Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Neue Gedichte.
Mau empfindet peinlich, wie ein gewisser Ton, der die Leute in Wilhelm Busch's Neue Gedichte.
Mau empfindet peinlich, wie ein gewisser Ton, der die Leute in Wilhelm Busch's <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0690" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154855"/> <fw type="header" place="top"> Neue Gedichte.</fw><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_75" type="poem"> <l> Die Hoffnung ihr gebeugtes Haupt,<lb/> Weil sie die Zeit gekommen glaubt,<lb/> Daß sie mit päpstlichen Geleite<lb/> sieghaft der Wünsche Ziel beschreib.<lb/> Lebendig wirds im Vatikan,<lb/> Aus aller Herren Länder nahm,<lb/> Wer Rat und Hilfe sucht, behende.<lb/> Ist nun die Audienz zu Ende,<lb/> Dann geht es an ein neues Prüfen,<lb/> Denn auch i» wohlgesetzten Briefen<lb/> Bringt mancher seine Wünsche vor,<lb/> Und findet stets ein offnes Ohr,<lb/> Doch stets verschlossen Herz und Hand,<lb/> Und manch' gehegte Hoffnung schwand.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2057" prev="#ID_2056"> Mau empfindet peinlich, wie ein gewisser Ton, der die Leute in Wilhelm Busch's<lb/> humoristischen Knittelversen entzückt, in ernstgemeinte Dichtungen übergeht. Es<lb/> herrscht in dem ganzen Gedicht, das die alte Sage von der Doppelehe des<lb/> Grafen von Gleichen neu zu gestalten sucht, eine schwuuglvse Glätte, nur an<lb/> ganz vereinzelten Stellen erhebt sich der Verfasser zu einem poetischen Tone, an<lb/> zahllosen fällt er in die gereimte Trivialität hinab. Etwas höher steht Melitta,<lb/> lyrisch-episches Gedicht von Ewald Böcker (Frankfurt a. M., Karl Jügels<lb/> Nachfolger). Es handelt sich hier um eine moderne Geschichte, und der Grund,<lb/> warum die an sich einfache Erfindung nicht in schlichter Prosa erzählt ist, läßt<lb/> sich kaum erraten. Weder der leidenschaftliche Gehalt noch die Sprache des<lb/> Gedichts, obwohl nicht ungefällig, schließen einen Zwang zur gebundenen Rede<lb/> ein. Das einzige erzählende Gedicht aus jüngster Zeit, das wir höher als<lb/> einen Versuch stellen dürfen, ist Der Weg nach Eden, epische Dichtung in<lb/> fünf Büchern von Karl Kösting (Leipzig, Ernst Günther). Wir sind zwar<lb/> weit entfernt, dasselbe nur panegyrisch anzukündigen und müssen uns aus¬<lb/> drücklich vorbehalten, auf die Besonderheit dieser Dichtung, ihre Vorzüge und<lb/> schreienden Mängel nochmals eingehender zurückzukommen. Aber wir dürfen<lb/> wenigstens sagen, daß wir es hier mit einem ernstgemeinten Werke, hinter dem<lb/> eine wirkliche Kraft steht, zu thun haben, eine Kraft, der wohl zu wünschen<lb/> wäre, daß sie aus einem tieferen und reineren Brunnen als aus dem des „mo¬<lb/> derne» Evolutiousgedanlens" schöpfte. Indes davon eincmdermal. Wenn es<lb/> durchaus eine epische Dichtung sein soll, die auf dem Weihnachtstische liegt,<lb/> so bleibt „Der Weg nach Eden" immerhin eine solche, die ernstere Teilnahme<lb/> verdient.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0690]
Neue Gedichte.
Die Hoffnung ihr gebeugtes Haupt,
Weil sie die Zeit gekommen glaubt,
Daß sie mit päpstlichen Geleite
sieghaft der Wünsche Ziel beschreib.
Lebendig wirds im Vatikan,
Aus aller Herren Länder nahm,
Wer Rat und Hilfe sucht, behende.
Ist nun die Audienz zu Ende,
Dann geht es an ein neues Prüfen,
Denn auch i» wohlgesetzten Briefen
Bringt mancher seine Wünsche vor,
Und findet stets ein offnes Ohr,
Doch stets verschlossen Herz und Hand,
Und manch' gehegte Hoffnung schwand.
Mau empfindet peinlich, wie ein gewisser Ton, der die Leute in Wilhelm Busch's
humoristischen Knittelversen entzückt, in ernstgemeinte Dichtungen übergeht. Es
herrscht in dem ganzen Gedicht, das die alte Sage von der Doppelehe des
Grafen von Gleichen neu zu gestalten sucht, eine schwuuglvse Glätte, nur an
ganz vereinzelten Stellen erhebt sich der Verfasser zu einem poetischen Tone, an
zahllosen fällt er in die gereimte Trivialität hinab. Etwas höher steht Melitta,
lyrisch-episches Gedicht von Ewald Böcker (Frankfurt a. M., Karl Jügels
Nachfolger). Es handelt sich hier um eine moderne Geschichte, und der Grund,
warum die an sich einfache Erfindung nicht in schlichter Prosa erzählt ist, läßt
sich kaum erraten. Weder der leidenschaftliche Gehalt noch die Sprache des
Gedichts, obwohl nicht ungefällig, schließen einen Zwang zur gebundenen Rede
ein. Das einzige erzählende Gedicht aus jüngster Zeit, das wir höher als
einen Versuch stellen dürfen, ist Der Weg nach Eden, epische Dichtung in
fünf Büchern von Karl Kösting (Leipzig, Ernst Günther). Wir sind zwar
weit entfernt, dasselbe nur panegyrisch anzukündigen und müssen uns aus¬
drücklich vorbehalten, auf die Besonderheit dieser Dichtung, ihre Vorzüge und
schreienden Mängel nochmals eingehender zurückzukommen. Aber wir dürfen
wenigstens sagen, daß wir es hier mit einem ernstgemeinten Werke, hinter dem
eine wirkliche Kraft steht, zu thun haben, eine Kraft, der wohl zu wünschen
wäre, daß sie aus einem tieferen und reineren Brunnen als aus dem des „mo¬
derne» Evolutiousgedanlens" schöpfte. Indes davon eincmdermal. Wenn es
durchaus eine epische Dichtung sein soll, die auf dem Weihnachtstische liegt,
so bleibt „Der Weg nach Eden" immerhin eine solche, die ernstere Teilnahme
verdient.
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