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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker.

eine andre Richtung zu geben." Noch deutlichern Einblick in die bedenklichsten
Tiefen dieser schönen Seele verrät Körner, der bereits am 9. März 1790 bei
Gelegenheit der Mainzer Pläne und Hoffnungen Schillers schrieb: "Rechne
auch du nicht zu viel auf diesen Mann. Der Antritt der Regierung ist ein
gefährlicher Zeitpunkt und doppelt für eine gewisse poetische Denkart. Alle
Schwierigkeiten scheinen unbedeutend, weil man sich nie die Mühe nahm, sie zu
untersuche". Listige Geschäftspedanten wissen alsdann bald tausend Steine des
Anstoßes in den Weg zu legen. Man erschrickt über die Schreckbilder, die von
allen Seiten emporsteigen und von denen man nie geträumt hatte. Dann ist
es leicht, auf zwei Abwege zu geraten: Neronischen Trotz oder träge Resignation,
die sich für höhere Kultur ansieht." Wer könnte angesichts dieser Worte und
der spätern Entwicklung Dalbergs dem wackern Dresdner Appellationsrat einen
gewissen prophetischen Blick absprechen?

Gelegentlich ist nun versucht worden, die Schuld dieses innern Mangels
auf die weltbürgerliche Bildung und den ausschließlich ästhetischen Sinn unsrer
klassischen Periode zu wälzen. Die Geschichte der nachfolgenden Zeit und das
Leben und Wirken von Hunderten von Männern, welche mit derselben Bildung
genährt waren wie Dalberg, beweist, daß mindestens die Konsequenzen der an¬
geklagten Bildung sehr verschieden waren. Es ist aber schon angedeutet worden,
daß es sich in Wahrheit gerade umgekehrt verhielt. Dalberg vermochte seinen
Neigungen und Lebensgewohnheiten, einer frühgencihrtcn und geradezu verhängnis¬
vollen Eitelkeit zufolge, den besten Teil des Geistes und der Bildung unsrer
klassischen Periode eben nicht in sich aufzunehmen. Von Kant, von Herder
wie von Schiller empfing er Anregungen, aber nicht den vollen und vertiefenden
Eindruck, der von diesen mächtigen Naturen auf tausend mindcrmcichtige aus¬
gegangen ist. Auch im Ästhetischen blieb er ein Dilettant, auch im "Schwelgen"
entfaltete er nicht die Kraft, welche beispielsweise Ardinghello-Heinse auszeichnete.
Wir müssen noch einmal an die Mitarbeit bei Schillers "Hören" und den un¬
endlich elenden Aufsatz "über Kunstschulen" erinnern. Man muß sich vergegen¬
wärtigen, daß, wenn Dalberg über irgend etwas klar nachgedacht hatte und
irgend einer Frage mit mehr als flüchtigem, abspringenden Interesse gefolgt
war, dies das Verhältnis der Kunst zum öffentlichen Leben, zum Staate sein
mußte. Daß er in Erfurt während seiner Statthalterschaft nicht eben viel für
die günstige Gestaltung dieses Verhältnisses hatte thun können, darf ihm kaum
zum Vorwurf gemacht werden. Seine Macht war beschränkt, selbst seine Vor¬
schläge, die herabgekommene Erfurter Universität wieder emporzubringen, scheinen
in Mainz mit Mißtrauen oder wenigstens mit Kaltsinn aufgenommen worden
zu sein. Die Mittel in allen diesen verrotteten und verfallenden geistlichen
Staaten reichten eben nur für das Herkömmliche aus und standen für Neu¬
schöpfungen selten zur Verfügung. Aber gedacht mußte der Mann, der noch
im Jahre 1806 mitten unter den Stürmen des Krieges und großer politischer


Aus den Tagen der Klassiker.

eine andre Richtung zu geben." Noch deutlichern Einblick in die bedenklichsten
Tiefen dieser schönen Seele verrät Körner, der bereits am 9. März 1790 bei
Gelegenheit der Mainzer Pläne und Hoffnungen Schillers schrieb: „Rechne
auch du nicht zu viel auf diesen Mann. Der Antritt der Regierung ist ein
gefährlicher Zeitpunkt und doppelt für eine gewisse poetische Denkart. Alle
Schwierigkeiten scheinen unbedeutend, weil man sich nie die Mühe nahm, sie zu
untersuche». Listige Geschäftspedanten wissen alsdann bald tausend Steine des
Anstoßes in den Weg zu legen. Man erschrickt über die Schreckbilder, die von
allen Seiten emporsteigen und von denen man nie geträumt hatte. Dann ist
es leicht, auf zwei Abwege zu geraten: Neronischen Trotz oder träge Resignation,
die sich für höhere Kultur ansieht." Wer könnte angesichts dieser Worte und
der spätern Entwicklung Dalbergs dem wackern Dresdner Appellationsrat einen
gewissen prophetischen Blick absprechen?

Gelegentlich ist nun versucht worden, die Schuld dieses innern Mangels
auf die weltbürgerliche Bildung und den ausschließlich ästhetischen Sinn unsrer
klassischen Periode zu wälzen. Die Geschichte der nachfolgenden Zeit und das
Leben und Wirken von Hunderten von Männern, welche mit derselben Bildung
genährt waren wie Dalberg, beweist, daß mindestens die Konsequenzen der an¬
geklagten Bildung sehr verschieden waren. Es ist aber schon angedeutet worden,
daß es sich in Wahrheit gerade umgekehrt verhielt. Dalberg vermochte seinen
Neigungen und Lebensgewohnheiten, einer frühgencihrtcn und geradezu verhängnis¬
vollen Eitelkeit zufolge, den besten Teil des Geistes und der Bildung unsrer
klassischen Periode eben nicht in sich aufzunehmen. Von Kant, von Herder
wie von Schiller empfing er Anregungen, aber nicht den vollen und vertiefenden
Eindruck, der von diesen mächtigen Naturen auf tausend mindcrmcichtige aus¬
gegangen ist. Auch im Ästhetischen blieb er ein Dilettant, auch im „Schwelgen"
entfaltete er nicht die Kraft, welche beispielsweise Ardinghello-Heinse auszeichnete.
Wir müssen noch einmal an die Mitarbeit bei Schillers „Hören" und den un¬
endlich elenden Aufsatz „über Kunstschulen" erinnern. Man muß sich vergegen¬
wärtigen, daß, wenn Dalberg über irgend etwas klar nachgedacht hatte und
irgend einer Frage mit mehr als flüchtigem, abspringenden Interesse gefolgt
war, dies das Verhältnis der Kunst zum öffentlichen Leben, zum Staate sein
mußte. Daß er in Erfurt während seiner Statthalterschaft nicht eben viel für
die günstige Gestaltung dieses Verhältnisses hatte thun können, darf ihm kaum
zum Vorwurf gemacht werden. Seine Macht war beschränkt, selbst seine Vor¬
schläge, die herabgekommene Erfurter Universität wieder emporzubringen, scheinen
in Mainz mit Mißtrauen oder wenigstens mit Kaltsinn aufgenommen worden
zu sein. Die Mittel in allen diesen verrotteten und verfallenden geistlichen
Staaten reichten eben nur für das Herkömmliche aus und standen für Neu¬
schöpfungen selten zur Verfügung. Aber gedacht mußte der Mann, der noch
im Jahre 1806 mitten unter den Stürmen des Krieges und großer politischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/82>, abgerufen am 27.07.2024.