Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der neue Merlin.

fassen wollte, mit Freund Bartvlomeos verständigen Gründen. Als aber ein
dritter und vierter Tag verging und weder Gabriella erschien, noch eine Bot¬
schaft, ein Brief von ihr erfolgte, da ward auch Vartolvmeos Gesicht ernst¬
haft und sorgengefurcht, und er widerstand meinem Drängen nicht, nach Venedig
zu fahren und im Palazzo Parmi-Spinclli nach der teuren Herrin zu scheu.
Am Spätnachmittag fuhr er hinweg, und schwer überwand ich die Versuchung,
zu ihm in das Fahrzeug zu springen, unwürdig erschien es mir, daß ich einem
Dritten überlassen müsse, sich vom Wohl und Wehe meines Weibes zu über¬
zeugen. Fünf bis sechs Stunden mußten vergehen, ehe der Priester zurückkam,
und zehntausend schlimme Möglichkeiten glitten indessen wie spukhafte Schatten
durch meine Seele. Es war beinahe dunkel, als die Barke Bartolvmeos zurück
kehrte. Ich war rastlos am Ufer auf- und abgewandert und hatte die Barke
erblickt, sobald sie als Punkt auf dem Wasser erschien. Ich starrte ihr entgegen
und erkannte die Gestalt Bartolomevs lange, ehe ich seine Züge wahr¬
zunehmen vermochte. Aber dem gebeugten Nacken, den lässig herabhängenden
Armen entnahm ich schon von weitem, daß er keine frohe Botschaft zu tragen
habe! Und als er mir sein Gesicht mit traurigem Ausdruck zuwandte, da schrie
ich laut auf, aus seinem Blicke streifte mich, wie unser Dichter sagt, der Fittich
des Unheils! Fra Bartolomeo erhob sich von seinem Sitze und winkte mich
heran, während ich doch mit den Füßen beinahe schon im Wasser der Lagune
stand. Gott prüft uns seltsam, hart und schwer! sagte er mit eintöniger
Stimme. Komm in die Barke, mein Sohn! Tonelli und sein Masetto wollen
uns sogleich wieder nach Venedig führen, es ist nicht notwendig, daß du dich
ferner verbirgst. Mir ward es dunkel vor den Augen, die schlichten Worte des
Priesters dröhnten in meinen Ohren, aber ich hatte mich in einem Nu in die
Barke geschwungen, saß an seiner Seite und faßte krampfhaft seine Hände, die
er segnend und beschwichtigend auf mein Haupt legen wollte. Lebt Gabriella
noch? war alles, was ich hervorbrachte. Er schüttelte den Kopf, wies mit der
Hand zum Himmel und wandte seine thränenschwerem Augen von mir ab. Das
Ungeheure, das ich jetzt wußte und noch nicht glaubte, durchschauerte mich nur
minutenlang, und dann folgten Viertelstunden, wo mir nichts wirklich schien als
die Ruder, die im Wasser auf- und wieder zurücktauchtcn, und allerhand Getier,
das im Nachtwind über die Lagune strich. Ich starrte durch das Dunkel
Venedig entgegen und merkte dann doch nicht, wie die Häuser um uns aufstiegen,
und fühlte nicht, daß Pater Bartolomeo mich getreulich in seinem Arme hielt.
Wir fuhren bei dem Palazzo Parmi an, zum zweitenmal trat ich in seine Halle
und stieg die breiten Marmorstufen empor. Und wortlos schritten wir in deu
Saal, der im Lichte hoher Wachskerzen auf silbernen Leuchtern erglänzte, und
ich sah Gabriella wieder, zwischen den Palmen und Blumen, mit denen man
ihr letztes Lager umkränzt hatte! Sie mußte plötzlich geschieden sein, ihr schönes
Gesicht hatte noch all seine Holdseligkeit, nur bleicher war es als sonst, und


Der neue Merlin.

