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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker.

Statthalter war Dalberg zugleich zu den gesandtschaftlichen Geschäften bei den
benachbarten kleinen Höfen, namentlich bei denen von Weimar und Gotha, be¬
glaubigt worden. Der erstere Hof, oder vielmehr die kluge, geistvolle und weit¬
sichtige Herzogin-Regentin Anna Amalie, hatte kurz vor Dalbcrgs Antritt feiner
Statthalterschaft von Erfurt der verfallenden Universität dieser Stadt ihre be¬
deutendste, kaum erst gewonnene Zierde, den Regierungsrat und Professor der
Philosophie Christoph Martin Wieland nach Weimar entführt. Für das neue
Verhältnis des jungen Statthalters zu ihrem Hofe war es gut, daß die Über¬
siedlung Wielands bereits geschehen war, als Dalberg anlangte.

Die Situation des neuen Statthalters war insofern günstig, als Stadt
und Landschaft eben damals die ersten Wirkungen der langen Friedenszeit, welche
dem siebenjährigen Kriege folgte, zu empfinden begannen. "Wohlfeilheit, heißt
es in Beaulieus "Dalberg und seine Zeit," war auf drückende Teuerung gefolgt,
die Fabriken waren in vollster Thätigkeit, der Handel blühte wieder neu auf."
So hatte denn Dalberg keine durchgreifende revrgcmisircnde, schöpferische Thätig¬
keit zu entwickeln; eine Anzahl verständiger Anordnungen, kleiner aber guter
Neueinrichtnngcn entsprachen dein Bedürfnis und der Natur des neuen Re-
gierungsstatthalters. Ohne seinen Eifer und einen gewissen jugendlichen Mut
in Zweifel zu ziehen, darf man doch annehmen, daß er in den behagliche",
idyllischen Zuständen, die nach dem Frieden von Hubertusburg im deutschen
Leben überwogen, in seinem eigentliche Elemente war. Während der kurzen
Gefahr des bairischen Erbfolgekrieges ließ er sich allerdings von dem soldatischen
Geiste des jungen Karl August vou Weimar, seines Freundes, soweit anstecken,
daß er kriegerische Maßregeln vorschlug und Regimenter errichten wollte. Gleichsam
prophetisch für die Katastrophe von 1792 trat die erbärmliche Wchrverfassnng
des Mainzer Kurstaates und die völlige Wehrlosigkeit der Erfurter Festung
Petersberg bei dieser Gelegenheit hervor. Da sich aber das Ungewitter des
"Kartoffelkrieges," wie der kurze unblutige Zwist spöttisch getauft wurde, bald
wieder verzog, war natürlich von den bei dieser Gelegenheit gemachten Er¬
fahrungen weiter keine Rede.

Die kleine Rcgierungsthätigkeit jedoch, welche so sehr den Kräften Dalbcrgs
entsprach, genügte seinem brennenden Ehrgeize nicht. Er wünschte unablässig
eine größere politische Rolle zu spielen und suchte auf die Mainzer Regierung
reformirend einzuwirken. In Mainz fand man den Eifer des Erfurter Statthalters
sehr unbequem, bei dem letzten Kurfürsten, Erzbischof Karl Joseph (von Erthal),
welcher 1774 den Thron bestiegen hatte, stand Dalberg nicht in der Gunst,
deren er sich bei Emmerich Joseph erfreut hatte. Das Flüchtige, unseen Wechselnde
seiner politischen Pläne und das Weiche, Bestimmbare, ja Charakterlose seiner
Natur entging auch schon damals selbst wohlwollenden Beurteilern nicht. Goethe,
der seit 1776 mit Dalberg in lebendigem Verkehr stand, schrieb am ü. Mai
1781 an Frau vou Stein: "Für mich ist sein Umgang von viel Nutzen. Durch


Aus den Tagen der Klassiker.

Statthalter war Dalberg zugleich zu den gesandtschaftlichen Geschäften bei den
benachbarten kleinen Höfen, namentlich bei denen von Weimar und Gotha, be¬
glaubigt worden. Der erstere Hof, oder vielmehr die kluge, geistvolle und weit¬
sichtige Herzogin-Regentin Anna Amalie, hatte kurz vor Dalbcrgs Antritt feiner
Statthalterschaft von Erfurt der verfallenden Universität dieser Stadt ihre be¬
deutendste, kaum erst gewonnene Zierde, den Regierungsrat und Professor der
Philosophie Christoph Martin Wieland nach Weimar entführt. Für das neue
Verhältnis des jungen Statthalters zu ihrem Hofe war es gut, daß die Über¬
siedlung Wielands bereits geschehen war, als Dalberg anlangte.

Die Situation des neuen Statthalters war insofern günstig, als Stadt
und Landschaft eben damals die ersten Wirkungen der langen Friedenszeit, welche
dem siebenjährigen Kriege folgte, zu empfinden begannen. „Wohlfeilheit, heißt
es in Beaulieus »Dalberg und seine Zeit,« war auf drückende Teuerung gefolgt,
die Fabriken waren in vollster Thätigkeit, der Handel blühte wieder neu auf."
So hatte denn Dalberg keine durchgreifende revrgcmisircnde, schöpferische Thätig¬
keit zu entwickeln; eine Anzahl verständiger Anordnungen, kleiner aber guter
Neueinrichtnngcn entsprachen dein Bedürfnis und der Natur des neuen Re-
gierungsstatthalters. Ohne seinen Eifer und einen gewissen jugendlichen Mut
in Zweifel zu ziehen, darf man doch annehmen, daß er in den behagliche»,
idyllischen Zuständen, die nach dem Frieden von Hubertusburg im deutschen
Leben überwogen, in seinem eigentliche Elemente war. Während der kurzen
Gefahr des bairischen Erbfolgekrieges ließ er sich allerdings von dem soldatischen
Geiste des jungen Karl August vou Weimar, seines Freundes, soweit anstecken,
daß er kriegerische Maßregeln vorschlug und Regimenter errichten wollte. Gleichsam
prophetisch für die Katastrophe von 1792 trat die erbärmliche Wchrverfassnng
des Mainzer Kurstaates und die völlige Wehrlosigkeit der Erfurter Festung
Petersberg bei dieser Gelegenheit hervor. Da sich aber das Ungewitter des
„Kartoffelkrieges," wie der kurze unblutige Zwist spöttisch getauft wurde, bald
wieder verzog, war natürlich von den bei dieser Gelegenheit gemachten Er¬
fahrungen weiter keine Rede.

Die kleine Rcgierungsthätigkeit jedoch, welche so sehr den Kräften Dalbcrgs
entsprach, genügte seinem brennenden Ehrgeize nicht. Er wünschte unablässig
eine größere politische Rolle zu spielen und suchte auf die Mainzer Regierung
reformirend einzuwirken. In Mainz fand man den Eifer des Erfurter Statthalters
sehr unbequem, bei dem letzten Kurfürsten, Erzbischof Karl Joseph (von Erthal),
welcher 1774 den Thron bestiegen hatte, stand Dalberg nicht in der Gunst,
deren er sich bei Emmerich Joseph erfreut hatte. Das Flüchtige, unseen Wechselnde
seiner politischen Pläne und das Weiche, Bestimmbare, ja Charakterlose seiner
Natur entging auch schon damals selbst wohlwollenden Beurteilern nicht. Goethe,
der seit 1776 mit Dalberg in lebendigem Verkehr stand, schrieb am ü. Mai
1781 an Frau vou Stein: „Für mich ist sein Umgang von viel Nutzen. Durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/76>, abgerufen am 27.07.2024.