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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker.

jeder Fremde Zutritt, und es wurde nichts weiteres von den Gästen verlangt,
als ein anständiger, wenn auch uoch so einfacher Anzug. Man fand hier oft
regierende Fürsten, Minister. Generäle, Staatsdiener aller Kategorie", Gelehrte,
Künstler, Kaufleute und Handwerker bunt durcheinander gruppirt. Die Unter¬
haltung war ebenso verschieden und mannichfaltig wie die Gesellschaft selbst.
Man saug Lieder zum Klavier, führte mitunter Chöre aus, Virtuosen auf den
verschiednen Instrumenten ließen sich hören; ältere Personen fanden Spieltische
bereit, die Jugend vergnügte sich an Gesellschaftsspielen -- kurz, jeder fand,
was ihm zusagte und zu fleißigen Besuchen dieser Soireen anregte. Der Statt¬
halter bewegte sich teilnehmend und gemütlich in diesen Kreisen und übte den
Zauber seiner anmutigen Persönlichkeit auf die Anwesenden ans. Ein Teil
dieser letztern ward an solchen Abenden zum Souper eingeladen, welches nach
der Entfernung der übrigen stattfand."

Eine sehr getreue und neuerlich vielbenutzte Chronik der gesellschaftlichen
Vorgänge in der Erfurter Statthaltern und während der glücklichen Jahre Dal-
bergs ist das auf der Erfurter Bibliothek handschriftlich aufbewahrte Tagebuch
des Erfurter Ratsherrn und Buchhändlers Kaspar Konstantin Beyer, aus dem
unter andern: Boxberger in der dritten Ausgabe des Briefwechsels "Schiller
und Lotte" (Stuttgart, 1879) eine Reihe von Daten und Notizen bestätigt und
vervollständigt hat. Beyer ist ein völlig unverdächtiger Zeuge, und er bestätigt
ausdrücklich: "Karl von Dalberg war die Seele dieser ganzen trefflichen Anstalt.
Er mischte sich stets mitten unter das bunte Gewühl, das den großen Saal
und die drei anstoßenden Zimmer anfüllte, sprach mit jedem, der ihm aufstieß,
einige Worte und freute sich herzlich, wenn die ganze Gesellschaft sich einer un¬
befangnen Fröhlichkeit überließ." Goethe, welcher oft bei diesen "Assembleen"
und noch viel früher bei deu Festen, die Dalberg gab, zugegen war, gedachte
derselben in spätern Jahren und unter den bedeutendsten Verhältnissen nicht
ohne eine gewisse sehnsüchtige Wehmut. In dem Bericht über die Audienz,
welche der Dichter 1808 während der Erfurter Monarchenbegegnuug bei Na¬
poleon I. hatte, erzählt er: "Ich trat etwas zurück und kam gerade an den
Erker zu stehen, in welchem ich zwischen mancher frohen auch manche trübe
Stunde verlebt. Ich hatte Zeit, mich im Zimmer umzusehen und der Ver¬
gangenheit zu gedenken. Auch hier waren es noch die alten Tapeten. Aber
die Porträte an den Wänden waren verschwunden. Hier hatte das Bild der
Herzogin Amalia gehangen, im Nedvutenanzug, eine schwarze Halbmaske in der
Hand, die übrigen Bildnisse von Statthaltern und Familiengliedern alle."

In dem mannichfachen Verkehr Dälbergs mit den Kreisen von Weimar,
Gotha und Jena bewährte sich Dalbergs Liebenswürdigkeit und die besondre
Leichtigkeit, mit der er sich in die veränderten sozialen Verhältnisse und ver¬
änderten Lebensformen fand. Gern hätte er etwas Großes für die deutsche
Kultur gethan und geleistet, aber seine Statthalter- und Domherrneinkünfte


Aus den Tagen der Klassiker.

jeder Fremde Zutritt, und es wurde nichts weiteres von den Gästen verlangt,
als ein anständiger, wenn auch uoch so einfacher Anzug. Man fand hier oft
regierende Fürsten, Minister. Generäle, Staatsdiener aller Kategorie», Gelehrte,
Künstler, Kaufleute und Handwerker bunt durcheinander gruppirt. Die Unter¬
haltung war ebenso verschieden und mannichfaltig wie die Gesellschaft selbst.
Man saug Lieder zum Klavier, führte mitunter Chöre aus, Virtuosen auf den
verschiednen Instrumenten ließen sich hören; ältere Personen fanden Spieltische
bereit, die Jugend vergnügte sich an Gesellschaftsspielen — kurz, jeder fand,
was ihm zusagte und zu fleißigen Besuchen dieser Soireen anregte. Der Statt¬
halter bewegte sich teilnehmend und gemütlich in diesen Kreisen und übte den
Zauber seiner anmutigen Persönlichkeit auf die Anwesenden ans. Ein Teil
dieser letztern ward an solchen Abenden zum Souper eingeladen, welches nach
der Entfernung der übrigen stattfand."