fassen wollte, mit Freund Bartvlomeos verständigen Gründen. Als aber ein
dritter und vierter Tag verging und weder Gabriella erschien, noch eine Bot¬
schaft, ein Brief von ihr erfolgte, da ward auch Vartolvmeos Gesicht ernst¬
haft und sorgengefurcht, und er widerstand meinem Drängen nicht, nach Venedig
zu fahren und im Palazzo Parmi-Spinclli nach der teuren Herrin zu scheu.
Am Spätnachmittag fuhr er hinweg, und schwer überwand ich die Versuchung,
zu ihm in das Fahrzeug zu springen, unwürdig erschien es mir, daß ich einem
Dritten überlassen müsse, sich vom Wohl und Wehe meines Weibes zu über¬
zeugen. Fünf bis sechs Stunden mußten vergehen, ehe der Priester zurückkam,
und zehntausend schlimme Möglichkeiten glitten indessen wie spukhafte Schatten
durch meine Seele. Es war beinahe dunkel, als die Barke Bartolvmeos zurück
kehrte. Ich war rastlos am Ufer auf- und abgewandert und hatte die Barke
erblickt, sobald sie als Punkt auf dem Wasser erschien. Ich starrte ihr entgegen
und erkannte die Gestalt Bartolomevs lange, ehe ich seine Züge wahr¬
zunehmen vermochte. Aber dem gebeugten Nacken, den lässig herabhängenden
Armen entnahm ich schon von weitem, daß er keine frohe Botschaft zu tragen
habe! Und als er mir sein Gesicht mit traurigem Ausdruck zuwandte, da schrie
ich laut auf, aus seinem Blicke streifte mich, wie unser Dichter sagt, der Fittich
des Unheils! Fra Bartolomeo erhob sich von seinem Sitze und winkte mich
heran, während ich doch mit den Füßen beinahe schon im Wasser der Lagune
stand. Gott prüft uns seltsam, hart und schwer! sagte er mit eintöniger
Stimme. Komm in die Barke, mein Sohn! Tonelli und sein Masetto wollen
uns sogleich wieder nach Venedig führen, es ist nicht notwendig, daß du dich
ferner verbirgst. Mir ward es dunkel vor den Augen, die schlichten Worte des
Priesters dröhnten in meinen Ohren, aber ich hatte mich in einem Nu in die
Barke geschwungen, saß an seiner Seite und faßte krampfhaft seine Hände, die
er segnend und beschwichtigend auf mein Haupt legen wollte. Lebt Gabriella
noch? war alles, was ich hervorbrachte. Er schüttelte den Kopf, wies mit der
Hand zum Himmel und wandte seine thränenschwerem Augen von mir ab. Das
Ungeheure, das ich jetzt wußte und noch nicht glaubte, durchschauerte mich nur
minutenlang, und dann folgten Viertelstunden, wo mir nichts wirklich schien als
die Ruder, die im Wasser auf- und wieder zurücktauchtcn, und allerhand Getier,
das im Nachtwind über die Lagune strich. Ich starrte durch das Dunkel
Venedig entgegen und merkte dann doch nicht, wie die Häuser um uns aufstiegen,
und fühlte nicht, daß Pater Bartolomeo mich getreulich in seinem Arme hielt.
