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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

die Augen, die noch vor vier Tagen so strahlend ans mir geruht, sich so tief
in die meinen gesenkt hatten, waren geschlossen. Ich hatte nicht wahrgenommen,
daß der Saal nicht leer war, im Augenblick, da ich mich vor der Schlummernden
auf die Knie warf, schlugen flüsternde Stimmen an mein Ohr: Der Ragusaner!
sprach die eine. Er ist ihr Liebhaber gewesen, ich sagte es dir wohl! ver¬
setzte die andre. Ich achtete der Armseligen nicht, Raum und Stunde waren
zu heilig für ein Wort mit diesen, gleich darauf hörte ich Pater Bartolomeos
Stimme: Sie irren, Signori! Die heilige Kirche bezeugt durch meinen Mund,
daß Signora Gabriel!" die rechtmäßige Gemahlin des Signor Felice Constantini
von Ragusa gewesen ist! Ich fühlte, daß ich nichts mehr zu sagen hätte,
senkte mein Haupt, und bat Gott und meine verklärte Teure um Thränen.

Was soll ich Ihnen mehr sagen, Federigo? Sie wissen jetzt alles! Gabriel!"
war zwei Tage zuvor nach einer plötzlichen, nur wenige Tage dauernden Krank¬
heit jäh dahingerafft worden. Der Arzt gab der Krankheit keinen Namen, mein
Schmerz aber war in jenen ersten Stunden viel zu tief und zu heilig, um Er¬
wägungen und Überlegungen Raum zu lassen. Des Verdachtes, daß mein süßes
Weib ein Opfer des Mutes geworden sei, mit dem sie an meinem Herzen Zu¬
flucht gesucht, daß irgend einer der habgierigen Vettern, welchen das reiche Erbe
verblendet, bei ihrem frühen Ende eine giftmischende Hand im Spiele gehabt,
konnten in dunkeln Stunden weder Bartolomeo noch ich uns vollständig ent-
schlagen. Doch was hätte es nützen können, den Schleier von Gabriellas
frühem Ende zu lüften? Hatte ruchlose Berechnung einen Anteil an meinen,
unwidcrbringlichen Verlust, so war wenigstens die Berechnung zu Schanden ge¬
worden. Pater Bartolomeos Zeugnis stellte es außer allen Zweifel, daß die
Unvergeßliche mir in rechtmäßiger Ehe verbunden gewesen sei, der größte Teil
ihres großen Vermögens fiel mir zu, ich habe ihn all mein Lebtage verwendet,
soviel Thränen zu trocknen als immer möglich, und ich thue es noch heute zu
Gabricllas Gedächtnis. Wie hätte ich sie, die Reine, Edle, immer Hilfreiche,
besser ehren können?

Wir kehrten natürlich, als wir Gabriclla zur letzten Ruhe gebettet hatten,
nach Torcello zurück. Monate lang mußte Bartolomeo für mich leben und
handeln, im tiefen Schmerz meines ungeprüfter Herzens fand ich nur langsam
die Kraft wieder, mich mit dem äußern Dasein abzufinden. Doch meinte ich
damals nicht, Signor Federigo, mich für Jahre und Jahrzehnte in dem Garten
einzuschließen, in dem ich mit ihr, der Süßen. Unvergeßlichen, glücklich gewesen
war. Im Gegenteil besprachen mein geistlicher Freund und ich die Pläne zu
einer großen Reise, nach der ich mich über meine Zukunft entscheiden wollte.
Aber dies Eiland hielt mich fest, und wie die Tage verrannen, immer^ fester.
Jedesmal, wenn ich mich zur Reise zu rüsten gedachte, fühlte ich, daß ich die Stelle
nicht entbehren könne, an der ich sie zuerst und zuletzt umfangen! Ich erhielt
mich aufrecht, indem ich die Morgen kommen, die Abende gehen sah über diesem


Der neue Merlin.

die Augen, die noch vor vier Tagen so strahlend ans mir geruht, sich so tief
in die meinen gesenkt hatten, waren geschlossen. Ich hatte nicht wahrgenommen,
daß der Saal nicht leer war, im Augenblick, da ich mich vor der Schlummernden
auf die Knie warf, schlugen flüsternde Stimmen an mein Ohr: Der Ragusaner!
sprach die eine. Er ist ihr Liebhaber gewesen, ich sagte es dir wohl! ver¬
setzte die andre. Ich achtete der Armseligen nicht, Raum und Stunde waren
zu heilig für ein Wort mit diesen, gleich darauf hörte ich Pater Bartolomeos
Stimme: Sie irren, Signori! Die heilige Kirche bezeugt durch meinen Mund,
daß Signora Gabriel!« die rechtmäßige Gemahlin des Signor Felice Constantini
von Ragusa gewesen ist! Ich fühlte, daß ich nichts mehr zu sagen hätte,
senkte mein Haupt, und bat Gott und meine verklärte Teure um Thränen.

Was soll ich Ihnen mehr sagen, Federigo? Sie wissen jetzt alles! Gabriel!»
war zwei Tage zuvor nach einer plötzlichen, nur wenige Tage dauernden Krank¬
heit jäh dahingerafft worden. Der Arzt gab der Krankheit keinen Namen, mein
Schmerz aber war in jenen ersten Stunden viel zu tief und zu heilig, um Er¬
wägungen und Überlegungen Raum zu lassen. Des Verdachtes, daß mein süßes
Weib ein Opfer des Mutes geworden sei, mit dem sie an meinem Herzen Zu¬
flucht gesucht, daß irgend einer der habgierigen Vettern, welchen das reiche Erbe
verblendet, bei ihrem frühen Ende eine giftmischende Hand im Spiele gehabt,
konnten in dunkeln Stunden weder Bartolomeo noch ich uns vollständig ent-
schlagen. Doch was hätte es nützen können, den Schleier von Gabriellas
frühem Ende zu lüften? Hatte ruchlose Berechnung einen Anteil an meinen,
unwidcrbringlichen Verlust, so war wenigstens die Berechnung zu Schanden ge¬
worden. Pater Bartolomeos Zeugnis stellte es außer allen Zweifel, daß die
Unvergeßliche mir in rechtmäßiger Ehe verbunden gewesen sei, der größte Teil
ihres großen Vermögens fiel mir zu, ich habe ihn all mein Lebtage verwendet,
soviel Thränen zu trocknen als immer möglich, und ich thue es noch heute zu
Gabricllas Gedächtnis. Wie hätte ich sie, die Reine, Edle, immer Hilfreiche,
besser ehren können?

