Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Fortschritte der sozialpolitischen Debatte/)
2,
^Schluß.)

jre weitere wesentliche Aufgabe der Zunftorganisation würde
aber auch die Eroberung des Gebietes, das gegenwärtig die so¬
genannten Konfektionsgeschäfte nach beiden Seiten hin aus-
beuten, sein müssen -- zunächst vielleicht die besonders drin¬
gende. Es handelt sich dabei einerseits um die Ausbeutung der
sozialen Not auf Seiten der Handwerker, andrerseits auf Seiten des Publikums.
Denn es ist unleugbar, daß die sogenannten Konfektionsgeschäfte und die von
ihnen ausgehende Überwnchernng des wirtschaftlichen Lebens wenigstens in ihrer
Ausbreitung überaus gehemmt werden müßte, wenn es gelänge, die vielfachen
Stockungen im Handwerksbetriebe, welche hie und da ganz regelmäßig nach den
Jahreszeiten eintreten, zu beseitigen. Durch diese Stockungen werden natürlich
die kleinen Handwerker, welche keine Mittel besitzen, und die Gesellen, welche
ohnehin von der Hand in den Mund leben, dem Wucherkapital rettungslos in
die Arme getrieben. Das letztere kann jede derartige Stockung benutze", um
auf den Arbeitslohn zu drücken, da die freigewordenen Arbeitskräfte, welche
die augenblickliche Notlage für vorübergehend halten, währeich derselben umso-
mehr geneigt sind, um niedern Preis zu arbeite", um sich so wenigstens bis
zur Zeit neuer Erholung durchzuschlagen.

Daß damit aber diese Zeiten der Erholung für das Handwerk und für
seine Angehörigen selbst immer zweifelhafter gemacht werden, bedenkt der unter
dem Druck der Notwendigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren, seine
Miete und Steuern zu bezahle" ?c., stehende Handwerker oder Arbeiter natürlich
nicht. U"d doch liegt es nahe, daß gerade durch diese billige Arbeit**) die Äon-




Die verehrte Redaktion hat am Schluß des ersten Abschnittes bemerkt, der Verfasser
habe leider übersehen, daß bereits in den "Grenzboten" hervorgehoben worden, daß Pater
Weiß deu Unternehmergewinn nicht anerkenne. Wir haben die gedachte Kritik wohl gelesen,
ohne ihr jedoch beipflichten zu können. Unternehmergewinn und Kapitalgciviuu ist doch wohl
dasselbe und somit vom Pater Weiß sehr wohl beachtet. Aber wenn auch ein Unterschied
hier bestünde, so würde er ausgeglichen durch den nationalen und gesellschaftlichen
Zusammenhang, der als ohne Zuthun des Unternehmers vorbereiteter Boden den Unter-
nchmergcwin" erst ermöglicht.
v*) Es giebt freilich noch billigere Arbeit: die Zuchthausarbeit, durch welche unsre
gewerbsmäßige Jurisprudenz mit ihrer unglaublichen Vorliebe für das Gefängnis -- die
sonderbarsten Vergehen sind heutzutage mit Gefängnisstrafe bedroht, z. Ä. Obdachlosigkeit
GreuzbotenIV, 1883, 86
Fortschritte der sozialpolitischen Debatte/)
2,
^Schluß.)

jre weitere wesentliche Aufgabe der Zunftorganisation würde
aber auch die Eroberung des Gebietes, das gegenwärtig die so¬
genannten Konfektionsgeschäfte nach beiden Seiten hin aus-
beuten, sein müssen — zunächst vielleicht die besonders drin¬
gende. Es handelt sich dabei einerseits um die Ausbeutung der
sozialen Not auf Seiten der Handwerker, andrerseits auf Seiten des Publikums.
Denn es ist unleugbar, daß die sogenannten Konfektionsgeschäfte und die von
ihnen ausgehende Überwnchernng des wirtschaftlichen Lebens wenigstens in ihrer
Ausbreitung überaus gehemmt werden müßte, wenn es gelänge, die vielfachen
Stockungen im Handwerksbetriebe, welche hie und da ganz regelmäßig nach den
Jahreszeiten eintreten, zu beseitigen. Durch diese Stockungen werden natürlich
die kleinen Handwerker, welche keine Mittel besitzen, und die Gesellen, welche
ohnehin von der Hand in den Mund leben, dem Wucherkapital rettungslos in
die Arme getrieben. Das letztere kann jede derartige Stockung benutze», um
auf den Arbeitslohn zu drücken, da die freigewordenen Arbeitskräfte, welche
die augenblickliche Notlage für vorübergehend halten, währeich derselben umso-
mehr geneigt sind, um niedern Preis zu arbeite», um sich so wenigstens bis
zur Zeit neuer Erholung durchzuschlagen.

