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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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die Erzählungen aus seinem mannichfaltigen politischen Treiben hebt er meinen
Geist aus dem einfachen Ge>vede, in das ich mich einspinne, das, obgleich es
auch viele Fäden hat, mich doch zu sehr nach und nach auf einen Mittelpunkt
bannt. Der Statthalter ist doch eigentlich auch kein rechtes Kind dieser Welt,
und so klug und brav seine Pläne sind, fürchte ich doch, es geht einer nach dem
andern scheitern." Wenn der Dichter gleich darauf die beneidenswerte "Leichtig¬
keit" Dalbergs rühmt, so schwebt über diesem Lobe wie ein Schatten die Ahnung,
daß diese Leichtigkeit schweren Versuchungen und Prüfungen kaum gewachsen
sein könne.

Eine Aufgabe, die ihm bei seinem zwischen Hofhaltung und stattlicher Haus¬
haltung schwankenden äußern gesellschaftlichen Auftreten in Erfurt zufiel, löste
Dalberg vortrefflich, ja glänzend. Diese soziale Aufgabe war in der großen
Umschwungs- und Übergangsepoche des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts
in der That von Bedeutung. Die Bildung war eine durchaus veränderte, aber
die neue Bildung hatte zumeist noch keine geselligen Formen, Standes-
unterschiede, welche in der Anschauung wesenlos geworden waren, herrschten noch
in den Gewohnheiten des persönlichen Verkehrs, man hatte gemeinsame Inter¬
essen und keine Mittel zum Austausch derselben, die Widersprüche zwischen der
Empfindung der höher Gebildeten und einer aus gänzlich andern Zuständen
stammenden Lebenshaltung fielen immer peinlicher und schärfer auf. In dem
ersten Jahre, in welchem Dalberg seines erfurtischer Statthalterpvstens wartete,
schrieb Goethe im väterlichen Hanse am Frankfurter Hirschgraben seinen Werther,
und als das Buch erschien, waren die Szenen, in welchen geschildert wird, wie
der Graf von C. den jungen Legationssekretär, den er schätzt, ehrt, ja liebt, aus
seiner Gesellschaft wegweisen muß und wegweist, nicht die letzten, welche die
leidenschaftliche Teilnahme der damaligen Generation wachriefen. Der Aufschrei
Werthers "Da möchte man sich ein Messer ins Herz bohren!" ward damals
von taufenden geteilt.

Hier war Dalberg einer der Männer, die zum Guten eingreifen konnten
und eingriffen. In seinem gesamten Verkehr mit Menschen zeigte er sich von
aufrichtiger Humanität, von wahrhafter Schätzung nicht nur literarischer, künst¬
lerischer, wissenschaftlicher Bestrebungen beseelt, die gewinnende Liebenswürdig¬
keit seines Auftretens halfen ihm in seinen Umgebungen die neuen Gesellschafts¬
formen, welche auf der Gleichheit der Bildung und der geistigen Interessen
beruhten, rasch einführen. Beaulieu-Marconnay in "Dalberg und seine Zeit"
berichtet: "Im nahen Zusammenhang mit der Förderung wissenschaftlichen
Sinnes stand das Bestreben Dalbergs, den gesellschaftlichen Zusammenhängen
Erfurts eine idealere Richtung zu verleihen. Seit dem Jahre 1786 führte er
die Idee aus, an jedem Dienstag eine große Assembler in der Statthalters zu
geben, er mochte nun in Erfurt anwesend sein oder nicht. Dazu war alles,
was zur guten Gesellschaft gehörte, ein- für allemal geladen. Ebenso hatte


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die Erzählungen aus seinem mannichfaltigen politischen Treiben hebt er meinen
Geist aus dem einfachen Ge>vede, in das ich mich einspinne, das, obgleich es
auch viele Fäden hat, mich doch zu sehr nach und nach auf einen Mittelpunkt
bannt. Der Statthalter ist doch eigentlich auch kein rechtes Kind dieser Welt,
und so klug und brav seine Pläne sind, fürchte ich doch, es geht einer nach dem
andern scheitern." Wenn der Dichter gleich darauf die beneidenswerte „Leichtig¬
keit" Dalbergs rühmt, so schwebt über diesem Lobe wie ein Schatten die Ahnung,
daß diese Leichtigkeit schweren Versuchungen und Prüfungen kaum gewachsen
sein könne.

Eine Aufgabe, die ihm bei seinem zwischen Hofhaltung und stattlicher Haus¬
haltung schwankenden äußern gesellschaftlichen Auftreten in Erfurt zufiel, löste
Dalberg vortrefflich, ja glänzend. Diese soziale Aufgabe war in der großen
Umschwungs- und Übergangsepoche des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts
in der That von Bedeutung. Die Bildung war eine durchaus veränderte, aber
die neue Bildung hatte zumeist noch keine geselligen Formen, Standes-
unterschiede, welche in der Anschauung wesenlos geworden waren, herrschten noch
in den Gewohnheiten des persönlichen Verkehrs, man hatte gemeinsame Inter¬
essen und keine Mittel zum Austausch derselben, die Widersprüche zwischen der
Empfindung der höher Gebildeten und einer aus gänzlich andern Zuständen
stammenden Lebenshaltung fielen immer peinlicher und schärfer auf. In dem
ersten Jahre, in welchem Dalberg seines erfurtischer Statthalterpvstens wartete,
schrieb Goethe im väterlichen Hanse am Frankfurter Hirschgraben seinen Werther,
und als das Buch erschien, waren die Szenen, in welchen geschildert wird, wie
der Graf von C. den jungen Legationssekretär, den er schätzt, ehrt, ja liebt, aus
seiner Gesellschaft wegweisen muß und wegweist, nicht die letzten, welche die
leidenschaftliche Teilnahme der damaligen Generation wachriefen. Der Aufschrei
Werthers „Da möchte man sich ein Messer ins Herz bohren!" ward damals
von taufenden geteilt.

Hier war Dalberg einer der Männer, die zum Guten eingreifen konnten
und eingriffen. In seinem gesamten Verkehr mit Menschen zeigte er sich von
aufrichtiger Humanität, von wahrhafter Schätzung nicht nur literarischer, künst¬
lerischer, wissenschaftlicher Bestrebungen beseelt, die gewinnende Liebenswürdig¬
keit seines Auftretens halfen ihm in seinen Umgebungen die neuen Gesellschafts¬
formen, welche auf der Gleichheit der Bildung und der geistigen Interessen
beruhten, rasch einführen. Beaulieu-Marconnay in „Dalberg und seine Zeit"
berichtet: „Im nahen Zusammenhang mit der Förderung wissenschaftlichen
Sinnes stand das Bestreben Dalbergs, den gesellschaftlichen Zusammenhängen
Erfurts eine idealere Richtung zu verleihen. Seit dem Jahre 1786 führte er
die Idee aus, an jedem Dienstag eine große Assembler in der Statthalters zu
geben, er mochte nun in Erfurt anwesend sein oder nicht. Dazu war alles,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/77>, abgerufen am 27.07.2024.