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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker.

Wandlungen, in die er verstrickt war, Dialoge "Von dein Einfluß der schönen
Künste auf das öffentliche Glück" drucken ließ, über die Wege und Mittel haben,
durch welche man diesen Einfluß fördern könne. Und doch wie dürftig
nehmen sich alle Früchte seines Denkens aus und wie knabenhaft klingen die
hohlen Sentenzen des mehrerwähnten Aufsatzes: "Der Kuustschüler soll den
harmonischen Dreiklang des sinnlich Schönen, geistig Angenehmen und sittlich
Rührender zu vereinigen wissen, und alles vermeiden, was mit Recht mißfallen
könnte. In Kunstschulen lernt der Schüler die Kunst, dem innern Guten und
Wahren die Außenseite des Schönen zu geben. Durch gute Kunstschulen können
die schönen Künste im Staate verbreitet und erhalten werden. Gute Regenten,
Väter des Vaterlandes, wollt ihr in euern Staaten Wahrheit, Schönheit und
Tugend vereinigen? wollt ihr auf dauerhafte Weise die schönen Künste, diese
Blüten der Menschheit, erhalten: so errichtet gute Kunstschulen!" Wem fällt
bei solchen Gemeinplätzen nicht der Politiker Karl Nathcmael aus Immermanns
"Münchhausen" ein, welcher nach langem Nachdenken den Satz gefunden hat:
"Die Staaten teilen sich in Monarchien, Aristokratien und Demokratien." Wer
aber kann sich der Einsicht verschließen, daß gerade diese ästhetische Trivialität
Dalbergs und die gleichzeitige Unfähigkeit des Mannes, reale Verhältnisse zu
erkennen und zu besiegen, in einem innern und ursächlichen Zusammenhang stehen
und auf einen gemeinsamen Ursprung zurückweisen?

Kein Zweifel kann nach allem, was wir wissen, darüber obwalten, daß
Dalberg in friedlichen Zeiten ein vortrefflicher Regent seiner geistlichen Staaten
geworden wäre und Gelegenheit gefunden haben würde, in der Hauptsache nur
seine guten und rühmlichen Eigenschaften zu entfalten. Neben aller milden
Menschenfreundlichkeit und gesellschaftlichen Urbanität besaß er einen leidlich
klaren Blick, nicht für große politische Verhältnisse, aber für die nächstliegenden
Verwaltungsgeschäfte, und bethätigte denselben schon, als er, während seiner
Statthalterschaft zu Erfurt, in den neunziger Jahren mehrfach nach dem Fürst¬
bistum Konstanz gerufen ward (dessen Koadjutor er gleichfalls war), um die
Verhältnisse des bedrängten, schuldenbcladnen Ländchens zu ordnen. Die Art,
wie er dies angriff, und manche seiner spätern Organisationen beweisen hin¬
länglich, daß die Staaten, deren Fürst er werden sollte, bei Fortdauer der alt¬
hergebrachten Ordnung nicht übel gefahren wären. Denn der dilettirende poli¬
tische Ehrgeiz hätte in den alten Reichsverhältnissen und den Traditionen von
Konstanz oder Worms kaum Nahrung gefunden, und selbst das Kurfürstentum
Mainz hätte ihn in Zeiten, wie die seiner Statthalterschaft zu Erfurt waren,
schwerlich zu Abenteuern verführt. Dem Koadjutor sollte es inzwischen nicht
so gut werden. Es kam das verhängnisvolle Jahrzehnt zwischen 1790 und
1800, die Wirkung der französischen Revolution, die unglücklich geführten Kriege
gegen das neue Frankreich, der Verlust des linken Rheinufers. Der Bau des
heiligen Reiches krachte in allen Fugen, die Zerstörung war nicht länger auf-


Grenzboten IV. 1333. 10
Aus den Tagen der Klassiker.

Wandlungen, in die er verstrickt war, Dialoge „Von dein Einfluß der schönen
Künste auf das öffentliche Glück" drucken ließ, über die Wege und Mittel haben,
durch welche man diesen Einfluß fördern könne. Und doch wie dürftig
nehmen sich alle Früchte seines Denkens aus und wie knabenhaft klingen die
hohlen Sentenzen des mehrerwähnten Aufsatzes: „Der Kuustschüler soll den
harmonischen Dreiklang des sinnlich Schönen, geistig Angenehmen und sittlich
Rührender zu vereinigen wissen, und alles vermeiden, was mit Recht mißfallen
könnte. In Kunstschulen lernt der Schüler die Kunst, dem innern Guten und
Wahren die Außenseite des Schönen zu geben. Durch gute Kunstschulen können
die schönen Künste im Staate verbreitet und erhalten werden. Gute Regenten,
Väter des Vaterlandes, wollt ihr in euern Staaten Wahrheit, Schönheit und
Tugend vereinigen? wollt ihr auf dauerhafte Weise die schönen Künste, diese
Blüten der Menschheit, erhalten: so errichtet gute Kunstschulen!" Wem fällt
bei solchen Gemeinplätzen nicht der Politiker Karl Nathcmael aus Immermanns
„Münchhausen" ein, welcher nach langem Nachdenken den Satz gefunden hat:
„Die Staaten teilen sich in Monarchien, Aristokratien und Demokratien." Wer
aber kann sich der Einsicht verschließen, daß gerade diese ästhetische Trivialität
Dalbergs und die gleichzeitige Unfähigkeit des Mannes, reale Verhältnisse zu
erkennen und zu besiegen, in einem innern und ursächlichen Zusammenhang stehen
und auf einen gemeinsamen Ursprung zurückweisen?