Daß damit aber diese Zeiten der Erholung für das Handwerk und für
seine Angehörigen selbst immer zweifelhafter gemacht werden, bedenkt der unter
dem Druck der Notwendigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren, seine
Miete und Steuern zu bezahle» ?c., stehende Handwerker oder Arbeiter natürlich
nicht. U»d doch liegt es nahe, daß gerade durch diese billige Arbeit**) die Äon-




Die verehrte Redaktion hat am Schluß des ersten Abschnittes bemerkt, der Verfasser
habe leider übersehen, daß bereits in den „Grenzboten" hervorgehoben worden, daß Pater
Weiß deu Unternehmergewinn nicht anerkenne. Wir haben die gedachte Kritik wohl gelesen,
ohne ihr jedoch beipflichten zu können. Unternehmergewinn und Kapitalgciviuu ist doch wohl
dasselbe und somit vom Pater Weiß sehr wohl beachtet. Aber wenn auch ein Unterschied
hier bestünde, so würde er ausgeglichen durch den nationalen und gesellschaftlichen
Zusammenhang, der als ohne Zuthun des Unternehmers vorbereiteter Boden den Unter-
nchmergcwin» erst ermöglicht.
v*) Es giebt freilich noch billigere Arbeit: die Zuchthausarbeit, durch welche unsre
gewerbsmäßige Jurisprudenz mit ihrer unglaublichen Vorliebe für das Gefängnis — die
sonderbarsten Vergehen sind heutzutage mit Gefängnisstrafe bedroht, z. Ä. Obdachlosigkeit
GreuzbotenIV, 1883, 86
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0691" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154856"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Fortschritte der sozialpolitischen Debatte/)<lb/>
2,<lb/>
^Schluß.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2058"> jre weitere wesentliche Aufgabe der Zunftorganisation würde<lb/>
aber auch die Eroberung des Gebietes, das gegenwärtig die so¬<lb/>
genannten Konfektionsgeschäfte nach beiden Seiten hin aus-<lb/>
beuten, sein müssen &#x2014; zunächst vielleicht die besonders drin¬<lb/>
gende. Es handelt sich dabei einerseits um die Ausbeutung der<lb/>
sozialen Not auf Seiten der Handwerker, andrerseits auf Seiten des Publikums.<lb/>
Denn es ist unleugbar, daß die sogenannten Konfektionsgeschäfte und die von<lb/>
ihnen ausgehende Überwnchernng des wirtschaftlichen Lebens wenigstens in ihrer<lb/>
Ausbreitung überaus gehemmt werden müßte, wenn es gelänge, die vielfachen<lb/>
Stockungen im Handwerksbetriebe, welche hie und da ganz regelmäßig nach den<lb/>
Jahreszeiten eintreten, zu beseitigen. Durch diese Stockungen werden natürlich<lb/>
die kleinen Handwerker, welche keine Mittel besitzen, und die Gesellen, welche<lb/>
ohnehin von der Hand in den Mund leben, dem Wucherkapital rettungslos in<lb/>
die Arme getrieben. Das letztere kann jede derartige Stockung benutze», um<lb/>
auf den Arbeitslohn zu drücken, da die freigewordenen Arbeitskräfte, welche<lb/>
die augenblickliche Notlage für vorübergehend halten, währeich derselben umso-<lb/>
mehr geneigt sind, um niedern Preis zu arbeite», um sich so wenigstens bis<lb/>
zur Zeit neuer Erholung durchzuschlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2059" next="#ID_2060"> Daß damit aber diese Zeiten der Erholung für das Handwerk und für<lb/>
seine Angehörigen selbst immer zweifelhafter gemacht werden, bedenkt der unter<lb/>
dem Druck der Notwendigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren, seine<lb/>
Miete und Steuern zu bezahle» ?c., stehende Handwerker oder Arbeiter natürlich<lb/>
nicht. U»d doch liegt es nahe, daß gerade durch diese billige Arbeit**) die Äon-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_51" place="foot"> Die verehrte Redaktion hat am Schluß des ersten Abschnittes bemerkt, der Verfasser<lb/>
habe leider übersehen, daß bereits in den &#x201E;Grenzboten" hervorgehoben worden, daß Pater<lb/>