Wir kehrten natürlich, als wir Gabriclla zur letzten Ruhe gebettet hatten,
nach Torcello zurück. Monate lang mußte Bartolomeo für mich leben und
handeln, im tiefen Schmerz meines ungeprüfter Herzens fand ich nur langsam
die Kraft wieder, mich mit dem äußern Dasein abzufinden. Doch meinte ich
damals nicht, Signor Federigo, mich für Jahre und Jahrzehnte in dem Garten
einzuschließen, in dem ich mit ihr, der Süßen. Unvergeßlichen, glücklich gewesen
war. Im Gegenteil besprachen mein geistlicher Freund und ich die Pläne zu
einer großen Reise, nach der ich mich über meine Zukunft entscheiden wollte.
Aber dies Eiland hielt mich fest, und wie die Tage verrannen, immer^ fester.
Jedesmal, wenn ich mich zur Reise zu rüsten gedachte, fühlte ich, daß ich die Stelle
nicht entbehren könne, an der ich sie zuerst und zuletzt umfangen! Ich erhielt
mich aufrecht, indem ich die Morgen kommen, die Abende gehen sah über diesem


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[0704] Der neue Merlin. die Augen, die noch vor vier Tagen so strahlend ans mir geruht, sich so tief in die meinen gesenkt hatten, waren geschlossen. Ich hatte nicht wahrgenommen, daß der Saal nicht leer war, im Augenblick, da ich mich vor der Schlummernden auf die Knie warf, schlugen flüsternde Stimmen an mein Ohr: Der Ragusaner! sprach die eine. Er ist ihr Liebhaber gewesen, ich sagte es dir wohl! ver¬ setzte die andre. Ich achtete der Armseligen nicht, Raum und Stunde waren zu heilig für ein Wort mit diesen, gleich darauf hörte ich Pater Bartolomeos Stimme: Sie irren, Signori! Die heilige Kirche bezeugt durch meinen Mund, daß Signora Gabriel!« die rechtmäßige Gemahlin des Signor Felice Constantini von Ragusa gewesen ist! Ich fühlte, daß ich nichts mehr zu sagen hätte, senkte mein Haupt, und bat Gott und meine verklärte Teure um Thränen. Was soll ich Ihnen mehr sagen, Federigo? Sie wissen jetzt alles! Gabriel!» war zwei Tage zuvor nach einer plötzlichen, nur wenige Tage dauernden Krank¬ heit jäh dahingerafft worden. Der Arzt gab der Krankheit keinen Namen, mein Schmerz aber war in jenen ersten Stunden viel zu tief und zu heilig, um Er¬ wägungen und Überlegungen Raum zu lassen. Des Verdachtes, daß mein süßes Weib ein Opfer des Mutes geworden sei, mit dem sie an meinem Herzen Zu¬ flucht gesucht, daß irgend einer der habgierigen Vettern, welchen das reiche Erbe verblendet, bei ihrem frühen Ende eine giftmischende Hand im Spiele gehabt, konnten in dunkeln Stunden weder Bartolomeo noch ich uns vollständig ent- schlagen. Doch was hätte es nützen können, den Schleier von Gabriellas frühem Ende zu lüften? Hatte ruchlose Berechnung einen Anteil an meinen, unwidcrbringlichen Verlust, so war wenigstens die Berechnung zu Schanden ge¬ worden. Pater Bartolomeos Zeugnis stellte es außer allen Zweifel, daß die Unvergeßliche mir in rechtmäßiger Ehe verbunden gewesen sei, der größte Teil ihres großen Vermögens fiel mir zu, ich habe ihn all mein Lebtage verwendet, soviel Thränen zu trocknen als immer möglich, und ich thue es noch heute zu Gabricllas Gedächtnis. Wie hätte ich sie, die Reine, Edle, immer Hilfreiche, besser ehren können? Wir kehrten natürlich, als wir Gabriclla zur letzten Ruhe gebettet hatten, nach Torcello zurück. Monate lang mußte Bartolomeo für mich leben und handeln, im tiefen Schmerz meines ungeprüfter Herzens fand ich nur langsam die Kraft wieder, mich mit dem äußern Dasein abzufinden. Doch meinte ich damals nicht, Signor Federigo, mich für Jahre und Jahrzehnte in dem Garten einzuschließen, in dem ich mit ihr, der Süßen. Unvergeßlichen, glücklich gewesen war. Im Gegenteil besprachen mein geistlicher Freund und ich die Pläne zu einer großen Reise, nach der ich mich über meine Zukunft entscheiden wollte. Aber dies Eiland hielt mich fest, und wie die Tage verrannen, immer^ fester. Jedesmal, wenn ich mich zur Reise zu rüsten gedachte, fühlte ich, daß ich die Stelle nicht entbehren könne, an der ich sie zuerst und zuletzt umfangen! Ich erhielt mich aufrecht, indem ich die Morgen kommen, die Abende gehen sah über diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/704>, abgerufen am 27.07.2024.