Kein Zweifel kann nach allem, was wir wissen, darüber obwalten, daß
Dalberg in friedlichen Zeiten ein vortrefflicher Regent seiner geistlichen Staaten
geworden wäre und Gelegenheit gefunden haben würde, in der Hauptsache nur
seine guten und rühmlichen Eigenschaften zu entfalten. Neben aller milden
Menschenfreundlichkeit und gesellschaftlichen Urbanität besaß er einen leidlich
klaren Blick, nicht für große politische Verhältnisse, aber für die nächstliegenden
Verwaltungsgeschäfte, und bethätigte denselben schon, als er, während seiner
Statthalterschaft zu Erfurt, in den neunziger Jahren mehrfach nach dem Fürst¬
bistum Konstanz gerufen ward (dessen Koadjutor er gleichfalls war), um die
Verhältnisse des bedrängten, schuldenbcladnen Ländchens zu ordnen. Die Art,
wie er dies angriff, und manche seiner spätern Organisationen beweisen hin¬
länglich, daß die Staaten, deren Fürst er werden sollte, bei Fortdauer der alt¬
hergebrachten Ordnung nicht übel gefahren wären. Denn der dilettirende poli¬
tische Ehrgeiz hätte in den alten Reichsverhältnissen und den Traditionen von
Konstanz oder Worms kaum Nahrung gefunden, und selbst das Kurfürstentum
Mainz hätte ihn in Zeiten, wie die seiner Statthalterschaft zu Erfurt waren,
schwerlich zu Abenteuern verführt. Dem Koadjutor sollte es inzwischen nicht
so gut werden. Es kam das verhängnisvolle Jahrzehnt zwischen 1790 und
1800, die Wirkung der französischen Revolution, die unglücklich geführten Kriege
gegen das neue Frankreich, der Verlust des linken Rheinufers. Der Bau des
heiligen Reiches krachte in allen Fugen, die Zerstörung war nicht länger auf-


Grenzboten IV. 1333. 10
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[0083] Aus den Tagen der Klassiker. Wandlungen, in die er verstrickt war, Dialoge „Von dein Einfluß der schönen Künste auf das öffentliche Glück" drucken ließ, über die Wege und Mittel haben, durch welche man diesen Einfluß fördern könne. Und doch wie dürftig nehmen sich alle Früchte seines Denkens aus und wie knabenhaft klingen die hohlen Sentenzen des mehrerwähnten Aufsatzes: „Der Kuustschüler soll den harmonischen Dreiklang des sinnlich Schönen, geistig Angenehmen und sittlich Rührender zu vereinigen wissen, und alles vermeiden, was mit Recht mißfallen könnte. In Kunstschulen lernt der Schüler die Kunst, dem innern Guten und Wahren die Außenseite des Schönen zu geben. Durch gute Kunstschulen können die schönen Künste im Staate verbreitet und erhalten werden. Gute Regenten, Väter des Vaterlandes, wollt ihr in euern Staaten Wahrheit, Schönheit und Tugend vereinigen? wollt ihr auf dauerhafte Weise die schönen Künste, diese Blüten der Menschheit, erhalten: so errichtet gute Kunstschulen!" Wem fällt bei solchen Gemeinplätzen nicht der Politiker Karl Nathcmael aus Immermanns „Münchhausen" ein, welcher nach langem Nachdenken den Satz gefunden hat: „Die Staaten teilen sich in Monarchien, Aristokratien und Demokratien." Wer aber kann sich der Einsicht verschließen, daß gerade diese ästhetische Trivialität Dalbergs und die gleichzeitige Unfähigkeit des Mannes, reale Verhältnisse zu erkennen und zu besiegen, in einem innern und ursächlichen Zusammenhang stehen und auf einen gemeinsamen Ursprung zurückweisen? Kein Zweifel kann nach allem, was wir wissen, darüber obwalten, daß Dalberg in friedlichen Zeiten ein vortrefflicher Regent seiner geistlichen Staaten geworden wäre und Gelegenheit gefunden haben würde, in der Hauptsache nur seine guten und rühmlichen Eigenschaften zu entfalten. Neben aller milden Menschenfreundlichkeit und gesellschaftlichen Urbanität besaß er einen leidlich klaren Blick, nicht für große politische Verhältnisse, aber für die nächstliegenden Verwaltungsgeschäfte, und bethätigte denselben schon, als er, während seiner Statthalterschaft zu Erfurt, in den neunziger Jahren mehrfach nach dem Fürst¬ bistum Konstanz gerufen ward (dessen Koadjutor er gleichfalls war), um die Verhältnisse des bedrängten, schuldenbcladnen Ländchens zu ordnen. Die Art, wie er dies angriff, und manche seiner spätern Organisationen beweisen hin¬ länglich, daß die Staaten, deren Fürst er werden sollte, bei Fortdauer der alt¬ hergebrachten Ordnung nicht übel gefahren wären. Denn der dilettirende poli¬ tische Ehrgeiz hätte in den alten Reichsverhältnissen und den Traditionen von Konstanz oder Worms kaum Nahrung gefunden, und selbst das Kurfürstentum Mainz hätte ihn in Zeiten, wie die seiner Statthalterschaft zu Erfurt waren, schwerlich zu Abenteuern verführt. Dem Koadjutor sollte es inzwischen nicht so gut werden. Es kam das verhängnisvolle Jahrzehnt zwischen 1790 und 1800, die Wirkung der französischen Revolution, die unglücklich geführten Kriege gegen das neue Frankreich, der Verlust des linken Rheinufers. Der Bau des heiligen Reiches krachte in allen Fugen, die Zerstörung war nicht länger auf- Grenzboten IV. 1333. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/83>, abgerufen am 27.07.2024.