Weiß deu Unternehmergewinn nicht anerkenne. Wir haben die gedachte Kritik wohl gelesen,<lb/>
ohne ihr jedoch beipflichten zu können. Unternehmergewinn und Kapitalgciviuu ist doch wohl<lb/>
dasselbe und somit vom Pater Weiß sehr wohl beachtet. Aber wenn auch ein Unterschied<lb/>
hier bestünde, so würde er ausgeglichen durch den nationalen und gesellschaftlichen<lb/>
Zusammenhang, der als ohne Zuthun des Unternehmers vorbereiteter Boden den Unter-<lb/>
nchmergcwin» erst ermöglicht.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_52" place="foot" next="#FID_53"> v*) Es giebt freilich noch billigere Arbeit: die Zuchthausarbeit, durch welche unsre<lb/>
gewerbsmäßige Jurisprudenz mit ihrer unglaublichen Vorliebe für das Gefängnis &#x2014; die<lb/>
sonderbarsten Vergehen sind heutzutage mit Gefängnisstrafe bedroht, z. Ä. Obdachlosigkeit</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> GreuzbotenIV,  1883, 86</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0691] Fortschritte der sozialpolitischen Debatte/) 2, ^Schluß.) jre weitere wesentliche Aufgabe der Zunftorganisation würde aber auch die Eroberung des Gebietes, das gegenwärtig die so¬ genannten Konfektionsgeschäfte nach beiden Seiten hin aus- beuten, sein müssen — zunächst vielleicht die besonders drin¬ gende. Es handelt sich dabei einerseits um die Ausbeutung der sozialen Not auf Seiten der Handwerker, andrerseits auf Seiten des Publikums. Denn es ist unleugbar, daß die sogenannten Konfektionsgeschäfte und die von ihnen ausgehende Überwnchernng des wirtschaftlichen Lebens wenigstens in ihrer Ausbreitung überaus gehemmt werden müßte, wenn es gelänge, die vielfachen Stockungen im Handwerksbetriebe, welche hie und da ganz regelmäßig nach den Jahreszeiten eintreten, zu beseitigen. Durch diese Stockungen werden natürlich die kleinen Handwerker, welche keine Mittel besitzen, und die Gesellen, welche ohnehin von der Hand in den Mund leben, dem Wucherkapital rettungslos in die Arme getrieben. Das letztere kann jede derartige Stockung benutze», um auf den Arbeitslohn zu drücken, da die freigewordenen Arbeitskräfte, welche die augenblickliche Notlage für vorübergehend halten, währeich derselben umso- mehr geneigt sind, um niedern Preis zu arbeite», um sich so wenigstens bis zur Zeit neuer Erholung durchzuschlagen. Daß damit aber diese Zeiten der Erholung für das Handwerk und für seine Angehörigen selbst immer zweifelhafter gemacht werden, bedenkt der unter dem Druck der Notwendigkeit, sich und seine Angehörigen zu ernähren, seine Miete und Steuern zu bezahle» ?c., stehende Handwerker oder Arbeiter natürlich nicht. U»d doch liegt es nahe, daß gerade durch diese billige Arbeit**) die Äon- Die verehrte Redaktion hat am Schluß des ersten Abschnittes bemerkt, der Verfasser habe leider übersehen, daß bereits in den „Grenzboten" hervorgehoben worden, daß Pater Weiß deu Unternehmergewinn nicht anerkenne. Wir haben die gedachte Kritik wohl gelesen, ohne ihr jedoch beipflichten zu können. Unternehmergewinn und Kapitalgciviuu ist doch wohl dasselbe und somit vom Pater Weiß sehr wohl beachtet. Aber wenn auch ein Unterschied hier bestünde, so würde er ausgeglichen durch den nationalen und gesellschaftlichen Zusammenhang, der als ohne Zuthun des Unternehmers vorbereiteter Boden den Unter- nchmergcwin» erst ermöglicht. v*) Es giebt freilich noch billigere Arbeit: die Zuchthausarbeit, durch welche unsre gewerbsmäßige Jurisprudenz mit ihrer unglaublichen Vorliebe für das Gefängnis — die sonderbarsten Vergehen sind heutzutage mit Gefängnisstrafe bedroht, z. Ä. Obdachlosigkeit GreuzbotenIV, 1883, 86

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/691
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/691>, abgerufen am 01.09.2024.