Wir fuhren bei dem Palazzo Parmi an, zum zweitenmal trat ich in seine Halle
und stieg die breiten Marmorstufen empor. Und wortlos schritten wir in deu
Saal, der im Lichte hoher Wachskerzen auf silbernen Leuchtern erglänzte, und
ich sah Gabriella wieder, zwischen den Palmen und Blumen, mit denen man
ihr letztes Lager umkränzt hatte! Sie mußte plötzlich geschieden sein, ihr schönes
Gesicht hatte noch all seine Holdseligkeit, nur bleicher war es als sonst, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0703" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154868"/>
          <fw type="header" place="top"> Der neue Merlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2089" prev="#ID_2088" next="#ID_2090"> fassen wollte, mit Freund Bartvlomeos verständigen Gründen. Als aber ein<lb/>
dritter und vierter Tag verging und weder Gabriella erschien, noch eine Bot¬<lb/>
schaft, ein Brief von ihr erfolgte, da ward auch Vartolvmeos Gesicht ernst¬<lb/>
haft und sorgengefurcht, und er widerstand meinem Drängen nicht, nach Venedig<lb/>
zu fahren und im Palazzo Parmi-Spinclli nach der teuren Herrin zu scheu.<lb/>
Am Spätnachmittag fuhr er hinweg, und schwer überwand ich die Versuchung,<lb/>
zu ihm in das Fahrzeug zu springen, unwürdig erschien es mir, daß ich einem<lb/>
Dritten überlassen müsse, sich vom Wohl und Wehe meines Weibes zu über¬<lb/>
zeugen. Fünf bis sechs Stunden mußten vergehen, ehe der Priester zurückkam,<lb/>
und zehntausend schlimme Möglichkeiten glitten indessen wie spukhafte Schatten<lb/>
durch meine Seele. Es war beinahe dunkel, als die Barke Bartolvmeos zurück<lb/>
kehrte. Ich war rastlos am Ufer auf- und abgewandert und hatte die Barke<lb/>
erblickt, sobald sie als Punkt auf dem Wasser erschien. Ich starrte ihr entgegen<lb/>
und erkannte die Gestalt Bartolomevs lange, ehe ich seine Züge wahr¬<lb/>
zunehmen vermochte. Aber dem gebeugten Nacken, den lässig herabhängenden<lb/>
Armen entnahm ich schon von weitem, daß er keine frohe Botschaft zu tragen<lb/>
habe! Und als er mir sein Gesicht mit traurigem Ausdruck zuwandte, da schrie<lb/>
ich laut auf, aus seinem Blicke streifte mich, wie unser Dichter sagt, der Fittich<lb/>
des Unheils! Fra Bartolomeo erhob sich von seinem Sitze und winkte mich<lb/>
heran, während ich doch mit den Füßen beinahe schon im Wasser der Lagune<lb/>
stand. Gott prüft uns seltsam, hart und schwer! sagte er mit eintöniger<lb/>
Stimme. Komm in die Barke, mein Sohn! Tonelli und sein Masetto wollen<lb/>
uns sogleich wieder nach Venedig führen, es ist nicht notwendig, daß du dich<lb/>
ferner verbirgst. Mir ward es dunkel vor den Augen, die schlichten Worte des<lb/>
Priesters dröhnten in meinen Ohren, aber ich hatte mich in einem Nu in die<lb/>
Barke geschwungen, saß an seiner Seite und faßte krampfhaft seine Hände, die<lb/>
er segnend und beschwichtigend auf mein Haupt legen wollte. Lebt Gabriella<lb/>
noch? war alles, was ich hervorbrachte. Er schüttelte den Kopf, wies mit der<lb/>
Hand zum Himmel und wandte seine thränenschwerem Augen von mir ab. Das<lb/>
Ungeheure, das ich jetzt wußte und noch nicht glaubte, durchschauerte mich nur<lb/>
minutenlang, und dann folgten Viertelstunden, wo mir nichts wirklich schien als<lb/>
die Ruder, die im Wasser auf- und wieder zurücktauchtcn, und allerhand Getier,<lb/>
das im Nachtwind über die Lagune strich. Ich starrte durch das Dunkel<lb/>
Venedig entgegen und merkte dann doch nicht, wie die Häuser um uns aufstiegen,<lb/>
und fühlte nicht, daß Pater Bartolomeo mich getreulich in seinem Arme hielt.<lb/>
Wir fuhren bei dem Palazzo Parmi an, zum zweitenmal trat ich in seine Halle<lb/>
und stieg die breiten Marmorstufen empor. Und wortlos schritten wir in deu<lb/>