Eine sehr getreue und neuerlich vielbenutzte Chronik der gesellschaftlichen
Vorgänge in der Erfurter Statthaltern und während der glücklichen Jahre Dal-
bergs ist das auf der Erfurter Bibliothek handschriftlich aufbewahrte Tagebuch
des Erfurter Ratsherrn und Buchhändlers Kaspar Konstantin Beyer, aus dem
unter andern: Boxberger in der dritten Ausgabe des Briefwechsels „Schiller
und Lotte" (Stuttgart, 1879) eine Reihe von Daten und Notizen bestätigt und
vervollständigt hat. Beyer ist ein völlig unverdächtiger Zeuge, und er bestätigt
ausdrücklich: „Karl von Dalberg war die Seele dieser ganzen trefflichen Anstalt.
Er mischte sich stets mitten unter das bunte Gewühl, das den großen Saal
und die drei anstoßenden Zimmer anfüllte, sprach mit jedem, der ihm aufstieß,
einige Worte und freute sich herzlich, wenn die ganze Gesellschaft sich einer un¬
befangnen Fröhlichkeit überließ." Goethe, welcher oft bei diesen „Assembleen"
und noch viel früher bei deu Festen, die Dalberg gab, zugegen war, gedachte
derselben in spätern Jahren und unter den bedeutendsten Verhältnissen nicht
ohne eine gewisse sehnsüchtige Wehmut. In dem Bericht über die Audienz,
welche der Dichter 1808 während der Erfurter Monarchenbegegnuug bei Na¬
poleon I. hatte, erzählt er: „Ich trat etwas zurück und kam gerade an den
Erker zu stehen, in welchem ich zwischen mancher frohen auch manche trübe
Stunde verlebt. Ich hatte Zeit, mich im Zimmer umzusehen und der Ver¬
gangenheit zu gedenken. Auch hier waren es noch die alten Tapeten. Aber
die Porträte an den Wänden waren verschwunden. Hier hatte das Bild der
Herzogin Amalia gehangen, im Nedvutenanzug, eine schwarze Halbmaske in der
Hand, die übrigen Bildnisse von Statthaltern und Familiengliedern alle."

In dem mannichfachen Verkehr Dälbergs mit den Kreisen von Weimar,
Gotha und Jena bewährte sich Dalbergs Liebenswürdigkeit und die besondre
Leichtigkeit, mit der er sich in die veränderten sozialen Verhältnisse und ver¬
änderten Lebensformen fand. Gern hätte er etwas Großes für die deutsche
Kultur gethan und geleistet, aber seine Statthalter- und Domherrneinkünfte


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[0078] Aus den Tagen der Klassiker. jeder Fremde Zutritt, und es wurde nichts weiteres von den Gästen verlangt, als ein anständiger, wenn auch uoch so einfacher Anzug. Man fand hier oft regierende Fürsten, Minister. Generäle, Staatsdiener aller Kategorie», Gelehrte, Künstler, Kaufleute und Handwerker bunt durcheinander gruppirt. Die Unter¬ haltung war ebenso verschieden und mannichfaltig wie die Gesellschaft selbst. Man saug Lieder zum Klavier, führte mitunter Chöre aus, Virtuosen auf den verschiednen Instrumenten ließen sich hören; ältere Personen fanden Spieltische bereit, die Jugend vergnügte sich an Gesellschaftsspielen — kurz, jeder fand, was ihm zusagte und zu fleißigen Besuchen dieser Soireen anregte. Der Statt¬ halter bewegte sich teilnehmend und gemütlich in diesen Kreisen und übte den Zauber seiner anmutigen Persönlichkeit auf die Anwesenden ans. Ein Teil dieser letztern ward an solchen Abenden zum Souper eingeladen, welches nach der Entfernung der übrigen stattfand." Eine sehr getreue und neuerlich vielbenutzte Chronik der gesellschaftlichen Vorgänge in der Erfurter Statthaltern und während der glücklichen Jahre Dal- bergs ist das auf der Erfurter Bibliothek handschriftlich aufbewahrte Tagebuch des Erfurter Ratsherrn und Buchhändlers Kaspar Konstantin Beyer, aus dem unter andern: Boxberger in der dritten Ausgabe des Briefwechsels „Schiller und Lotte" (Stuttgart, 1879) eine Reihe von Daten und Notizen bestätigt und vervollständigt hat. Beyer ist ein völlig unverdächtiger Zeuge, und er bestätigt ausdrücklich: „Karl von Dalberg war die Seele dieser ganzen trefflichen Anstalt. Er mischte sich stets mitten unter das bunte Gewühl, das den großen Saal und die drei anstoßenden Zimmer anfüllte, sprach mit jedem, der ihm aufstieß, einige Worte und freute sich herzlich, wenn die ganze Gesellschaft sich einer un¬ befangnen Fröhlichkeit überließ." Goethe, welcher oft bei diesen „Assembleen" und noch viel früher bei deu Festen, die Dalberg gab, zugegen war, gedachte derselben in spätern Jahren und unter den bedeutendsten Verhältnissen nicht ohne eine gewisse sehnsüchtige Wehmut. In dem Bericht über die Audienz, welche der Dichter 1808 während der Erfurter Monarchenbegegnuug bei Na¬ poleon I. hatte, erzählt er: „Ich trat etwas zurück und kam gerade an den Erker zu stehen, in welchem ich zwischen mancher frohen auch manche trübe Stunde verlebt. Ich hatte Zeit, mich im Zimmer umzusehen und der Ver¬ gangenheit zu gedenken. Auch hier waren es noch die alten Tapeten. Aber die Porträte an den Wänden waren verschwunden. Hier hatte das Bild der Herzogin Amalia gehangen, im Nedvutenanzug, eine schwarze Halbmaske in der Hand, die übrigen Bildnisse von Statthaltern und Familiengliedern alle." In dem mannichfachen Verkehr Dälbergs mit den Kreisen von Weimar, Gotha und Jena bewährte sich Dalbergs Liebenswürdigkeit und die besondre Leichtigkeit, mit der er sich in die veränderten sozialen Verhältnisse und ver¬ änderten Lebensformen fand. Gern hätte er etwas Großes für die deutsche Kultur gethan und geleistet, aber seine Statthalter- und Domherrneinkünfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/78>, abgerufen am 27.07.2024.