn Jahre hindurch Koad-
jutor von Mainz gewesen war, bestieg den "Thron" des alten Kurstaatcs in
demselben Jahre 1802, in welchem durch den Frieden von Luneville bereits der
Untergang der geistlichen Staaten im Prinzip entschieden und die Reichsdeputation
sür Entschädigungen nahezu bei ihrem berühmten Hanptschluß angelangt war.
Als das Unwetter heraufzog, hatte Dalberg noch mannhaft und vollkommen
uneigennützig den Grundsatz verfochten, daß keiner auf Kosten des andern zu
entschädigen sei und jeder sein Schicksal tragen müsse. Und das in dem Augen-
blick, wo ihm das goldne Mainz, seine künftige Hauptstadt, der Rheingau, die
linksrheinischen Teile des Mainzer Knrstaates und das Bistum Worms schon
verloren gegangen waren! Wäre der Koadjutor und neue Kurfürst in den all¬
gemeinen Umsturz hinein gerissen worden -- er würde sich gefaßt und gefügt
haben, wie es viele der besten seiner Genossen gemußt und gethan hatten.

Ans der völligen Zerstörung tauchte jedoch Dalbergs Fürstentum wieder
auf. Man meinte des Erzkcmzleramtes nicht entraten zu können, man ließ
Dalberg seine Residenz Aschaffenburg und das zu ihr gehörige Gebiet, man
entschädigte ihn für Erfurt und Eichsfeld mit Regensburg und Wetzlar. In
einer bedenklichen und verhängnisvollen Ausnahmestellung, als der einzige geist¬
liche Kurfürst, beinahe als der einzige geistliche Fürst überhaupt, sah sich Dal¬
berg aus dem ungeheuern Schiffbruch gerettet. Nach allem, was wir von dieser
Natur wissen, konnte die isolirte Bedeutung, die ihr plötzlich gegeben wurde,
uicht anders als verwirrend auf sie wirken. Der neue Kurerzkauzler eines deutschen
Reiches, das schon nur noch dem Namen nach existirte, besaß nicht die Schärfe
des Blickes, um zu erkennen, daß das allgemeine Wohlwollen, welches man von
bessern Zeiten her gerade seiner Person entgegenbrachte, eine Reihe von Zu¬
fällen und Intriguen und endlich der scharfe Instinkt eines unbarmherzigen
Politikers, wie der erste Konsul und nachmalige Kaiser der Franzosen war,
welcher in Dalberg ein brauchbares Werkzeug für seine Pläne witterte, denk¬
würdig und unselig zusammengewirkt hatten, ihm seinen Fürstcnrcing zu erhalten.
Dalberg glaubte in seiner Person und Würde die große Tradition des alten
Reiches, die besondre Stellung der Kirche, die bewährte Weisheit und den na¬
tionalen Gedanken geehrt, als deren Träger er sich naiv eitel betrachtete. Er
kam zu dem verhängnisvollen Irrtum, daß mit dem Fortbestande seines Staates


Aus den Tagen der Klassiker,

zuhalten, und nahezu jeder suchte an sich zu raffen, was ihm zunächst unter
der Hand war. Nur die kleinern norddeutschen Staaten und alten Dynastien
mit altständischen Verfassungen hielten sich von dem allgemeinen Wettlauf um
die Beute aus dem großen Zusammensturz fern. Die sämtliche« geistlichen
Staaten, die Reichsstädte wurden zur reichlich bemessenen „Entschädigung" aller
jener weltlichen Fürsten, die auf dem linken Rheinufer Gebiete verloren hatten,
säkularisirt. Über hundert geistliche Staaten und kleine Gebiete, Erzbistümer,
Bistümer, gefürstete Abteien und Probsteien, dazu 720 Domherrnpfründen ver¬
schwanden auf einmal, Dnlberg aber, welcher fünfzehn Jahre hindurch Koad-
jutor von Mainz gewesen war, bestieg den „Thron" des alten Kurstaatcs in
demselben Jahre 1802, in welchem durch den Frieden von Luneville bereits der
Untergang der geistlichen Staaten im Prinzip entschieden und die Reichsdeputation
sür Entschädigungen nahezu bei ihrem berühmten Hanptschluß angelangt war.
Als das Unwetter heraufzog, hatte Dalberg noch mannhaft und vollkommen
uneigennützig den Grundsatz verfochten, daß keiner auf Kosten des andern zu
entschädigen sei und jeder sein Schicksal tragen müsse. Und das in dem Augen-
blick, wo ihm das goldne Mainz, seine künftige Hauptstadt, der Rheingau, die
linksrheinischen Teile des Mainzer Knrstaates und das Bistum Worms schon
verloren gegangen waren! Wäre der Koadjutor und neue Kurfürst in den all¬
gemeinen Umsturz hinein gerissen worden — er würde sich gefaßt und gefügt
haben, wie es viele der besten seiner Genossen gemußt und gethan hatten.

Ans der völligen Zerstörung tauchte jedoch Dalbergs Fürstentum wieder
auf. Man meinte des Erzkcmzleramtes nicht entraten zu können, man ließ
Dalberg seine Residenz Aschaffenburg und das zu ihr gehörige Gebiet, man
entschädigte ihn für Erfurt und Eichsfeld mit Regensburg und Wetzlar. In
einer bedenklichen und verhängnisvollen Ausnahmestellung, als der einzige geist¬
liche Kurfürst, beinahe als der einzige geistliche Fürst überhaupt, sah sich Dal¬
berg aus dem ungeheuern Schiffbruch gerettet. Nach allem, was wir von dieser
Natur wissen, konnte die isolirte Bedeutung, die ihr plötzlich gegeben wurde,
uicht anders als verwirrend auf sie wirken. Der neue Kurerzkauzler eines deutschen
Reiches, das schon nur noch dem Namen nach existirte, besaß nicht die Schärfe
des Blickes, um zu erkennen, daß das allgemeine Wohlwollen, welches man von
bessern Zeiten her gerade seiner Person entgegenbrachte, eine Reihe von Zu¬
fällen und Intriguen und endlich der scharfe Instinkt eines unbarmherzigen
Politikers, wie der erste Konsul und nachmalige Kaiser der Franzosen war,
welcher in Dalberg ein brauchbares Werkzeug für seine Pläne witterte, denk¬
würdig und unselig zusammengewirkt hatten, ihm seinen Fürstcnrcing zu erhalten.
Dalberg glaubte in seiner Person und Würde die große Tradition des alten
Reiches, die besondre Stellung der Kirche, die bewährte Weisheit und den na¬
tionalen Gedanken geehrt, als deren Träger er sich naiv eitel betrachtete. Er
kam zu dem verhängnisvollen Irrtum, daß mit dem Fortbestande seines Staates


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/84>, abgerufen am 27.07.2024.