Saal, der im Lichte hoher Wachskerzen auf silbernen Leuchtern erglänzte, und<lb/>
ich sah Gabriella wieder, zwischen den Palmen und Blumen, mit denen man<lb/>
ihr letztes Lager umkränzt hatte! Sie mußte plötzlich geschieden sein, ihr schönes<lb/>
Gesicht hatte noch all seine Holdseligkeit, nur bleicher war es als sonst, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0703] Der neue Merlin. fassen wollte, mit Freund Bartvlomeos verständigen Gründen. Als aber ein dritter und vierter Tag verging und weder Gabriella erschien, noch eine Bot¬ schaft, ein Brief von ihr erfolgte, da ward auch Vartolvmeos Gesicht ernst¬ haft und sorgengefurcht, und er widerstand meinem Drängen nicht, nach Venedig zu fahren und im Palazzo Parmi-Spinclli nach der teuren Herrin zu scheu. Am Spätnachmittag fuhr er hinweg, und schwer überwand ich die Versuchung, zu ihm in das Fahrzeug zu springen, unwürdig erschien es mir, daß ich einem Dritten überlassen müsse, sich vom Wohl und Wehe meines Weibes zu über¬ zeugen. Fünf bis sechs Stunden mußten vergehen, ehe der Priester zurückkam, und zehntausend schlimme Möglichkeiten glitten indessen wie spukhafte Schatten durch meine Seele. Es war beinahe dunkel, als die Barke Bartolvmeos zurück kehrte. Ich war rastlos am Ufer auf- und abgewandert und hatte die Barke erblickt, sobald sie als Punkt auf dem Wasser erschien. Ich starrte ihr entgegen und erkannte die Gestalt Bartolomevs lange, ehe ich seine Züge wahr¬ zunehmen vermochte. Aber dem gebeugten Nacken, den lässig herabhängenden Armen entnahm ich schon von weitem, daß er keine frohe Botschaft zu tragen habe! Und als er mir sein Gesicht mit traurigem Ausdruck zuwandte, da schrie ich laut auf, aus seinem Blicke streifte mich, wie unser Dichter sagt, der Fittich des Unheils! Fra Bartolomeo erhob sich von seinem Sitze und winkte mich heran, während ich doch mit den Füßen beinahe schon im Wasser der Lagune stand. Gott prüft uns seltsam, hart und schwer! sagte er mit eintöniger Stimme. Komm in die Barke, mein Sohn! Tonelli und sein Masetto wollen uns sogleich wieder nach Venedig führen, es ist nicht notwendig, daß du dich ferner verbirgst. Mir ward es dunkel vor den Augen, die schlichten Worte des Priesters dröhnten in meinen Ohren, aber ich hatte mich in einem Nu in die Barke geschwungen, saß an seiner Seite und faßte krampfhaft seine Hände, die er segnend und beschwichtigend auf mein Haupt legen wollte. Lebt Gabriella noch? war alles, was ich hervorbrachte. Er schüttelte den Kopf, wies mit der Hand zum Himmel und wandte seine thränenschwerem Augen von mir ab. Das Ungeheure, das ich jetzt wußte und noch nicht glaubte, durchschauerte mich nur minutenlang, und dann folgten Viertelstunden, wo mir nichts wirklich schien als die Ruder, die im Wasser auf- und wieder zurücktauchtcn, und allerhand Getier, das im Nachtwind über die Lagune strich. Ich starrte durch das Dunkel Venedig entgegen und merkte dann doch nicht, wie die Häuser um uns aufstiegen, und fühlte nicht, daß Pater Bartolomeo mich getreulich in seinem Arme hielt. Wir fuhren bei dem Palazzo Parmi an, zum zweitenmal trat ich in seine Halle und stieg die breiten Marmorstufen empor. Und wortlos schritten wir in deu Saal, der im Lichte hoher Wachskerzen auf silbernen Leuchtern erglänzte, und ich sah Gabriella wieder, zwischen den Palmen und Blumen, mit denen man ihr letztes Lager umkränzt hatte! Sie mußte plötzlich geschieden sein, ihr schönes Gesicht hatte noch all seine Holdseligkeit, nur bleicher war es als sonst, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/703
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/703>, abgerufen am 01.09.2024.